Psychotraumatologie 2001; 2(4): 19
DOI: 10.1055/s-2001-18450
Originalarbeit
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Extreme dienstliche Belastungssituationen und
Unterstützungsbedarf im Polizeidienst

Extremly burdening situations on job and demand for psychological support in police servicesWinfried Sennekamp1 , Harald Martin1
  • 1Berufsakademie Villingen-Schwenningen
    Fachbereich Sozialwesen
Weitere Informationen
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Autor:

Prof. Dr. W. Sennekamp

Berufsakademie Villingen-Schwenningen

Fachbereich Sozialwesen

Schramberger Str. 26

78054 VS-Schwenningen

Telefon: 07720 / 3906 - 210

eMail: Sennekamp@BA-VS.de

Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
20. Dezember 2001 (online)

 
Inhaltsübersicht #

Zusammenfassung

Anliegen: Es soll geklärt werden, in welchem Ausmaß unzureichend verarbeitete dienstliche Extrembelastungen bei Polizeibeamten langfristig in den beruflichen Alltag hineinwirken und welche Hilfsangebote auf Akzeptanz von Seiten der Betroffenen stoßen, insbesondere ein seit fünf Jahren im Bereich des Polizeipräsidiums Karlsruhe praktiziertes Modell der „PsychoSozialen Betreuung”.

Methode: Es wurden alle Mitarbeiter des Polizeipräsidiums Karlsruhe mit Hilfe eines selbst entwickelten Fragebogens untersucht. Die Betreuungsaktivitäten in den ersten 4 Jahren wurden resümiert.

Ergebnisse: 2 Drittel der Beamten haben im Dienst „extreme Situationen erlebt, die sie noch heute beschäftigen”. Diese Personen zeigen sich im beruflichen Alltag in mehrfacher Hinsicht als stärker belastet. Die Notwendigkeit von Hilfsangeboten, die einer professionellen psychotherapeutischen Versorgung vorgelagert sind, wird deutlich. Das Modell der PsychoSozialen Betreuung wird von der Mehrheit der Befragten befürwortet und hat sich als praktikabel erwiesen.

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Summary

Purpose: To determine the effect on long-term professional activities of police officers who experience traumatic situations that are insufficiently dealt with, and what type of psychological support is demanded and accepted by the persons concerned; especially the acceptance of a special model of „PsychoSocial Care”, established and conducted for 4 years in Karlsruhe, Germany, is examined.

Methods: The members of the police department of Karlsruhe were examined by a self-constructed questionnaire. The consulting activities of the first 4 years are summarised.

Results: 2/3 of the officers have experienced extreme situations on duty, which they are occupied with till today. These persons suffer from a higher degree of stress in every aspect of their police career. The necessity for psychological support to be available and carried out by trained and supervised colleagues is clearly established. The offer of PsychoSocial Care is recommended by the majority of persons who filled in the questionaire.

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Einleitung

Polizeibeamte sind einem erheblichen Risiko ausgesetzt, in Ausübung ihres Dienstes psychische Traumatisierungen zu erleiden. Es ist möglicherweise für die Betroffenen nicht leicht, sich um Hilfe zu bemühen, da dies die Selbsteinschätzung eines belastungsfähigen Polizisten in Frage stellt und auch vor den Kollegen nicht einfach zu vertreten ist. So kommt Ley [1, S. 70] aus der Betreuung traumatisierter Mitarbeiter zu dem Ergebnis: „Alle Polizeibeamten äußerten den Wunsch nach einer besseren Einsatzvor- und Einsatznachbereitung, während keiner ein Therapiebedürfnis artikulierte (...). Dabei ging aus ihren Ausführungen hervor, dass das fehlende Therapiebedürfnis zweifach bedingt war:

  • zum einen war für die Polizeibeamten der Begriff Therapie mit negativen Vorstellungen verbunden. Sich in Therapie zu begeben wurde gleichgesetzt mit dem Aufsuchen eines Nervenarztes, weil man ‚nicht richtig im Kopf’ sei;

  • zum anderen unterstellten die Polizeibeamten, dass auch die hierarchisch vorgesetzten Stellen und die allermeisten Kollegen so dachten - und befürchteten daher, dass die Artikulation des Therapiewunsches dazu führen werde, in ihrer Organisation als psychisch krank, d. h. als nicht leistungs- und belastungsfähig stigmatisiert (...) zu werden.”

Die Polizei bietet zwar in bestimmten Extremsituationen fachliche Hilfe an, das Hilfssystem der Polizei wird in seiner Akzeptanz jedoch dadurch gemindert, dass die weitere Verwendung und Beförderung davon abhängt, wie der Polizeiarzt als zentrale Ansprechstelle die psychische Belastbarkeit des Betroffenen einschätzt. Die Bundesländer favorisieren unterschiedliche Versorgungsmodelle: so wurden in Nordrhein-Westfalen „Soziale Ansprechpartner” für die Mitarbeiter aller Landesbehörden ausgebildet [2]; in Rheinland-Pfalz und in Frankfurt/M. stellte man Sozialarbeiter ein. Eine umfassende Darstellung verschiedener Ansätze findet man bei Bohlender [3]. In Baden-Württemberg werden Polizeibeamte als „Konflikthandhabungstrainer” in zentralen Schulungen darauf vorbereitet, bei dienstlichen Extremsituationen zur Vorbeugung und Bewältigung von posttraumatischen Belastungsstörungen erste Gespräche mit den betroffenen Kolleginnen und Kollegen zu führen und sie, wenn erforderlich, an fachlich-psychotherapeutische Hilfe zu vermitteln. Problematisch ist allerdings, dass sie gegenüber den Vorgesetzten des Betroffenen und dem koordinierenden Polizeiarzt zur Auskunft verpflichtet sind.

Im Bereich des Polizeipräsidiums Karlsruhe entstand demgegenüber eine „PsychoSoziale Betreuung”, die als ein Zusammenschluss von geschulten Mitarbeitern betriebsinterne Hilfe anbietet. Sie entwickelte sich u. a. aus einer Suchtberatung und einem Arbeitskreis für betriebliche Sozialarbeit. Es wurden folgende Leitlinien entwickelt:

  • Das Angebot soll sich spezifisch an die Mitarbeiter der Polizei richten.

  • Es soll alle Belastungssituationen umfassen, dienstliche wie private, extreme Einzelsituationen wie chronische Schwierigkeiten im Alltag.

  • Das Angebot besteht in einer wenige Termine umfassenden Beratung durch geschulte Kollegen, die durch regelmäßige Supervisionen kooperieren.

  • Ziel der Beratung ist entweder eine Entlastung des Betroffenen, so dass dieser seinen Konflikt mit eigenen Mitteln weiter bearbeiten kann, oder, wenn dies nicht erreicht werden kann, eine Vermittlung an professionelle Hilfe sowie Begleitung und Unterstützung während einer Warte- und Übernahmezeit.

  • Gegenüber dem jeweiligen Vorgesetzten und dem Polizeiarzt soll Verschwiegenheit garantiert werden können.

Natürlich steht es den betroffenen Beamten frei, außerdienstlich therapeutische Hilfe in Anspruch zu nehmen. Dies fällt allerdings wohl vielen nicht leicht, da sie Grenzen der eigenen Belastbarkeit eingestehen müssen und häufig befürchten, in ihrem Ansehen vor Kollegen und Vorgesetzten Schaden zu nehmen. Zudem ist möglicherweise ein Hindernis, dass ein externer Therapeut mit der beruflichen Situation der Polizeibeamten weniger vertraut ist.

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Problemstellung

Zur Bedarfsermittlung der PsychoSozialen Betreuung wurde am Polizeipräsidium Karlsruhe 1996 eine Befragung aller 1 717 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter durchgeführt, die klären sollte,

  • wie subjektiv belastend die Mitarbeiter sowohl den täglichen Polizeidienst wie auch dienstliche Extremsituationen erleben,

  • ob von den Betroffenen ein Bedarf an psychosozialer Betreuung gesehen wird,

  • ob Hilfe durch geschulte Kolleginnen und Kollegen akzeptiert würde und

  • in welcher Form diese Hilfe angeboten werden kann.

Diese Daten bieten Gelegenheit zu betrachten, wie eine Berufsgruppe, die einem besonderen Risiko traumatisierender Erfahrungen im Rahmen ihres Dienstes ausgesetzt ist, Hilfsmöglichkeiten in Abhängigkeit von eigenen Erfahrungen mit extrem belastenden Situationen beurteilt.

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Vorgehen

Einer der beiden Autoren (H.M.), der als Kriminalhauptkommissar am Polizeipräsidium Karlsruhe und Mitinitiator der PsychoSozialen Betreuung tätig ist, entwickelte in Abstimmung mit der Dienststelle und den damals 10 Kolleginnen und Kollegen der PsychoSozialen Betreuung einen Fragebogen, der an alle 1.717 Mitarbeiter des Polizeipräsidiums Karlsruhe mit der Bitte um anonyme Angaben versandt wurde [4]. Außerdem wurden die ersten 4 Jahre der Beratungstätigkeit ausgewertet.

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Ergebnisse

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Repräsentativität des Datenmaterials

540 Fragebögen (31,6 %) wurden zurückgesandt und waren auswertbar.

Vergleicht man Merkmale der Stichprobe mit der der Gesamtgruppe der Polizeibeamten aus Baden-Württemberg (Daten aus 1993, [5]; siehe Tab. 1), so fällt auf, dass sich die jüngeren Beamten signifikant weniger beteiligt haben, als nach der landesweiten Verteilung zu erwarten gewesen wäre[1].

Tabelle 1: Altersverteilung in der untersuchten Stichprobe des Polizeipräsidiums Karlsruhe im Vergleich zur Polizei im Bundesland Baden-Württemberg
AltersgruppeStichprobeBaden-Württemberg
< 34 Jahre24 %37 %
34 - 42 Jahre46 %37 %
> 42 Jahre30 %26 %

Es finden sich in der Stichprobe 5 % Frauen, beim Polizeipräsidium Karlsruhe dagegen nur 3 % (28 Frauen); damit haben sich weibliche Mitarbeiter signifikant häufiger an der Befragung beteiligt als Männer[2]; quantitativ spielt diese Gruppe jedoch nur eine geringe Rolle. Nur 7 % der Fragebögen wurden von Mitgliedern der Kriminalpolizei zurückgegeben, die jedoch 15 % am Polizeipräsidium Karlsruhe stellen; diese Differenz ist statistisch nicht signifikant[3].

Zusammenfassend sind zwar jüngere und männliche Beamte unterrepräsentiert, da die Stichprobe jedoch fast ein Drittel der Mitarbeiter erfasst, kann sie trotzdem als hinreichend repräsentativ betrachtet werden.

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Extreme Belastungssituationen

68 % der Befragten haben „extreme Situationen erlebt, die sie noch heute beschäftigen”, 10 % einmal, 48 % selten und 10 % häufiger. Hier werden z. B. genannt: Schusswechsel mit Straftätern, Überbringen einer Todesnachricht an Angehörige, sterbender Kollege, vergewaltigte Frauen, tote Kinder, Brandopfer, verweste Leichen. Umgekehrt sollte man sich vor Augen halten, dass etwa ein Drittel der Antwortenden entweder keine Extremsituationen - nach eigener Einschätzung - erlebt oder sie so verarbeitet hat, dass sie als innerlich abgeschlossen gesehen werden.

Es ist naheliegend, dass extreme Belastungssituationen um so häufiger erlebt worden sind, je länger der Befragte bereits bei der Polizei Dienst tut; die Korrelation ist mit 0,19 hoch signifikant (p < 0,001). Polizistinnen haben zwar seltener, aber doch in 48 % mindestens eine Extremsituation erlebt; bei den Männern sind es 68 %.

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Belastungssituationen im dienstlichen Alltag

Auf die Frage:„Wie oft haben Sie belastende Situationen im täglichen Dienst erlebt, über die Sie mit jemanden sprechen wollen?” gaben 6 % (mehrmals oder fast) täglich an, 13 % wöchentlich und 79 % seltener[4] (siehe Tab. 2, Zeile „insgesamt”). Dies erscheinen uns Werte zu sein, wie sie auch in vergleichbaren sozialen Berufen vorkommen könnten, etwa im Krankenhaus.

Tabelle 2: Zusammenhang zwischen Alltags- und Extrembelastung („Wie oft haben Sie belastende Situationen im täglichen Dienst erlebt, über die Sie mit jemanden sprechen wollen?”) (Fehlende Einzelwerte führen zu Randsummen < 100 %, N = 540)
Alltagsbelastung
täglichwöchentl.eher
seltener
Extrembelastunghäufiger22 %44 %33 %
selten5 %13 %80 %
einmal0 %5 %91 %
nie2 %6 %90 %
insgesamt6 %13 %79 %

Tab. 2 zeigt eindrucksvoll, dass 22 % derjenigen, die häufiger einer Extrembelastung ausgesetzt waren, täglich Situationen als belastend und besprechungsbedürftig erleben; dagegen ist dies kaum der Fall, wenn Extrembelastungen selten, einmal oder nie angegeben werden. Umgekehrt können nur ein Drittel der Beamten mit häufiger Extrembelastung ihren alltäglichen Dienst versehen, ohne sich mindestens wöchentlich so unter Druck zu fühlen, dass sie gern ein Gesprächsangebot in Anspruch nähmen, während dies bei den übrigen Mitarbeitern 80 - 91 % sind. Statistisch ist der Zusammenhang zwischen den beiden Merkmalen hochsignifikant, die Korrelation beträgt 0,47[5].

Unterschiede zwischen den Dienstzweigen (Streifendienst, Tagesdienst, Schutzpolizei, Kriminalpolizei etc.) ließen sich nicht nachweisen.

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Auswirkung auf die Befindlichkeit

Wir fragten die Beamten, ob „sich die bisher im Dienst erlebten schwierigen und belastenden Situationen negativ auf Ihr Wohlbefinden ausgewirkt haben”. Dies ist bei zwei Dritteln „natürlich” oder „eher weniger” der Fall (siehe Tab. 3, letzte Zeile: 46 % + 21 %).

Tabelle 3: Zusammenhang zwischen Extrembelastung und Auswirkung (alltäglicher oder außergewöhnlicher) dienstlicher Belastungssituationen auf das eigene Wohlbefinden.
Auswirkung auf Wohlbefinden
natürlicheher wenigereher nichtnicht
häufiger85 %9 %6 %0 %
Extrembelastungselten54 %25 %18 %3 %
einmal58 %15 %22 %5 %
nie18 %22 %31 %27 %
insgesamt46 %21 %21 %11 %

Gliedert man nach erlebter Extrembelastung auf, so wird deutlich, dass Auswirkungen auf die eigene Befindlichkeit bei den häufig Belasteten mit 85 % erheblich ausgeprägter sind als bei den übrigen. Umgekehrt haben diejenigen, die keine Auswirkung belastender Situationen auf ihre Befindlichkeit angeben, zum überwiegenden Teil keine Extrembelastung hinter sich (27 % gegenüber 3 + 5 = 8 %). Die statistische Korrelation zwischen den beiden Merkmalen beträgt 0,45 und ist damit hochsignifikant[6].

Es wurde bereits erwähnt, dass die Häufigkeit von Extrembelastungen mit den Dienstjahren zunimmt. Es soll daher betrachtet werden, ob ein Zusammenhang von Dienstalter und belastungsbedingter Beeinträchtigung des Wohlbefindens besteht (siehe Tab. 4).

Tabelle 4: Mittelwert der Dienstjahre, aufgegliedert nach Auswirkung belastender Situationen auf das eigene Wohlbefinden („Haben sich die bisher im Dienst erlebten schwierigen und belastenden Situationen negativ auf Ihr Wohlbefinden ausgewirkt?”)
Auswirkung auf Wohlbefinden
natürlicheher wenigereher nichtnicht
Dienstjahre 20,918,416,814,8
(Mittelwert)

Man sieht, dass mit zunehmenden Dienstjahren ein Zusammenhang von Belastung und Wohlbefinden deutlicher erlebt wird: diejenigen, die „natürlich” Auswirkungen von Belastungen auf ihre Befindlichkeit feststellten, hatten im Mittel 20,9 Dienstjahre hinter sich, diejenigen, die keine Auswirkungen wahrnahmen, dagegen nur 14,8.

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Gespräch mit Kollegen und Vorgesetzten

Es ist naheliegend, dass - vor allem extreme - Belastungssituationen in Gesprächen mit Vorgesetzten und Kollegen bearbeitet werden und die Betroffenen sich auf diese Weise systemintern zu entlasten versuchen. Wir interessierten uns dafür, in welchem Ausmaß dies gelingt und fragten: „Hat ein Gespräch mit Kollegen und/oder Vorgesetzten für Sie ausgereicht, mit dem Erlebten klar zu kommen?”

  1. ich habe mich vollständig verstanden gefühlt

  2. es hat mir Entlastung gebracht

  3. es hat mir weniger Entlastung gebracht

  4. es hätte besser sein können

  5. ich war danach noch aufgewühlter

Tabelle 5: Gesprächserfolg (Codierung s. Text) je nach Extrembelastung bei N = 477 Personen, die ein entsprechendes Gespräch geführt und die Frage beantwortet haben.
Gesprächs-Erfolg
12345
häufiger2 %36 %26 %24 %12 %
Extrem-selten 7 %45 %17 %27 %5 %
belastungeinmal4 %47 %13 %32 %4 %nie18 %52 %5 %23 %2 %
insgesamt9 %46 %14 %26 %4 %

Tab. 5 (unterste Zeile) zeigt, dass 55 % der Polizeibeamten sich durch Gespräche mit Kollegen und/oder Vorgesetzten entlasten konnten oder sich sogar vollständig verstanden gefühlt haben (Kategorie 1 und 2, 9 % + 46 %). Dieser Prozentsatz sinkt um so mehr, je häufiger die betroffene Person extremen Belastungen ausgesetzt war - von (18 + 52 = ) 70 % der Unbelasteten bis (36 + 2 = ) 38 % derjenigen, die häufigere Extremsituationen erlebt haben. Umgekehrt ist eindrucksvoll, wie ein deutlich negatives Gesprächsergebnis („ich war danach noch aufgewühlter”, Kategorie 5) von 2 % bei den Unbelasteten bis 12 % bei den häufiger Belasteten ansteigt.

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Bedarf an Beratung

Interne Gespräche können also nach der Einschätzung der Betroffenen umso weniger zu einer Entlastung beitragen, je größer die erlebte Belastung ist. Dementsprechend wird die Frage nach Beratung („Halten Sie es für möglich, dass Sie Entlastung dadurch erfahren können, dass Sie mit jemand anderem als dem unmittelbaren Kollegen und/oder Vorgesetzten über eine belastende Situation sprechen können ?”) von 77 % der Befragten bejaht, wobei auch hier wieder die Unbelasteten mit 68 % deutlich niedriger liegen; mit dem Ausmaß der Belastung steigt der Beratungsbedarf bis auf 83 % an.

Die Befragten geben als gewünschte Gesprächspartner an (wobei Mehrfachnennungen möglich waren, N = 499 Antworten):
Kriseninterventionsdienst (polizei-extern)49 %
PsychoSoziale Betreuung (polizei-intern)43 %
Vertrauensperson, Freund(in), Familienmitglieder16 %
Personalrat9 %
Fachleute wie Psychotherapeut, Polizeipfarrerin etc5 %

Dabei werden folgende Rahmenbedingungen gewünscht (auch hier Mehrfachnennungen möglich, N = 709 Antworten):
unter vier Augen53 %
zusammen mit der Dienstgruppe20 %
innerhalb einer Gruppe von Betroffenen12 %

Wir fragten weiterhin nach der Akzeptanz des am Polizeipräsidium Karlsruhe praktizierten Modells der „PsychoSozialen Betreuung”: 61 % der Befragten befürworten das Angebot uneingeschränkt („ja”), 26 % eingeschränkt („vielleicht”).

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Durchgeführte Beratungen

In den Jahren 1997 - 2000 wurden 112 Klienten beraten, mit denen durchschnittlich 3 - 5 Gespräche stattfanden. In 61 % der Betreuungen gelang es, den Betroffenen zu einer selbständigen Problembewältigung zu befähigen. In den übrigen 39 % wurde an Fachleute weitervermittelt: an den Polizeiarzt als erste Anlaufadresse, Haus- oder Fachärzte, eine Praxis für Psychotherapie, ein (Fach-) Krankenhaus, den Suchtberater der Dienststelle, eine Suchtberatungsstelle oder Selbsthilfegruppe.

Wir werten es als ein Zeichen von hoher Akzeptanz und Vertrauen, dass 52 % der Kolleginnen und Kollegen, die in Belastungssituationen geraten waren, selbst um Hilfe bei der Psychosozialen Betreuung nachgesucht haben.

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Diskussion

Mit 31,6 % konnte die Stellungnahme eines erheblichen Teils der Mitarbeiter des Polizeipräsidiums Karlsruhe erfasst werden, wobei jüngere, männliche und Kriminalbeamte unterrepräsentiert sind.

68 % der Befragten haben „extreme Situationen erlebt, die sie noch heute beschäftigen”; diese Gruppe fühlt sich auch im dienstlichen Alltag erheblich stärker belastet, nimmt in deutlich höherem Maß negative Auswirkungen auf das eigene Wohlbefinden wahr und fühlt sich durch Gespräche mit Vorgesetzten und Kollegen weniger entlastet, ja, nicht selten sogar noch aufgewühlter. Diese Tendenz nimmt mit dem Alter zu.

Angesichts dieser langfristigen Auswirkungen auf die Personalressourcen ist ein Dienstherr gut beraten, eine psychische Verarbeitung von extremen Belastungssituationen zu fördern. Die Aufarbeitung durch Gespräche mit Vorgesetzten und Kollegen erweist sich dabei als nicht ausreichend, und zwar in umso stärkerem Maß, je häufiger Extrembelastung erfahren wurde. Nach unserer Einschätzung wäre durch Schulungen zwar manches im Sinne einer Prävention zu verbessern, häufig dürfte aber trotzdem eine professionelle Hilfe erforderlich sein. Der oder die Vorgesetzte kann sich nicht ausschließlich der Aufgabe widmen, seinem/ihrem Mitarbeiter bei der Bewältigung des Erlebten beizustehen, sondern hat zugleich über die weitere Einsatz- und Belastungsfähigkeit des Betreffenden, dessen Aufstiegsmöglichkeiten in der Hierarchie und die Aufgabenverteilung der gesamten Mitarbeitergruppe zu entscheiden. Diese Rollenkonfusion als Helfer und Vorgesetzter wäre überfordernd und würde sich für die belasteten Untergebenen eher verunsichernd und weniger vertrauensbildend auswirken.

Daher ist es naheliegend, nach weiteren Möglichkeiten zu suchen, die Arbeitsmotivation und Belastungsfähigkeit von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu schützen und fördern. Dies erweist sich als umso erfolgreicher, je besser es gelingt, den Betreffenden nicht als schwach, wenig belastbar oder schwierig darzustellen und entsprechende therapeutische Angebote vorzuhalten - vgl. die anfangs zitierten Erfahrungen von Ley [1] - , sondern eine Bearbeitung extremer Belastungen als eine Qualifikationsmaßnahme zu sehen, die es ermöglicht, auch weiterhin professionell mit außergewöhnlichen dienstlichen Situationen umzugehen. Eine solche ressourcenorientierte, möglichst wenig pathologisierende Sichtweise vermittelt dem Betroffenen ein positives Selbstbild und schätzt sein Bemühen als wertvoll ein, für seine seelische Gesundheit zu sorgen und sich der oft unangenehmen und schwierigen Aufgabe zu stellen, den durchlebten Ausnahmesituationen noch einmal ins Auge zu sehen.

Über die Bewältigung durch eigene Mittel oder durch Gespräche innerhalb der Dienstgruppe hinaus, die sich nach unserer Befragung häufig nicht als ausreichend erweist, sind Angebote außerhalb der dienstlichen Hierarchie zu entwickeln, sei es polizeiextern durch Kriseninterventionsdienste, die sich jedoch mit der besonderen Situation polizeilicher Tätigkeit vertieft befassen müßten, sei es durch polizeiinterne Beratungsgruppen wie die PsychoSoziale Betreuung oder eines Kriseninterventionsteams, wie es Hase und Bailly [7] für den Justizvollzug schildern. Zwar fordert Ley [1, S. 71] eine Organisationskultur, „in der vermeintlich ’harte’ Polizeibeamte auch gegenüber den hierarchisch höheren Stellen, die sie beurteilen und somit über ihre Polizeikarrieren entscheiden, ihre ‚weichen Seiten’ zeigen dürfen - und ein Sprechen über individuelle Ängste und Gefühle nicht als polizeilich-defizitär angesehen wird.” Dies wird innerhalb der dienstlichen Hierarchie jedoch nur in Grenzen zu verwirklichen sein, so dass für eine Auseinandersetzung mit traumatisierenden Erfahrungen ein geschützter Raum erforderlich ist: ein Freiraum, der eine offene Reflexion über eigene Grenzen und Motivationen gestattet und fördert, ohne sogleich dienstliche Konsequenzen anzudrohen. Dies schützt dagegen, dass Betroffene eine Schonhaltung im Bezug auf die eigene Einsatzbereitschaft und zu Lasten ihrer Kollegen entwickeln oder sich in zukünftigen Einsätzen aufgrund abgewehrter posttraumatischer Ängste aufreiben und ausbrennen.

Das Modell der PsychoSozialen Betreuung zeigt, dass es bei entsprechender Förderung durch die Leitungsebene möglich ist, in einigen Gesprächen durch geschulte und supervidierte Kollegen einen erheblichen Teil der Ratsuchenden zu befähigen, mit eigenen Ressourcen ihr Problem wieder selbst in die Hand zu nehmen oder sich anderenfalls einer professionellen Hilfe zu öffnen.

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Literatur

  • 1 Ley, Thomas. Methodische Überlegungen zur Untersuchung der Verarbeitungsmechanismen traumatischer Ereignisse im Polizeidienst - speziell bezogen auf polizeiliche Unfalleinsätze. Buchmann, K.E., Hermanutz, M. Villingen-Schwenningen; Trauma und Katastrophe 1996: 67-73
  • 2 Innenministerium des Landes Nordrhein-Westfalen .Soziale Ansprechpartner, Darstellung und Entwicklung der Projekts. Bonn; 1994
  • 3 Bohlender F. Unveröff. Übersicht über die Hilfssysteme für Beschäftigte der Polizeien der Länder und des Bundes. Karlsruhe; 1997
  • 4 Martin H. Aufbau eines psychosozialen Betreuungsdienstes für Polizeibeamte in dienstlichen Belastungssituationen. Unveröff. Diplomarbeit am Fachbereich Sozialwesen der Berufsakademie Villingen-Schwenningen. Villlingen-Schwenningen; 1999
  • 5 Landesamt für Besoldung und Versorgung . Altersgliederung der Polizei in Baden-Württemberg, Stand 20.4.1993.  Polizei-Zeitung Baden-Württemberg. 1993;  7
  • 6 Mittendorf, Carlo. Traumafürsorge bei der Polizei. Buchmann, K.E., Hermanutz, M. Villingen-Schwenningen; Trauma und Katastrophe 1996: 75-82
  • 7 Hase M, Bailly T. Krisenintervention, Traumadiagnostik und sequentielle Traumatherapie für traumatisierte Mitarbeiter im Justizvollzug. Vortrag auf der 3. Jahrestagung der Deutschsprachigen Gesellschaft für Psychotraumatologie, 27. - 29.4.2001 . Konstanz;

1 chi²-Test, p < 0,001

2 chi²-Test, p < 0,001.

3 chi²-Test, p > 0,10.

4 2% fehlende Werte.

5 Kontingenzkoeffizient C, p < 0,001 im Chi²-Test.

6 Kontingenzkoeffizient C, p < 0,001 im Chi²-Test.

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Autor:

Prof. Dr. W. Sennekamp

Berufsakademie Villingen-Schwenningen

Fachbereich Sozialwesen

Schramberger Str. 26

78054 VS-Schwenningen

Telefon: 07720 / 3906 - 210

eMail: Sennekamp@BA-VS.de

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Literatur

  • 1 Ley, Thomas. Methodische Überlegungen zur Untersuchung der Verarbeitungsmechanismen traumatischer Ereignisse im Polizeidienst - speziell bezogen auf polizeiliche Unfalleinsätze. Buchmann, K.E., Hermanutz, M. Villingen-Schwenningen; Trauma und Katastrophe 1996: 67-73
  • 2 Innenministerium des Landes Nordrhein-Westfalen .Soziale Ansprechpartner, Darstellung und Entwicklung der Projekts. Bonn; 1994
  • 3 Bohlender F. Unveröff. Übersicht über die Hilfssysteme für Beschäftigte der Polizeien der Länder und des Bundes. Karlsruhe; 1997
  • 4 Martin H. Aufbau eines psychosozialen Betreuungsdienstes für Polizeibeamte in dienstlichen Belastungssituationen. Unveröff. Diplomarbeit am Fachbereich Sozialwesen der Berufsakademie Villingen-Schwenningen. Villlingen-Schwenningen; 1999
  • 5 Landesamt für Besoldung und Versorgung . Altersgliederung der Polizei in Baden-Württemberg, Stand 20.4.1993.  Polizei-Zeitung Baden-Württemberg. 1993;  7
  • 6 Mittendorf, Carlo. Traumafürsorge bei der Polizei. Buchmann, K.E., Hermanutz, M. Villingen-Schwenningen; Trauma und Katastrophe 1996: 75-82
  • 7 Hase M, Bailly T. Krisenintervention, Traumadiagnostik und sequentielle Traumatherapie für traumatisierte Mitarbeiter im Justizvollzug. Vortrag auf der 3. Jahrestagung der Deutschsprachigen Gesellschaft für Psychotraumatologie, 27. - 29.4.2001 . Konstanz;

1 chi²-Test, p < 0,001

2 chi²-Test, p < 0,001.

3 chi²-Test, p > 0,10.

4 2% fehlende Werte.

5 Kontingenzkoeffizient C, p < 0,001 im Chi²-Test.

6 Kontingenzkoeffizient C, p < 0,001 im Chi²-Test.

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Autor:

Prof. Dr. W. Sennekamp

Berufsakademie Villingen-Schwenningen

Fachbereich Sozialwesen

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78054 VS-Schwenningen

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