Deutsche Zeitschrift für Akupunktur 2001; 44(3): 204-209
DOI: 10.1055/s-2001-17822
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Karl F. Haug Verlag in MVH Medizinverlage Heidelberg GmbH & Co. KG

Akupunktur-Ausbildung unnötig - oder eine Negativstudie mit fragwürdiger Akupunkturdurchführung und falscher Schlussfolgerung? Eine Studienkritik

Aus Wissenschaft und ForschungAcupuncture Training unnecessary - or a Negative Study with Questionable Execution of Acupuncture and False Conclusion? A Criticism of StudiesAxel Wiebrecht
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Publication Date:
15 October 2001 (online)

Fink, M.G.; Künsebeck, H.-W.; Wippermann, B.: Einfluss der Nadelakupunktur auf Schmerzwahrnehmung und Funktionseinschränkung bei Patienten mit Koxarthrose. Z. Rheumatol. 59 (2000) 191-199.

Gegenstand: Ziel war der Vergleich der Wirksamkeit einer Verumakupunktur mit der einer ungezielten Nadelung bei Koxarthrose.

Design: prospektive, randomisierte kontrollierte Studie

Zentrum: Medizinische Hochschule Hannover

Methodik: Über eine Information in der lokalen Tageszeitung wurden interessierte Patienten gewonnen. Nach Prüfung der Ein- und Ausschlusskriterien wurden diese randomisiert den zwei Behandlungsgruppen zugeteilt.

Patienten: Einschlusskriterien waren: Missempfindungen oder Schmerzen der Gluteal- und Trochanterregion, Schmerzausstrahlung über den Tractus iliotibialis bis zum Knie, gleichmäßige Beschwerden seit mindestens 6 Monaten, eine Innenrotation im Hüftgelenk von höchstens 15 Grad und radiologische Veränderungen von mindestens Grad II nach Kellgren.

Ausschlusskriterien: Hypästhesie der betreffenden Hüftregion, Ulcus cruris, Dermatitis u.a. Hautaffektionen, Immunsuppression, anderweitige Therapie mit analgetischem Effekt, Schmerzen außerhalb der Koxarthrose.

Akupunktur: Die Autoren unterscheiden 4 „Qualitätsstufen” der Akupunktur: 1. Locus dolendi-Stechen, 2. Kochbuchakupunktur, 3. „symptomorientierte Akupunktur” und 4. „Energetic balancing” unter Einbeziehung individueller Gesichtspunkte (z.B. Konstitution).

In der Studie wurde die 3. Form angewandt, weil diese in überwiegendem Maße bei Erkrankungen am Bewegungsapparat sowohl bei westlichen Akupunkteuren als auch in chinesischen Universitätskliniken zum Einsatz komme. Die Autoren beschreiben sie folgendermaßen: „Die symptomorientierte Akupunktur verwendet Ashi-Punkte und bezieht zugleich besondere Punkte in die Behandlung mit ein, die auf sogenannten Meridianen liegen und durch die schmerzhafte Region ziehen (z.B. Punkte des Gallenblasenmeridians bei Koxarthrose). Zusätzlich werden sogenannte Meisterpunkte berücksichtigt, denen eine besondere Wirkung auf bestimmte Gewebe zugeschrieben wird. Zur Behandlung einer Periarthropathie kommt der Punkt Gb 34 als ‚Meisterpunkt’ für Muskeln und Sehnen in Frage.”

Für die „Verumakupunktur” wurden die 6 am meisten druckschmerzhaften Punkte in der Glutealregion und am proximalen Oberschenkel ausgewählt (Ashi-Punkte, die mit Akupunkturpunkten zusammenfallen können). Sodann wurden Akupunkturpunkte im schmerzhaften Areal ausgewählt, „die eine enge Lagebeziehung zur erkrankten Hüftregion aufweisen und zur Behandlung der Koxarthrose bekannt sind” (Bl 54, GB 30, 31, bei Ausstrahlung der Schmerzen in die ventrale Oberschenkelregion: Ma 31 und/oder bei Ausstrahlung nach dorsal: Bl 37). „Die Auswahl zusätzlicher Punkte orientierte sich an der zu behandelnden Krankheit und den bestehenden Symptomen: Koxarthrose wird als Gelenkerkrankung den sogenannten ‚Bi-Syndromen’ zugeordnet. In der TCM liegt den Bi-Syndromen ‚eine Stauung von Qi und Blut in den Meridianen’ zugrunde.” Um dieser Stagnation entgegenzuwirken, sei der Punkt Ma 40 ausgewählt worden. Gb 34 wurde als Meisterpunkt für Sehnen und Muskulatur eingesetzt. „Die mechanische Stimulation jeder Nadel wurde bis zum Auslösen einer sog. ‚Deqi-Sensation’ durchgeführt.” Bzgl. der Punktauswahl und Stichtechnik verweisen die Autoren auf folgende Quellen:Chinese Acupuncture and Moxibustion sowie O'Connor/Bensky: „Acupuncture. A Comprehensive Text.”

„Kontrollakupunktur”: Modifizierte Form der „minimal acupuncture” nach Vincent und Lewith. „Diese wird nach den folgenden Gesichtspunkten vorgenommen: Akupunkturpunktferner Einstich, ... keine mechanische Stimulation der Nadel (z. B: Drehen), keine Deqi-Sensation.” In Abwandlung des genannten Konzepts wurde nicht subkutan genadelt, sondern „in einer Einstichtiefe, die der Verumakupunktur entsprach, da es das Ziel der vorliegenden Studie war, eine gezielte Akupunkturbehandlung gegen eine ungezielte Behandlung zu prüfen, die keinerlei Akupunkturkenntnisse erfordert, um somit den klinischen Wert der Punktlokalisation und Nadelstimulation zu erfassen. Anzahl der Nadeln und Behandlungsdauer waren der Verumakupunktur identisch.” Über die Lokalisation der genadelten Punkte finden sich keine Angaben.

Auch zu folgenden Details der Studiendurchführung finden sich in der Arbeit keine Angaben: Anzahl der Therapeuten, deren Akupunkturqualifikation, Verteilung der Therapeuten auf die Behandlungen in der Verum- bzw. Scheinakupunkturgruppe, genaue Anzahl der Nadeln in den beiden Gruppen, Reizqualität der Nadelung (z.B. reduzierende oder tonisierende Technik, Wiederholung der Nadelstimulation während der Akupunktursitzung). Ferner fehlen Angaben, wie in der Kontrollgruppe die genadelten Punkte ausgewählt wurden, z.B. ob druckschmerzhafte oder Triggerpunkte, die außerhalb klassischer Akupunkturpunkte liegen, einbezogen oder sicher vermieden wurden.

Es erfolgten in beiden Behandlungsgruppen 9 Behandlungen, die innerhalb von 3 Wochen durchgeführt wurden. „Die Dauer einer Einzelbehandlung betrug 30 Min. Verwendet wurden Stahlnadeln für den Einmalgebrauch der Firma Seirin Deutschland GmbH, 0,3 × 60 mm.”

Zielparameter: Zur Beurteilung der Schmerzintensität wurde die Visuelle Analogskala nach Huskisson, zur Bestimmung der Funktionseinschränkungen der Hüftfunktionsindex nach Lequesne, zur Messung der Lebensqualität der Fragebogen „Alltagsleben” nach Bullinger und zur Einschätzung des subjektiven Gesamtbehandlungserfolgs durch die Patienten die „Comparative Scale” nach Carlsson verwendet. Die Studie wird als untersucherblind bezeichnet, doch fehlen diesbezüglich Angaben zur Umsetzung.

Untersuchungszeitpunkte: 1 Woche vor der Behandlung sowie 2 Wochen, 6 Wochen und 6 Monate nach Ende der 3-wöchigen Behandlungsphase.

Begleittherapien: wurden mindestens 3 Monate vor der Behandlung bis zum Ende der Nachuntersuchungen vermieden (z.B. NSAR, Physiotherapie).

Statistik: Die o.g. Zielparameter wurden einer multivariaten Varianzanalyse (MANOVA) unterzogen, die Irrtumswahrscheinlichkeit dabei mit α = 0,05, die Power mit P = 0,80 angesetzt.

Ergebnisse: Es wurden 67 Patienten in die Studie eingeschlossen. Die Verteilung der erfassten Parameter zeigte zwischen den Gruppen keine größeren Differenzen. Der Drop-out während der Beobachtungszeit war mit insgesamt 5 Patienten gering. Für die Ergebnisse der Interventionen werden keine absoluten Zahlen, sondern nur Graphiken und Prozentwerte wiedergegeben.

Beide Gruppen verzeichneten Verbesserungen bzgl. der Zielparameter gegenüber dem Ausgangszustand. Zusammengenommen zeigten sie eine Schmerzreduktion auf der VAS-Skala um 27 Prozent, eine Abnahme der Funktionseinschränkung um 18 Prozent, eine Steigerung der Lebensqualität um 5 Prozent und eine Abnahme der Gesamtbeschwerden (Comparative Scale) um 24 Prozent (letzteres gilt nur für 6 Wochen nach der Behandlung, nach 6 Monaten war der Ausgangszustand wieder erreicht). Diese Ergebnisse waren jeweils hochsignifikant. Zwischen den Gruppen gab es keine signifikanten Unterschiede, allerdings hielten die Behandlungsergebnisse in der Verumgruppe allgemein etwas länger an, auch waren die Verbesserungen um über 50 Prozent in der Gesamtbeurteilung in dieser Gruppe etwas häufiger (31 Prozent gegenüber 23 Prozent).

Schlussfolgerung der Autoren:

Die provokative Quintessenz der Autoren ist nur in der Zusammenfassung klar formuliert: „Die Ergebnisse legen den Schluss nahe, dass für den schmerzdämpfenden Effekt einer Nadelakupunktur zur Behandlung der Koxarthrose die lokale Behandlung mit Akupunktur ausreichend ist, wobei für die Durchführung der Akupunktur keine speziellen Akupunkturkenntnisse der Chinesischen Medizin nötig sind.” Als Erklärung liefern die Autoren, dass durch eine Nadelung in den schmerzhaften Dermatomen des betroffenen Hüftgelenks eine Schmerzmodulation über segmentale und zentrale Schmerzhemmmechanismen erzielt werde, ohne dass hierfür eine exakte Lokalisation bestimmter Körperpunkte nötig sei.

Literatur

  • 01 Praxis-Depesche. 15: (2) 2001;  48
  • 02 Hróbjartsson A., Gøtzsche P. C.. Is the placebo powerless? An analysis of clinical trials comparing placebo with no treatment.  NEJM. 344 2001;  1594-1602
  • 03 Deadman P.. Großes Handbuch der Akupunktur. Verlag für ganzheitliche Medizin. Dr. Erich Wühr, Kötzting 2000

Dr. Axel Wiebrecht

Isoldestr. 2

D-12159 Berlin

Email: Axel.Wiebrecht@t-online.de

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