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DOI: 10.1055/s-0042-104261
Medizinprodukte – Garanten für eine erfolgreiche Medizin
Medical Devices – Guarantors for Successful MedicinePublication History
Publication Date:
25 April 2016 (online)

In einem Artikel im Tagesspiegel im November 2014 wurde der damalige Vorstandschef des AOK-Bundesverbandes mit dem Vergleich zitiert, dass sich Medizinprodukte, insbesondere Implantate, auf einem Zulassungsstand vergleichbar mit Toastern oder Kinderspielzeug befänden. Dies war ein Gipfel der zugespitzten und eher emotionalen und weniger sachlich geführten Diskussion um die Neuordnung der Medizinprodukte-Zulassung auf europäischer Ebene, der sogenannten Medical Device Regulation. Inzwischen ist der Vorsitzende des AOK-Bundesverbandes zurückgetreten und es wird versucht, die Emotionalität in der Diskussion zurück zur erforderlichen Sachebene zu führen.
Doch worum ging es eigentlich? Im Nachgang zur Entdeckung, dass ein französischer Hersteller Brustimplantate u. a. mit Industriesilikon und nicht mit dem für Medizinprodukte zugelassenen Silikon befüllt hatte, ging ein Aufschrei durch die Presselandschaft. Der dafür zuständigen Benannten Stelle fielen diese, mit hoher krimineller Energie durchgeführten Manipulationen nicht auf, da bei den angekündigten Kontrollbesuchen stets Dokumente für Medizinprodukte zugelassenen Silikons vorgelegt wurden.
Auffallend schnell verwiesen insbesondere französische Politiker den Sachverhalt auf die europäische Ebene und monierten die problematischen und unzureichenden Regelungen zur Zulassung von Medizinprodukten. Auf europäischer Ebene haben die Diskussionen nun weit länger gedauert als ursprünglich angenommen, scheinen allerdings im Jahre 2016 ihren Abschluss zu finden, der dann in einer Verabschiedung einer künftigen Medical Device Regulation (EU-Medizinprodukteverordnung) enden würde.
Warum nun also die pointiert positiv gewählte Überschrift bei solch unschönen Ereignissen? Zuallererst gilt es sich nochmals vor Augen zu führen, dass Medizinprodukte aller Klassen für die wesentlichen Fortschritte der Medizin des 20. und 21. Jahrhunderts mitverantwortlich sind. Herausragende medizinische Expertise konnte häufig erst gemeinsam mit den technischen Hilfsmitteln zum gewünschten Behandlungserfolg führen. Somit verfolgen moderne Medizinprodukte im Wesentlichen zwei zentrale Ziele: einerseits die Verbesserung der Prävention und der Behandlungsmöglichkeiten einer Erkrankung; andererseits die bestmögliche Sicherheit aller Beteiligten, die mit einem Medizinprodukt in Berührung kommen. Schon diese offene Formulierung deutet darauf hin, dass der Sicherheitsbegriff sich eben nicht nur auf die Patienten, sondern auch auf Anwender, Pflegepersonal, die Therapieprozesse und auf die Umwelt, im Sinne der Nachhaltigkeit, bezieht.
Gerade diese Vielseitigkeit der Medizinprodukte, die sich von der Wundauflage bis zum komplexen Implantat erstreckt, stellt eine Herausforderung dar, klinische Prüfungen nach einem standardisierten Schema durchzuführen. Darüber hinaus ist zusätzlich auch der Nutzen von Medizinprodukten nachzuweisen, der sich eben nicht notwendigerweise nur auf den Patientennutzen beschränkt. Um einem Missverständnis gleich vorzubeugen: Es soll hier kein Plädoyer geführt werden, dass standardisierte klinische Prüfungen bei Medizinprodukten nicht möglich sind. Das Gegenteil ist der Fall, allerdings führt die Vielseitigkeit der Produkte dazu, dass sehr unterschiedliche Endpunkte nach variablen Untersuchungszeitpunkten relevant sind, um die klinische Evidenz eines Nutzens darzulegen. Dies führt dazu, dass randomisierte kontrollierte Studien in Analogie zum Arzneimittelbereich nicht ohne Weiteres auf alle Medizinprodukte und insbesondere Implantate übertragbar sind. So können je nach Erfordernis neben randomisierten kontrollierten Studien unterschiedliche adaptierte Studientypen, wie z. B. Fallkontrollserien und Ergebnisse aus Registerdatenbanken sinnvollerweise zum Einsatz kommen.
Ziel aller Bemühungen um bestmögliche Patientenversorgung ist es, die jeweils modernste und größtmöglichen Nutzen stiftende Technologie zur Verfügung zu stellen und gleichzeitig ein größtmögliches Maß an Sicherheit im Rahmen der Anwendung von Medizinprodukten zu erreichen. Einschränkend muss angeführt werden, dass in der klinischen Medizin eine Zwischenfallrate von null Prozent bei Medizinprodukten als unrealistisch angesehen werden muss. Dennoch muss es die Bestrebung der Medizinprodukteindustrie sein, möglichst nah an diese Null-Prozent-Komplikationsrate zu kommen.
Innovationen sind Lebenselixier für eine moderne Medizin und natürlich auch für die vorwiegend mittelständisch geprägte Medizinprodukteindustrie. In einem dynamischen Marktumfeld wird vermutlich derjenige besonders erfolgreich sein, der Fortschritt zu bieten hat. Dabei ist der Innovationsbegriff per definitionem nach Joseph Schumpeter nur auf Produktneuerungen anzuwenden, wenn diese vom Markt und damit von Anwender und Patient als nutzenstiftend, mehrwertliefernd und innovativ erkannt werden und sich somit ein Erfolg am Markt einstellt. Es ist auffällig, dass sich die zahlreichen Mittelständler in der Medizinprodukteindustrie in Deutschland, aber auch global, in ihrem organischen Wachstumsmodell sowohl um kontinuierliche, inkrementelle Weiterentwicklung der bestehenden Produkte als auch um die Entwicklung von Durchbruchsinnovationen bemühen. Im Gegensatz dazu wenden sich viele Konzerne und Großunternehmen mehr der externen Innovation zu, indem sie kleinere Unternehmen mit neuen Produktideen akquirieren und integrieren. Tatsächlich ist aber für jedes Unternehmen, gleich welcher Größe, ein adäquates Verhältnis zwischen internen Entwicklungsbemühungen und externen Ideen, also die Mischung aus externer und interner Innovation, essenziell. Diese Balance zu wahren ist entscheidend, um im Markt nicht generisch zu erscheinen und sich allenfalls noch über Marktmacht und Marktdominanz Kundengruppen zu erschließen.
Warum dieser Exkurs in die Unternehmensstrategie? Letztlich, um hier noch ein Plädoyer für den innovativen Mittelstand zu führen und insbesondere für das Erfordernis, durch entsprechende regulatorische Anforderungen die erforderliche Produkt- und Patientensicherheit im Auge zu behalten. Gleichzeitig gilt es, die bürokratischen Marktzugangsbarrieren nicht auf ein Maß zu erhöhen, das den innovativen Mittelstand ausbremst und damit einen wesentlichen Generator von neuen Ideen und fortschrittlichen Behandlungsoptionen für Patienten und Anwender vom Markt ausschließt. Somit ist bei den regulatorischen Vorgaben die Balance gefragt, die zwischen Sicherheitsdenken und Pioniergeist das richtige Maß an notwendigem Fortschritt ermöglichen kann.
Die Medizintechnik stellt sich den Anforderungen, Produkte für eine sichere und bestmögliche Patientenversorgung bereitzustellen. Wenn die Voraussetzungen geschaffen werden, dass veränderte Zulassungsbedingungen nicht nur auf eine weitere Erhöhung der Patientensicherheit zielen, sondern auch geeignet sind, diese zu erreichen, sowie gleichzeitig nicht nur eine zusätzliche bürokratische Hürde darstellen, dann werden innovative Medizinprodukte auch in Zukunft einen substanziellen Patientennutzen stiften.