Gesundheitswesen 2025; 87(S 01): S28
DOI: 10.1055/s-0045-1801945
Abstracts │ BVÖGD, BZÖG, DGÖG, LGL
01.04.2025
Mortalitätsanalysen und Todesbescheinigungen
11:30 – 13:00

Identifikation assistierter Suizide über dokumentierte Arzneistoffe in Todesbescheinigungen – Ein Update für Gesundheitsämter

S Gleich
1   Gesundheitsreferat der LH München
2   Institut für Rechtsmedizin der Universität München
,
J Schienhammer
2   Institut für Rechtsmedizin der Universität München
,
O Peschel
2   Institut für Rechtsmedizin der Universität München
,
M Graw
2   Institut für Rechtsmedizin der Universität München
,
B Schäffer
2   Institut für Rechtsmedizin der Universität München
› Author Affiliations
 
 

    Einleitung: Seit 2020 ist in Deutschland aufgrund eines Urteils des Bundesverfassungsgerichtes der assistierte Suizid (AS) bei freiverantwortlichen Personen unter bestimmten Voraussetzungen zulässig. Mangels einer Meldepflicht sind AS derzeit nur durch Auswertung der ärztlichen Angaben in den Todesbescheinigungen (TB) identifizierbar. Dies ist den Gesundheitsämtern grundsätzlich möglich, da ihre Dienstaufgaben auch die Sichtung und Archivierung aller TB in ihrem Amtsbezirk umfassen. Vor diesem Hintergrund wurden die Häufigkeiten der für den AS eingesetzten Arzneistoffe und dokumentierte Komplikationen in München untersucht.

    Materialien & Methoden: Es wurden die Todesbescheinigungen aller Personen gesichtet, die vom 01.01.2020 bis zum 31.12.2023 in München verstarben. Bei den identifizierten AS wurden die korrespondierenden staatsanwaltschaftlichen Akten, Obduktionsberichte und toxikologischen Gutachten ausgewertet. Die Daten wurden im Anschluss an die standardisierte Dateneingabe anonymisiert und deskriptiv ausgewertet.

    Ergebnisse: Im Studienzeitraum verstarben 60.357 Personen. Als Suizide wurden 803 (1,3%) dieser Sterbefälle klassifiziert, davon 77 Fälle (9,6%) als AS. Der am häufigsten für den AS eingesetzte Arzneistoff war Thiopental (62 Fälle, 80,5 %), gefolgt von Chloroquin (13 Fälle, 16,8%) und Phenobarbital (2 Fälle, 2,7%). Der dokumentierte durchschnittliche Zeitraum zwischen Medikamentenapplikation und Versterben betrug bei Thiopental wenige Minuten, bei Chloroquin mehrere Stunden. Eingetretene Komplikationen wie Erbrechen, Aspiration, Verzögerung des Todeseintrittes bei liegendem Schrittmacher und Ulzera im Ösophagus waren nur für Chloroquin-Fälle dokumentiert.

    Zusammenfassung: Erstmalig können von einem Großstadtgesundheitsamt in Deutschland Daten zum Arzneistoffeinsatz und zu dokumentierten Komplikationen bei AS vorgelegt werden. Für das am häufigsten eingesetzte Thiopental wurden keine Komplikationen dokumentiert. Chloroquin sollte aufgrund der hohen Komplikationsrate nach fachlicher Einschätzung der Autoren nicht mehr für diesen Zweck verwendet werden. Das oral einzunehmende Pentobarbital wird jedoch, obwohl es sicher wirksam wäre, im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern in Deutschland aufgrund von Gerichtsurteilen nicht eingesetzt. Aus Sicht der Autoren sollten für die Anwendung von Pentobarbital für den AS die gesetzlichen Rahmenbedingungen entsprechend angepasst werden.


    Publication History

    Article published online:
    11 March 2025

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