Flugmedizin · Tropenmedizin · Reisemedizin - FTR 2017; 24(05): 215
DOI: 10.1055/s-0043-119679
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Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Weitere Untersuchungen und Surveillance bei Risikogruppen notwendig

Tuberkuloseüberwachung bei Migranten nach der Einreise
Gerd Burchard
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Korrespondenzadresse

Prof. Dr. med. Gerd Burchard
Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin
Bernhard-Nocht-Str. 74, 20359 Hamburg

Publication History

Publication Date:
20 October 2017 (online)

 

Migranten und Asylbewerber aus Hochinzidenzländern der Tuberkulose (TB) haben ein erhöhtes Risiko, bereits bei der Einreise in andere Länder mit niedriger TB-Inzidenz aktiv an einer TB erkrankt oder latent mit M. tuberculosis infiziert zu sein. Eine andere Frage ist jedoch, wie hoch die TB-Inzidenz bei denjenigen Migranten aus Hochinzidenzländern ist, bei denen sich im Screening zunächst keine aktive TB nachweisen ließ. Hierzu gibt es bisher kaum Daten.


In der vorliegenden Arbeit wird jetzt erstmals eine Metaanalyse der Daten zu diesem Thema vorgelegt. In ihr wurden 20 Studien berücksichtigt, in denen insgesamt 8 355 030 Migranten aus Hochinzidenzländern eingeschlossen waren, bei denen bei Einreise keine aktive TB gefunden wurde. Es wurden Kriterien definiert, bei deren Vorhandensein – trotz des fehlenden Nachweises einer aktiven TB bei Einreise – im weiteren Verlauf möglicherweise eher mit der Entwicklung einer TB zu rechnen sei: radiologische Veränderungen mit anschließend negativen mikrobiologischen Untersuchungsergebnissen, aktive TB in der Vorgeschichte, Kontakt zu Tuberkulösen oder positiver IGRA. Entsprechend dieser Definition wurden 222 375 Personen in die Auswertung eingeschlossen.

Insgesamt betrug die gepoolte kumulative TB-Inzidenz 2794 pro 100 000 Personen (95%-KI 2179–3409) – damit lag sie sehr viel höher als die TB-Inzidenz in den Aufnahmeländern. In 8 Studien wurde die TB-Inzidenz beim ersten post-migration assessment angegeben: 3284 pro 100 000 (95%-KI 2173–4395). Ein interessanter Befund war, dass die TB-Inzidenz höher war, wenn beim pre-migration screening nur Röntgenthorax und Sputummikroskopie gemacht worden waren, im Vergleich zu Röntgenthorax und Sputumkultur.

Kommentar

Screeninguntersuchungen (pre-migration screening) vor Ausreise im Herkunftsland (pre-entry) oder bei Ankunft im Aufnahmeland (at-entry) werden in erster Linie durchgeführt, um aktiv erkrankte Personen zu erkennen und zu behandeln – nicht zuletzt um das Risiko einer Transmission zu verhindern, auch wenn in epidemiologischen Studien kein signifikanter Einfluss der TB bei Migranten auf die einheimische Bevölkerung festgestellt werden konnte [1]. Meist werden hierzu Röntgen-Thorax-Untersuchungen, Sputummikroskopie oder -kultur oder spezifische Fragebögen eingesetzt. In einer Metaanalyse aus dem Jahr 2014 lag die Inzidenz bei solchen Screeninguntersuchungen bei 339 pro 100 000 Personen [2].

Die Metaanalyse aus Australien zeigt klar auf, dass Migranten aus Hochinzidenzländern nicht nur auf eine aktive TB gescreent werden sollten, sondern dass weiterhin bei denen, bei denen sich eine aktive TB nicht nachweisen lässt, diejenigen erfasst werden müssen, bei denen ein hohes Risiko besteht im weiteren Verlauf trotzdem eine TB zu entwickeln. Die Kriterien sind in der Arbeit genannt. In dieser Gruppe ist das TB-Risiko deutlich höher als in bekannten Risikogruppen wie zum Beispiel Patienten mit HIV-Infektion, Patienten nach Organtransplantation oder unter Therapie mit TNF-Blockern. Dementsprechend ist für diese Gruppe eine konsequente Surveillance erforderlich, gegebenenfalls wäre auch eine präventive Therapie zu erwägen. Eine andere Konsequenz aus der Studie ist, dass bei auffälligen Röntgen-Thorax-Befunden beim pre-migration screening nicht nur eine Sputummikroskopie sondern auch eine Sputumkultur angeschlossen werden sollten.

Einige wichtige Fragen werden von der Studie nicht beantwortet. So konnte keine Subgruppenanalyse in Hinblick auf die verschiedenen Herkunftsländer durchgeführt werden. Bekanntermaßen ist die Inzidenz sehr unterschiedlich. So wurden in einer aktuellen Studie aus Deutschland beim Screening auf aktive TB (at-entry) Inzidenzen von 10 pro 100 000 Asylbewerbern aus dem Irak und 683 pro 100 000 aus Somalia gesehen [3].

FAZIT

Migranten aus Hochinzidenzländern sollten nicht nur auf eine aktive TB gescreent werden. Es sollten auch diejenigen erfasst werden, bei denen ein hohes Risiko besteht, im weiteren Verlauf eine aktive TB zu entwickeln. Für diese Gruppe ist eine konsequente Surveillance erforderlich. Weiterhin sollten bei auffälligen Röntgen-Thorax-Befunden nicht nur eine Sputummikroskopie sondern auch eine Sputumkultur angeschlossen werden.

Es kann aus der Metaanalyse nicht abgeleitet werden, dass neben dem Screening auf aktive Tuberkulose auch generell eine Untersuchung auf eine latente Tuberkulose erfolgen sollte. Letztlich können aber nur durch konsequente Behandlung latent infizierter Personen aus Risikogruppen die Transmission von M. tuberculosis und das Auftreten neuer Erkrankungen verhindert werden, also eine Elimination der TB erreicht werden [4], [5].




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Prof. Dr. med. Gerd Burchard
Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin
Bernhard-Nocht-Str. 74, 20359 Hamburg