Sprache · Stimme · Gehör 2016; 40(03): 111
DOI: 10.1055/s-0042-110045
Hören-Erkennen-Verstehen
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Multisystematrophie-Zerebellum (MSA-C)

Elena Burger
1   Mainz
,
Thomas Brauer
1   Mainz
› Author Affiliations
Further Information

Korrespondenzadresse

Thomas Brauer
Lehrlogopäde. Universitätsmedizin Mainz
mit freundlicher Genehmigung

Publication History

Publication Date:
04 October 2016 (online)

 

Die Multisystematrophien gehören zu den degenerativen Erkrankungen des zentralen Nervensystems. Unterschieden wird in MSA-Parkinson (MSA-P), MSA-Zerebellum (MSA-C) und das Shy-Drager-Syndrom. Insbesondere bei MSA-C und MSA-P treten sprachtherapeutisch relevante Sprech-, Stimm- und Schluckstörungen auf. Im weiteren Verlauf der Erkrankung können zudem kognitive Störungen eine Rolle bei der logopädischen Therapie spielen.


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Symptome

Bei der MSA-C handelt es sich um eine Atrophie des Kleinhirns, durch die alle motorischen Funktionen des Körpers zunehmend eingeschränkt werden. Das Kleinhirn ist für die koordinierten Abläufe von Bewegungen zuständig. Somit zeigt sich die Atrophie oft als erstes in einer Stand- und Gangataxie mit Fallneigung. Das Sprechen ist durch eine zerebelläre Dysarthrie [1] mit verlangsamtem Sprech­tempo, teils skandierendem Sprechrhythmus und vermehrten Sprechpausen gekennzeichnet. Hinzu kommt eine wechselnde Stimmstabilität und Stimmqualität (gepresst, rau, aber auch verhaucht), sowie eine reduzierte Artikulationsprägnanz. Wegen der eingeschränkten Zielgenauigkeit der orofazialen Muskulatur und des Tonusverlusts im oberen Ösophagussphinkter kann zudem eine Dysphagie mit dem Risiko einer Aspirationspneumonie auftreten.

Die Ätiologie der MSA-C ist noch unbekannt. Der Erkrankungsbeginn liegt im mittleren und höheren Erwachsenenalter. Die Symptome treten meist zunächst einzeln und im weiteren Verlauf der Krankheit parallel auf. Nach durchschnittlich 5 Jahren leben die meisten Betroffenen mit dem Vollbild der MSA [2]. Die mediane Überlebenszeit nach Diagnosestellung beträgt 9 Jahre [3]. Logopädische Therapie hat das Ziel, den Betroffenen die Aktivität und Teilhabe am Leben weitestgehend zu erhalten.


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Diagnostik und Therapie

Die MSA-C stellt Ärzte und Therapeuten vor eine interdisziplinäre diagnostische und therapeutische Herausforderung. Da es keine genetischen oder biochemischen Marker der MSA gibt, lässt sich klinisch nur eine mögliche oder wahrscheinliche Diagnose stellen. Für eine definitive Diagnose sind eine Autopsie und neuropathologische Untersuchung erforderlich. Die Bildgebung dient dem Ausschluss anderer Erkrankungen. Im MRT zeigt sich eine Atrophie des Kleinhirns.

Logopädische Diagnostik wird sich auf die Funktionskreise (Sprech-)Atmung, Phonation und Artikulation sowie Störungen des Schluckakts konzentrieren. Die Therapie wird je nach Störungsschwerpunkt Übungen zur Stabilisierung der Atmung, zur Verbesserung der Artikulationsprägnanz und zur Prosodie anbieten, die dem Patienten dazu verhelfen, so lange wie möglich verbal zu kommunizieren. Um einen weniger gepressten Stimmklang zu erlangen, können u. a. Elemente der Funktionalen Stimmtherapie eingesetzt werden. Entspannungs- und Lockerungsübungen können eine zeitweise Eutonisierung der Muskulatur bewirken. Zur Förderung der kognitiven Fähigkeiten können mnestische Übungen durchgeführt werden. Dysphagietherapie sollte rechtzeitig als Schutzmaßnahme gestartet werden, um der Gefahr einer Aspirationspneumonie entgegen zu wirken. Sprachtherapie kann bei der Behandlung der MSA-C nur eingeschränkt kurativ wirken, der Schwerpunkt liegt vielmehr auf palliativen Maßnahmen, um Teilhabe und Aktivität des Betroffenen so lange wie möglich zu erhalten. Je nach Ausprägung der Symptome nimmt die logopädische Vorgehensweise eher einen kompensatorischen, adaptiven oder begleitenden Charakter an [4].


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Hörbeispiel

Der 39-jährige Patient unseres Hörbeispiels[1] leidet seit 7 Jahren an einer Multisystematrophie vom zerebellären Typ. Er befindet sich in einem deutlich geminderten Allgemeinzustand. Sein Sprechen ist erheblich verlangsamt, der Stimmklang rau und gepresst, Wort- und Satzintonation stark eingeschränkt, der Sprechstimmumfang beträgt etwa eine kleine Terz. Die Artikulationsprägnanz ist herabgesetzt. Der Patient berichtet, dass er seit Beginn der Erkrankung nicht mehr hochdeutsch, sondern nur noch in seinem Dialekt sprechen könne (q Hörbeispiel 1). Die Schluckfunktion ist ebenfalls eingeschränkt. Darauf weist u. a. das häufige Husten hin, das durch die Aspiration von Speichel verursacht wird. Die kognitiven Funktionen des Patienten sind seit einiger Zeit ebenfalls reduziert. In der logopädischen Therapie wird aktuell darauf u. a. mit Gedächtnistraining in auditiver und visueller Form eingegangen (q Hörbeispiel 2). Der Patient nahm im Verlauf der Erkrankung immer wieder logopädische Therapie in einer logopädischen Praxis und während verschiedener Rehabilitationsaufenthalte in Anspruch. Zunächst stand das Artikulationstraining im Zentrum der Therapie, aktuell sind es Schluck- und Gedächtnistraining.

Fazit

Die Multisystematrophie-Zerebellum ist eine progrediente, degenerative Erkrankung. Die Patienten zeigen in ihren (sprachlichen) Fähigkeiten oft rasch zunehmende Defizite. Die Behandlung sollte durch ein multiprofessionelles Team erfolgen. Sprachtherapie trägt dabei in allen Krankheitsphasen zur Steigerung und zum Erhalt der Lebensqualität und damit verbunden zur Partizipation und Teilhabe der Betroffenen bei.

Hören Sie sich die auditiven Beispiele im Internet unter http://dx.doi.org/10.1055/s-0042-110045 an.


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1 Aufnahmen: Thomas Brauer, Lehrlogopäde. Universitätsmedizin Mainz, mit freundlicher Genehmigung.


Ergänzendes Material


Korrespondenzadresse

Thomas Brauer
Lehrlogopäde. Universitätsmedizin Mainz
mit freundlicher Genehmigung