Zeitschrift für Komplementärmedizin 2017; 09(02): 25-27
DOI: 10.1055/s-0043-105089
Praxis
Basiswissen Palliativversorgung
© Karl F. Haug Verlag in MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co. KG

Letzte Hilfe Kurs

Georg Bollig

Subject Editor:
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Publication Date:
06 July 2017 (online)

 

Summary

Die Mehrzahl der Menschen in Deutschland stirbt in Krankenhäusern und Pflegeheimen, obwohl sich viele Menschen wünschen zuhause zu sterben. Der Letzte Hilfe Kurs soll die Bevölkerung informieren und befähigen schwerkranke und sterbende Menschen begleiten und umsorgen zu können. Der Letzte Hilfe Kurs besteht aus 4 Modulen zu den Themen Begleiten und Umsorgen Sterbender; Vorsorgen und Entscheiden; Symptome lindern und Abschied nehmen. Die Kurse werden in der Bevölkerung mit großem Interesse aufgenommen. Die flächendeckende Implementierung von Letzte Hilfe Kursen kann helfen, die Bevölkerung zu informieren und möglicherweise dazu beitragen, mehr Menschen ein Sterben zuhause zu ermöglichen.


Basiswissen über Sterbebegleitung und Umsorgen am Lebensende für die gesamte Bevölkerung

Georg Bollig

Einleitung

66 % der Deutschen wünschen sich zuhause zu sterben, doch nur für 20 % ging dieser Wunsch bisher in Erfüllung [1]. Vielen Menschen fehlt Grundlagenwissen zur Begleitung Sterbender und Wissen über die im lokalen Umfeld vorhandenen Unterstützungsangebote der Palliativversorgung. Um der demographischen Entwicklung und der zu erwartenden Steigerung des Bedarfs an allgemeiner Palliativversorgung begegnen zu können, braucht es neben professionellen Hilfsangeboten und einer ausreichenden pflegerischen Versorgung auch das Engagement möglichst vieler Bürger. Alle Menschen sollten daher lernen, Sterbende zu begleiten und zu umsorgen. Analog zur Ausbildung in Erster Hilfe sollten alle Menschen bereits in der Schule auch Grundlagen der Letzten Hilfe und der Begleitung sterbender Menschen erlernen.

Der Letzte Hilfe Kurs zielt darauf ab, Wissen über die Palliativversorgung und der Begleitung sterbender Menschen in der Bevölkerung zu verbreiten. Das vom Bundestag 2015 beschlossene Gesetz zur Verbesserung der Hospiz- und Palliativversorgung beinhaltet auch die Forderung nach Information der Bevölkerung über die bestehenden Angebote der Palliativversorgung [2], [3]. Der Letzte Hilfe Kurs ist ein niedrigschwelliges Informationsangebot für die gesamte Bevölkerung das hierzu beitragen kann.


Das Konzept der Letzte Hilfe Kurse

Der bereits 2008 erstmals von mir formulierte Allgemeinwissensansatz, die Kette der Palliativversorgung ([ Abb. 2 ]) und Letzte Hilfe Kurse [4], [5], [6] sollen Grundlagenwissen über Palliativversorgung vermitteln und die öffentliche Diskussion über Sterben und Tod anregen.

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Abb. 2 Die Kette der Palliativversorgung – Chain of Palliative Care. © G. Bollig

Die Kette der Palliativversorgung ([ Abb. 2 ]) illustriert die Notwendigkeit der engen Zusammenarbeit aller Beteiligten, um optimale Palliativversorgung zu gewährleisten. Letzte Hilfe Kurse dienen dem Wissenserwerb über Palliativversorgung und Umsorgung am Lebensende sowie der Reflexion eigener Erfahrungen und der Entwicklung einer palliativen und mitmenschlichen Grundhaltung. Die Ausbildung in Letzte Hilfe und ein Allgemeinwissen über Palliativversorgung soll helfen, den Bedarf für Palliativversorgung zu erkennen und sich unter Berücksichtigung der eigenen Möglichkeiten und Fähigkeiten an der Palliativversorgung von Familienangehörigen, Freunden oder Nachbarn zu beteiligen. In Fällen, wo eine Versorgung zuhause oder im Heim nicht möglich oder unzureichend ist, sollten Patienten ihren aktuellen Bedürfnissen entsprechend in Hospizen oder auf Palliativstationen versorgt werden.

Der Letzte Hilfe Kurs umfasset 4 Module mit je 45 Minuten pro Modul. Die 4 Module haben folgende Schwerpunkte:

  • 1. Sterben ist ein Teil des Lebens

  • 2. Vorsorgen und Entscheiden

  • 3. Körperliche, psychische, soziale und existenzielle Nöte lindern

  • 4. Abschied nehmen vom Leben

Üblicherweise wird der Kurs an einem Nachmittag oder Abend innerhalb von 3,5 Zeitstunden abgehalten. Zu den genutzten Lehrmethoden gehören Impulsvorträge, Lehrgespräche in der Gruppe, Gruppendiskussion und Austausch in einer Minigruppe von 2–3 Teilnehmern sowie praktische Übungen zur Mundpflege. Das Konzept wurde zwischen 2009 und 2014 in Zusammenarbeit von deutschen, österreichischen, norwegischen und dänischen Experten für Palliative Care und Palliativmedizin weiterentwickelt [5]. Die Inhalte der vier Module finden sich in [ Tab. 1 ].

Tab. 1

Letzte Hilfe Kurs: Module und Kursinhalte

Modul Nr.

Thema

Kursinhalte (Beispiele)

Modul 1

Sterben ist ein Teil des Lebens

Sterben ist ein Teil des Lebens Der Sterbeprozess

Wann beginnt das Sterben?

Was passiert beim Sterben?

Wie erkennt man Sterben?

Modul 2

Vorsorgen und Entscheiden

Reaktionen auf begrenzte Lebenszeit / Sterbephasen

Rechtlicher Rahmen – Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht

Medizinische und ethische Entscheidungen

Sicherheit der geteilten Unsicherheit

Modul 3

Körperliche, psychische, soziale und existenzielle Nöte lindern

Herausforderungen rund ums Sterben

Belastende Beschwerden und Symptome

Symptomlinderung durch Medikamente

Nichtmedikamentöse Symptomlinderung

Flüssigkeitsgabe und Ernährung am Lebensende

Mundpflege

Modul 4

Abschied nehmen

Abschied nehmen / Rituale

Bestattung (Vorschriften) und Bestattungsformen

Trauern ist normal

Tod und Trauer in verschiedenen Kulturen

Kursabschluss und Klärung offener Fragen


Komplementärmedizinische Inhalte des Letzte Hilfe Kurses

Zu den Kursinhalten gehören sowohl die medikamentöse als auch die nichtmedikamentöse Symptomlinderung. Den Teilnehmern werden 4 grundsätzliche Strategien des Umsorgens vermittelt. Hierzu gehören:

  • „Da sein“

  • Nichtmedikamentöse Maßnahmen

  • Medikamente

  • „Bleiben und aushalten“

Zusammenfassung

Die Mehrzahl der Menschen in Deutschland stirbt in Krankenhäusern und Pflegeheimen, obwohl sich viele Menschen wünschen zuhause zu sterben. Der Letzte Hilfe Kurs soll die Bevölkerung informieren und befähigen schwerkranke und sterbende Menschen begleiten und umsorgen zu können. Der Letzte Hilfe Kurs besteht aus 4 Modulen zu den Themen Begleiten und Umsorgen Sterbender; Vorsorgen und Entscheiden; Symptome lindern und Abschied nehmen. Die Kurse werden in der Bevölkerung mit großem Interesse aufgenommen. Die flächendeckende Implementierung von Letzte Hilfe Kursen kann helfen, die Bevölkerung zu informieren und möglicherweise dazu beitragen, mehr Menschen ein Sterben zuhause zu ermöglichen.

Die Einführung in nichtmedikamentöse Methoden der Symptomlinderung umfasst verschiedene Methoden (s. Kasten) wie z. B. die Akupressur des Akupunkturpunktes Perikard 6 bei Übelkeit oder Erbrechen ([ Abb. 1 ]).

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Abb. 1 Akupressur von Pe 6 bei Übelkeit.

Erfahrungen mit den Letzte Hilfe Kursen

Die erste Erprobung des Kurskonzepts Letzte Hilfe in Deutschland fand zwischen Januar und März 2015 in drei Pilotkursen in Schleswig-Holstein statt. Die Erprobung hat die Praktikabilität des Konzepts und die positive Aufnahme durch Teilnehmer aus der Bevölkerung bestätigt. In der Pilotstudie bewerteten 81 % der Teilnehmer den Letzte Hilfe Kurs mit sehr gut [7]. Die Teilnehmer beschrieben unter anderem die offenen Gespräche über Leben und Tod; die natürliche Art mit dem Thema Sterben umzugehen sowie die kompakte Vermittlung von Inhalten und aus dem Leben gegriffene Beispiele, die diese Inhalte unterstrichen haben als besonders positive Aspekte des Kurses. Das Projekt Letzte Hilfe Kurse erhielt 2015 den „Anerkennungs- und Förderpreis für ambulante Palliativversorgung“ der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin, gestiftet von der Firma Grünenthal und wurde als eines der besten Sozialprojekte Deutschlands im Rahmen von startsocial von Bundeskanzlerin Angela Merkel ausgezeichnet [5].

Die Kursteilnehmer hatten nur wenige Vorschläge zur Verbesserung des Kurses und empfanden den Kurs als umfassend und ihren Bedürfnissen entsprechend gelungen. Wünsche zur Verbesserung waren z. B. mehr praktische Übungen, Berichte über persönliche Erfahrungen vom Moment des Todes, die Erweiterung der Themen Symptome und Beschwerden lindern, Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht, sowie ein begleitendes Kursskript bzw. eine Broschüre. 2016 ist ein Begleitbuch zum Kurs für Teilnehmer im hospizverlag erschienen [8].

Übersicht über nichtmedikamentöse Maßnahmen der Letzten Hilfe
  • Da sein / zuhören

  • Berührung / leichte Massage

  • Bewegung

  • Entspannung

  • Meditation

  • Akupressur (Akupunktur / Transkutane elektrische Nervenstimulation)

  • Aromatherapie

  • Psychologische Schmerzbehandlung

  • Ruhige Umgebung

  • Lagerung

  • Beruhigende Musik

  • Rituale (z. B. singen und beten)

  • Mundpflege

  • Kangarooing


Ausblick

Derzeit erfolgt die weitere Verbreitung in Deutschland durch das Projekt Letzte Hilfe [9] in Zusammenarbeit mit dem Institut für Palliative Care und Organisationsethik / IFF Wien, Österreich und der Paula Kubitschek-Vogel Stiftung München. Mittlerweile haben in Deutschland schon mehr als 1000 Bürger an Letzte Hilfe Kursen teilgenommen und 200 Kursleiter wurden ausgebildet und zertifiziert. Als Kursleiter können sich Menschen mit praktischer Erfahrung in der Palliativversorgung und Lehrerfahrung in der Erwachsenenbildung weiterbilden lassen [9]. Am 4.5.2017 wird in Hamburg das erste Letzte Hilfe Symposium stattfinden. Eine begleitende wissenschaftliche Evaluation läuft und Ergebnisse werden im Herbst 2017 erwartet. Mehr Informationen finden sich unter [9].

Der Umgang mit Sterben und Tod sollte zur Allgemeinbildung aller Menschen gehören. Letzte Hilfe Kurse können zur Information der Bevölkerung dienen und möglicherweise dazu beitragen das in der Zukunft mehr Menschen zuhause gut begleitet sterben können.

Interessenkonflikt: Der Autor erklärt, das er in den letzten 5 Jahren Vortragshonorare von den Firmen Mundipharma und Grünenthal erhalten hat. Er hat Honorare für die Schulung von Letzte Hilfe Kursleitern erhalten und ist Inhaber der eingetragenen Marke Letzte Hilfe.

Online zu finden unter http://dx.doi.org/10.1055/s-0043-105089



Dr. med. Georg Bollig, PhD, MAS Palliative Care

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Palliative Care Team
Department of Pulmonology and Oncology
Medical Center, Hospital of Southern Jutland,
Sønderborg, Denmark
Sydvang 1
6100 Sønderborg, Denmark

georg.bollig@rsyd.dk


Georg Bollig ist Palliativmediziner, Anästhesist und Forscher mit den Zusatzbezeichnungen Palliativmedizin, Akupunktur, Spezielle Schmerztherapie und Notfallmedizin. Er ist ärztlicher Leiter des Palliativ-Teams für die Region Sønderjylland und des Hospizes in Haderslev in Dänemark. Von 2009–2016 war er Vorstandsmitglied der Norwegischen Palliativgesellschaft. Er ist Mitglied von Arbeitsgruppen der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin und Sprecher der Arbeitsgruppe Palliative Care in stationären Pflegeeinrichtungen des Hospiz- und Palliativverbandes Schleswig-Holstein.



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Abb. 2 Die Kette der Palliativversorgung – Chain of Palliative Care. © G. Bollig
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Abb. 1 Akupressur von Pe 6 bei Übelkeit.