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DOI: 10.1055/s-0042-1753659
Diversität im Krankenhaus: Unterschiedliche Ansichten in Medizin und Pflege
Einleitung Das deutsche Gesundheitswesen ist aufgrund des Fachkräftemangels auf Zuwanderung von Gesundheitspersonal aus dem Ausland angewiesen. Seit Jahren steigt die Anzahl an immigrierten Ärzt*innen und Pflegekräften kontinuierlich, ihre Anwerbung wird politisch forciert. Für den Arbeitsalltag bedeutet dies, dass die Teams auf den Stationen immer diverser werden. Daraus ergibt sich die Frage, inwiefern Mediziner*innen und Pflegekräfte vor dem Hintergrund ihres professionellen Selbstverständnisses mit der wachsenden Diversität umgehen.
Methoden Um berufsspezifische Umgangsweisen mit Diversität herauszuarbeiten, wurden acht Gruppendiskussionen mit Ärzt*innen und Pflegekräften – jeweils mit und ohne Migrationshintergrund – in vier Krankenhäusern durchgeführt. Insgesamt nahmen 22 Pflegekräfte und zehn Ärzt*innen teil. Die Gruppendiskussionen wurden per Tonband protokolliert und transkribiert. Die pseudonymisierten Transkripte wurden mittels der dokumentarischen Methode nach Bohnsack ausgewertet. Die Ergebnisse wurden im Forschungsteam sowie in Interpretationszirkeln intersubjektiv validiert.
Ergebnisse Ansichten über Migration und organisationale Bemühungen um Vielfalt am Arbeitsplatz werden durch die jeweiligen Berufsgruppenidentitäten und damit verbundenes Wissen und Handeln beeinflusst. Für immigrierte Pflegekräfte zeigen die Ergebnisse eine prekäre Situation. Insbesondere diejenigen mit akademischen Abschlüssen sind mit einer doppelten Abwertung konfrontiert: zum einen wird ihr Studienabschluss in Deutschland der pflegerischen Ausbildung gleichgestellt, zum andern trifft ihre Spezialisierung auf die vorherrschende Vorstellung von Pflege als einem generalisierten Beruf. Die Ergebnisse der Gruppendiskussionen mit Ärzt*innen deuten hingegen darauf hin, dass die Vielfalt am Arbeitsplatz nicht zu wesentlichen Kontroversen innerhalb der Ärzteschaft führt. Die Unterschiede zwischen Ärzt*innen und Pflegekräften erklären sich aus einer unterschiedlich ausgeprägten Ambiguitätstoleranz im professionellen Kontext, die in Zeiten zunehmender Vielfalt und eines sich wandelnden beruflichen Selbstverständnisses stärker zum Tragen kommt.
Schlussfolgerung Kulturelle Kompetenz kann nicht nur individuell oder auf der organisationalen Ebene gefördert werden, sondern auch innerhalb von Berufsgruppen. Als „communities of practice“ (Lave & Wenger) haben Pflege- und Ärzteteams eine Vermittlerrolle inne, durch die sie institutionelle, organisatorische sowie individuelle Hindernisse für die Teilhabe am Arbeitsplatz abbauen können. Daher benötigen Ärzt*innen und Pflegekräfte spezifische Schulungen und ein Management, das den jeweils unterschiedlichen beruflichen Erwartungen, Vorstellungen und Fähigkeiten Rechnung trägt.
Publikationsverlauf
Artikel online veröffentlicht:
22. August 2022
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