Psychotraumatologie 2001; 2(4): 20
DOI: 10.1055/s-2001-18451
Originalarbeit
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Burnout in der Krankenpflege

Syndrom, Entstehungsbedingungen und HilfenFriederike Stolle1 Diana Gossmann2 Markus Rottländer3 Gottfried Fischer4
  • 1Dipl.-Psych., Krankenschwester - arbeitet als Psychologin in Wuppertal im Strafvollzug
  • 2Dipl.-Psych., Mitarbeiterin des DIPT, Gutachtenstelle
  • 3Dipl.-Psych., Mitarbeiter bei Human Protect Consulting
  • 4Direktor des Instituts für Klinische Psychologie und Psychotherapie der Universität zu Köln
Further Information

Publication History

Publication Date:
20 December 2001 (online)

 
Table of Contents #

Übersicht

Das sog. Burnout-Syndrom (aus dem Englischen, ausgebrannt) wird in seiner typischen Ausprägung, seinem Verlauf sowie den zentralen Modellannahmen beschrieben. Speziell für den Bereich der Krankenpflege werden die wichtigsten Erklärungsansätze zur Entstehung von Burnout aufgeführt, die sich aus den Arbeitsbedingungen, aus dem Umgang mit den Patienten und aus persönlichen Voraussetzungen der einzelnen Mitarbeiter heraus ergeben können. Es werden jeweils Maßnahmen genannt, die sich als geeignet erwiesen haben, einem Burnout vorzubeugen. Über die traditionelle Diskussion zum Burnout hinaus wird die Annahme vertreten, dass bestimmte Situationen im beruflichen Alltag unterschwellig traumatisierend wirken können und so einen wesentlichen Beitrag zum Burnout leisten. Die Fortsetzung der Burnout-Forschung unter Einbezug traumapsychologischer Gesichtspunkte könnte dazu beitragen, solche Belastungsfaktoren frühzeitig zu erkennen und gezielte traumaprophylaktische Maßnahmen zu ergreifen.

#

Abstract

The so-called „Burnout Syndrome” is described here with regard to its typical manifestation, its course, and its central theoretical suppositions. The most important explanatory accounts on the emergence of burnout are presented, especially in the sphere of nursing. Burnout can arise from the working conditions, associations with the patients, and/or the personal suppositions of the individual burnt-out employee. This article presents differentiated measures that have proven to be adapted to preventing burnout from these respective sources. Going beyond the usual discussions of burnout, the present article asserts that certain everyday work situations can have subliminal traumatic effects, which then lead directly to burnout. Further research on burnout specifically from the viewpoint of psychotraumatology could contribute: 1) to the early recognition of these subliminal stress factors and 2) to the establishment of targeted prophylactic measures against this mode of psychotraumatisation.

#

Burnout als Thema der speziellen Psychotraumatologie - Hilfen für Helfer

Das Thema „burnout” wurde vor allem in den 70er und 80er Jahren erforscht, zu einer Zeit, als Traumaforschung und Psychotraumatologie in den meisten Ländern noch nicht existierten oder forschungsmäßig noch unentwickelt waren. Wie etwa auch „Mobbing” ist „Burnout” ein umgangssprachlicher Begriff, der ein Bündel sozialer, interpersoneller und personbezogener Probleme aufzeigt, die wohl immer schon existierten, bis dahin aber als persönliches Problem der Betroffenen betrachtet wurden. Wir wissen heute, dass der Alltag der meisten medizinischen Berufe, insbesondere im notfallmedizinischen Bereich, eine Anzahl belastender Situationsfaktoren enthält, die sich über eine Vielzahl von Untersuchungssituationen hinweg als potentiell traumatisch erwiesen haben, so z. B. der Anblick entstellter menschlicher Körper („exposure to the grotesque”, [1]. Insbesondere auch die eigene Hilflosigkeit angesichts der lebensbedrohlichen Lage eines Patienten dürfte in die Liste potentiell traumatisierender Faktoren in Medizin und Notfallmedizin zu rechnen sein.

Wie in allen Bereichen der Psychotraumatologie bringen potentiell traumatische Belastungen eine Reihe von kompensatorischen Maßnahmen hervor, von denen einige hilfreich sind, andere jedoch unerwünschte Nebenwirkungen haben oder deutlich schädigend sind, sei es für das medizinische Personal selbst oder für die Patienten. Burnout kann vielleicht als Endpunkt eines fehlgeschlagenen Umgangs mit belastenden Erfahrungen des medizinischen Alltags verstanden werden. Jedenfalls dürfte es von Vorteil sein, „Burnout” auch als Thema der „Speziellen Psychotraumatologie” [2] zu erforschen, also im Rahmen einer Forschungsrichtung, die unterschiedliche, schwere Belastungssituationen auf ihre charakteristischen Kurz- und Langzeitfolgen hin untersucht.

#

Burnout-„Syndrom”

„Burnout” ist kein Syndrom der klinischen Manuale, und es ist auch fraglich, ob es in ICD oder DSM aufgenommen werden sollte. Burnout-Forschung ist vielmehr überwiegend aus der Arbeits- und Organisationspsychologie heraus entstanden. Sie beruht in ihrem Kern auf der Beobachtung, dass in manchen Berufsgruppen, vor allem in Berufen, die mit dem „Arbeitsgegenstand Mensch” befasst sind, eine erhöhte Anzahl von Mitarbeitern anzutreffen ist, die nach einigen Jahren der Tätigkeit einen charakteristischen Erschöpfungszustand entwickeln, der sich durch folgende Trias kennzeichnen lässt:

  • Emotionale Erschöpfung, d. h. das Empfinden, durch den Kontakt mit den Klienten emotional ausgelaugt zu sein.

  • „Entpersönlichung” („depersonalisation” in der englischsprachigen Literatur), d. h. gefühlloser bis gleichgültiger Umgang mit dem anbefohlenen Personenkreis, der sich zum Teil auch in Zynismus äußert.

  • Reduziertes Kompetenzgefühl, mangelndes Erfolgserlebnis und allgemein negative Selbsteinschätzung

Die einzelnen Burnout-Autoren betonen unterschiedliche Aspekte des Syndroms und seiner Abwandlungen innerhalb verschiedener Arbeitsbereiche [3]. Die meisten stimmen jedoch darin überein, dass das Syndrom bei den helfenden Berufen eine besondere Färbung annimmt, die im Wesentlichen der oben beschriebenen Trias entspricht.

#

Messverfahren

Das meist verwendete Verfahren ist das Maslach-Burnout-Inventory [4 6]. Faktorenanalytische Untersuchungen an einer Stichprobe von 605 Personen aus sozialen Berufen, davon 56 % männlichen Geschlechts, ergaben 4 Faktoren, die 75 % der Varianz beschreiben. Mit „emotional exhaustion”, „depersonalisation” und „reduced personal accomplishment” entsprechen die drei wichtigsten dem erwähnten Syndrom. In der ersten Validierungsstudie zeigte sich eine befriedigende Übereinstimmung einmal mit der Fremdeinschätzung durch Kollegen und Ehepartner, zum anderen mit objektiven Merkmalen der Arbeitswelt, wie Anzahl der zu betreuenden Klienten, u.zw. im Sinne einer positiven Korrelation.

In einer Untersuchung der diskrimanten und konvergenten Validität an Krankenpflegepersonal ermittelten Büssing & Perrar (a. a. O.) eine deutliche Besonderheit des Burnout-Konstrukts gegenüber vergleichbaren Konzepten, wie etwa „Arbeits(un)zufriedenheit” oder „Kontrollmotivation”. So kann davon ausgegangen werden, dass über Burnout ein komplexes Phänomen erfasst wird, das in vergleichbaren arbeitspsychologischen Konstrukten so noch nicht zur Sprache kommt.

Von Interesse für eine Fortführung der vorhandenen Forschungsansätze im Sinne der Speziellen Psychotraumatologie ist möglicherweise noch die von Jones (1980) entwickelte „Staff Burnout Scale for Health Professionals” (SBS-HP), die mit 20 Items physiologische, psychologische und Verhaltenskomponenten bei Burnout zu erfassen sucht. Eine Faktorenanalyse ergab die Faktoren „Arbeitszufriedenheit” (7 Items), „psychische und interpersonelle Spannung” (7 Items), „körperliches Kranksein und Distress” (3 Items) und „unprofessionelle Beziehungen” zu Patienten (3 Items).

#

Modellannahmen zur Entstehung von Burnout

Bei der Suche nach Erklärungsfaktoren für Burnout verdient das Modell von Maslach besonders hervorgehoben zu werden. Die Autorin berücksichtigt drei Faktorengruppen, die nach heutigem Kenntnisstand den allgemeinen Bedingungsrahmen zutreffend beschreiben dürften, Arbeitsbedingungen oder institutionellen Faktoren, individuelle Dispositonen und interpersonelle Variable, welche die Struktur der Helfer-Klienten-Beziehung betreffen. Innerhalb dieser drei Bereiche ermittelte Maslach die folgenden Wirkungsbedingungen:

  • Institutionell: Überlastung durch Zahl der Klienten (Personalmangel oder Zeitmangel); Mangel an Einflussmöglichkeiten; Mangel an Unterstützung und Anerkennung; geringe Kooperationsdichte und Fehlen von Supervision

  • Individuell: Innere Ängstlichkeit, Selbstzweifel bei gleichzeitiger Selbstüberschätzung; geringe Frustrationstoleranz; wenig Widerstandskraft gegen Anforderungen; soziale Anpassungstendenz; starkes Über-Ich (Gewissen)

  • Interpersonell: Konzentration auf Probleme; Mangel an positiver Rückmeldung durch Patienten; hohe emotionale Belastung; geringe Möglichkeiten zur Veränderung und Verbesserung

In der Psychotraumatologie unterscheiden wir zwischen einmaligen, plötzlichen Belastungssituationen und dauerhaft belastenden Umständen. Den Wirkungsmechanismus, durch den in letzterem Fall ein Trauma entstehen kann, bezeichnen wir als „kumulative” oder auch als „sequentielle Traumatisierung” [2]. Burnout, wenn es denn bis zu einer traumatischen Belastung führt, lässt sich wohl am ehesten auf „kumulative Traumatisierung” zurückführen. Hier wird die Erholungsphase immer wieder unterbrochen, so dass es zu einer sich allmählich aufschaukelnden Dauerbelastung kommt.

Für Sozialberufe wurde von verschiedenen Autoren übereinstimmend ein typischer Verlauf beschrieben. Die professionellen Helfer haben zunächst großes Interesse an der Arbeit mit Menschen und sind „intrinsisch” (von innen heraus) für ihren Beruf motiviert. Extrinsische (äußerliche) Gratifikationen, wie Geld oder sozialer Status, sind ihnen nicht wichtig. Wenn aber die Erwartungen an den Beruf mehr und mehr enttäuscht werden, indem die Arbeitslast überwiegt und/oder die erhoffte Anerkennung ausbleibt, steigt das Interesse an extrinsischen Aspekten der Berufstätigkeit an. Diese sind im Sozialbereich zumeist aber nicht so ausgeprägt, dass sie geeignet wären, über die intrinsische Enttäuschung hinwegzutrösten. Ganze Teams oder Abteilungen können so in die Abwärtsspirale hineingeraten, sich vor allem auf ausbleibende Gratifikationen im finanziellen Bereich zu konzentrieren und diese zu beklagen, für die Klienten oft schon auf den ersten Blick sichtbar in Spruchbändern wie: „Als der Herr die Lohnauszüge der Mitarbeiter dieses Raumes sah, wandte er sich ab und weinte bitterlich”. Handelt es sich hierbei um einen humorvollen Umgang mit der Problematik, so endet das eigentliche Burnout in einer ausgeprägt zynischen und distanzierten Einstellung zur eigenen Klientel (häufiger bei Männern anzutreffen) oder in einem chronischen Erschöpfungszustand (häufiger bei Frauen).

#

Burnout in der Krankenpflege

Stolle (1996) hat die wichtigsten Aspekte der Burnout-Forschung auf die besonderen Bedingungen der Pflegeberufe übertragen sowie Bedingungen zusammengestellt, die dem Burnout entgegenwirken können [7]. Wir stellen sie im Folgenden für die verschiedenen Teilaspekte des Burnout-Modells zusammen. Pflegekräfte weisen in den meisten Studien einen erheblichen Grad an Burnout-Belastung auf, gehören aber keineswegs zur Spitzengruppe unter den Sozialberufen.

#

Institutionelle Rahmenbedingungen - Belastungen und Prävention

Übereinstimmend werden starker Zeit- und Verantwortungsdruck in Verbindung mit Zielkonflikten und Rollenunsicherheit als kritische Faktoren genannt. Geringe Klarheit der Aufgabenstellung und mangelhafte Partizipation an Entscheidungsprozessen tauchen in den meisten Studien auf.

Geeignete Gegenmaßnahmen sind Abgrenzung und stärkere Professionalisierung des Pflegeberufes, z. B. ein Konzept von Grundpflege und psychosozialer Betreuung auf der Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse. Pflegeziele müssen festgelegt werden, der Pflegeprozess geplant und die Ergebnisse kontrolliert werden. Die systematische Erfolgskontrolle eigenen Handelns führt aus der Gefahr heraus, vom einzelnen Patienten Dankbarkeit zu erwarten. Die Enttäuschung dieser Erwartung wirkt sich auf der individuellen Ebene besonders negativ aus. Durch die Einführung von Management-Konzepten mit Ablaufplanung und -kontrolle kann schrittweise dann auch der Erwartungsrahmen den realen Möglichkeiten angepasst werden. In der Krankenhaushierarchie sollte dem Pflegedienst ein gleichberechtigter Status neben Ärzten und der Verwaltung zukommen.

#

Interpersonelle Faktoren - Belastungen und Prävention

Belastend und risikofördernd wirkt sich eine ausschließliche Konzentration auf die Krankheit des Patienten aus. Die Betreuung Schwerkranker ist oft durch Aussichtslosigkeit bestimmt und stellt bei Fehlen von positivem Feedback und fehlgeschlagener Hilfeleistung eine wesentliche Quelle von Burnout dar. Besonders in der Intensivmedizin ist eine schwierige psychologische Balance zwischen Nähe zum Patienten und Distanz zum Schutz der eigenen Persönlichkeit vonnöten, um die Zynismus- bzw. Erschöpfungsspirale zu vermeiden.

Schon die Mitteilung einer infausten Prognose bildet für viele Patienten eine potentiell traumatische Belastungssituation, in deutlicher Abhängigkeit allerdings von der Art der Diagnosemitteilung. Hierdurch bereits, aber natürlich noch stärker durch fehlgeschlagene Hilfeleistung entstehen für das Pflegepersonal Situationen, die die Gefahr einer sekundären Traumatisierung enthalten. Hierunter verstehen wir die Auswirkung, welche die Beobachtung und/oder empathische Begleitung einer traumatisierten Person auf die Begleiterin oder den Begleiter haben kann. Kalte Distanzierung und Zynismus schützen nicht wirksam hiergegen, da die traumatische Einwirkung nicht wirklich verarbeitet wird. Sie besteht untergründig fort und führt zur charakteristischen Spiralbewegung und Eskalation zynischer Einstellungsmuster. Nicht „zynische Witze” sind hiermit gemeint. Diese sind weit verbreitet und dienen im allgemeinen der persönlichen Entlastung und Wiederherstellung einer manchmal notwendigen Distanz. „Zynismus” in der Burnout-Forschung bezeichnet vielmehr ein Einstellungsmuster, das sich in gefühlskaltem, unhöflichem und teilweise sogar verächtlichem Umgang mit Patienten äußert.

Die Zynismus-Spirale weist deutliche Ähnlichkeit mit dem Phänomen der „Traumasucht” auf [2], bekannt etwa von Soldaten oder Rettungssanitätern, die sich zu immer härteren Einsätzen melden. Sie müssen sich selbst beweisen, dass sie psychisch unverwundbar sind. Ähnlich eskaliert auch eine zynische Einstellung, über die Burnout-Betroffene ihr unterschwelliges „Mit-Leiden” mit den Patienten überspielen und ebenso die sich steigernde Verbitterung über das eigene Versagen.

Besonders risikoreich ist der Umgang mit Sterbenden. Wer Sterbende begleitet, sollte besonders qualifiziert in Wahrnehmung und Reflexion der eigenen Gefühle sein.

„Schwestern und Pfleger, die sich für einen Sterbenden engagieren und ihn durch die Phasen des Sterbens hindurch begleiten, gehen eine intensive gefühlsmäßige Bindung zu dem betreffenden Patienten ein. Viele erleben gleichsam das Sterben von Freunden, Geschwistern, Eltern oder ihrer selbst im Umgang mit diesem Patienten” (S. 329), [2].

Um die nötige Distanz zu erhalten und andererseits der Verantwortung für den Patienten nicht auszuweichen, die in dem ja unvermeidlichen Umgang mit lebensbedrohlicher Erkrankung liegt, erfordert eine optimale Arbeitsorganisation und einen guten Zusammenhalt im Team.

„Der Schutz der Helfer spielt hier eine ebenso große Rolle wie die Fürsorge für die Kranken und Sterbenden. Nur Helfer, die sich ihrer eigenen psychotraumatischen Gefährdung bewusst sind und damit umgehen können, sind auch in der Lage, andere Menschen durch die tiefe Krise hindurch zu begleiten, die die Einstellung auf den eigenen Tod bedeutet. Als Regel kann hier gelten: Wer immer sich bereit findet, dem Patienten eine infauste Diagnose und Prognose mitzuteilen, sollte sich auch als Begleitperson für diesen Patienten in den sich aus dieser Nachricht ergebenden Krisen zur Verfügung halten. Dies setzt eine gute Arbeitsteilung und Absprache im Team voraus. Der einzelne Helfer kann nicht zu viele Patienten so intensiv in dieser Weise betreuen. Er setzt sich sonst der Gefahr einer kumulativen Traumatisierung aus. Von daher sind eine gute Personalauswahl und gute gegenseitige Abstimmung im Team erforderlich, um die heikle Balance der Gefühle aufrechtzuerhalten, die eine solche Arbeit erfordert.” (loc. zit.).

Zur Bewältigung der interpersonellen Belastungen ist die regelmäßige berufsbegleitende Durchführung insbesondere solcher Supervisionen sinnvoll, die sich der Struktur der Helfer-Klient-Beziehung widmen [8], z. B. das Supervisionsmodell nach Balint (1965) [9]. Dieser Ansatz blickt auf eine lange Tradition zurück, bewirkt eine Verbesserung der sozialen Kompetenz, stärkt aber auch die berufliche Identität der Gruppenmitglieder, indem er die „Gefühlsarbeit” professionell entwickelt, der für Pflegeberufe zentral ist. Schilling (1992) empfiehlt speziell für Pflegekräfte ein Vorgehen, welches das Konzept von Balint um die Reflexion der sozialen Realität erweitert, in der die Begegnung zwischen Pflegekräften und Patienten stattfindet, also um den oben aufgeführten institutionellen Aspekt, wie dies etwa bei Pühl & Schmidbauer der Fall ist (1986) [10] [11].

Neben Verbesserung der Interaktionskompetenz kann Supervision in der Krankenpflege einmal dazu dienen, den Lehr- und Lernprozess der Berufsgruppe zu begleiten und zudem praktische Beratung in Problemen und Konflikten des Alltagslebens bieten [12]. Die Bedeutung einer kritisch angeleiteten Selbstreflexion, in der Unbewusstes bewusst gemacht wird, z. B. durch Analyse von Übertragungsprozessen, geht auch daraus hervor, dass ein negativer Zusammenhang mit Burnout besteht. In ihrer Übersicht einschlägiger Studien fand Stolle (1996) eine negative Korrelation zwischen den Variablen „Intrazeption” (oder Introspektion) und Burnout. Sie folgert, dass

„eine stärkere Reflexion der eigenen Motive und des beruflichen Handelns, die rechtzeitige Bewusstwerdung emotional belastender Situationen und der eigenen Reaktion darauf die Herausbildung eines Burnout-Syndroms verhindern kann” (S. 114), [7].

#

Persönlichkeitsbezogene Variable - Belastung und Prävention

Repräsentativ für diese Forschungsrichtung ist eine Untersuchung von Modestin et al. (1994), die feststellten, dass Probanden mit hohem Burnout im Vergleich zu Personen mit niedrigen Werten signifikant höhere Ränge in den Skalen „neurotische Tendenz” (emotionale Überschwenglichkeit, Ängstlichkeit, Verletzlichkeit) und „Isolationstendenz” sowie signifikant niedrigere Werte in „Frustrationstoleranz”, „Rigidität” und „Normorientiertheit” aufweisen [13]. Da es sich hier um Korrelationen handelt, ist schwer zu entscheiden, ob und wieweit die Werte bereits eine Folge der Burnout-Spirale sind oder kausal wirkende Größen. Dennoch erscheint ein bestimmtes Syndrom von Eigenschaften in nahezu allen einschlägigen Studien, das sich mit „mangelnde Selbstachtung, Ängstlichkeit, externe Kontrollüberzeugung, Bedürfnis nach Sicherheit, Bedürfnis nach positiver Wertschätzung” umschreiben lässt [7 (S. 103)]. Vielleicht als Kern dieser Eigenschaften kristallisiert sich das sog. „Helfersyndrom” (Grutchfield 1982) heraus, das sich mit einer eigenen erhöhten Hilfserwartung umschreiben lässt, die stellvertretend zunächst am Patienten erfüllt werden soll [14]. Bei Fehlschlägen oder Undankbarkeit der Klienten steigt der innere Druck dann immer stärker an. Das „verwahrloste, hungrige Baby” [15 (S. 18)] verlangt sein Recht.

Umgekehrt stellen ein gefestigtes Selbstbild, das auch eine gefestigte berufliche Identität umfasst, einen Schutz gegen Burnout dar. Ebenso die bereits erwähnte Fähigkeit, eigene Gefühle wahrzunehmen und sie reflektieren zu können (in den Burnout-Untersuchungen als „Intrazeption” bezeichnet).

Stärkung von Selbstbehauptung und Abgrenzung, die Fähigkeit, nein zu sagen, im Rahmen eines klaren Organisationskonzepts sowie Förderung von Selbstwahrnehmung und Introspektion erscheinen hier als geeignete Präventivmaßnahmen.

#

Zur Psychotraumatologie des Burnout

Die meisten der bisher vorliegenden empirischen Studien zum Burnout lassen eine eventuell vorliegende lebensgeschichtliche Traumatisierung der Helfer außer acht und erlauben daher keine Antwort auf die naheliegende Frage, welche eigenen lebensgeschichtlichen Belastungen durch die berufliche Tätigkeit möglicherweise kompensiert werden. Viele Medizinstudenten berichten, dass sie die chronische Krankheit eines Elternteils oder Geschwisters erlebt haben, oft schon seit ihrer Kindheit. Hier bietet sich eine Fortsetzung und Vertiefung der Burnout-Forschung unter psychotraumatologischen Aspekten an, eine Datenerhebung z. B. mit dem Kölner Trauma Inventar [16] [17]. Oft sind es ja nicht nur die allgemeinen beruflichen Belastungen, die zum Burnout führen, sondern sehr spezifische Erfahrungen, die äußerlich vielleicht eher unauffällig sein mögen, jedoch geeignet sind, unsere eher impliziten traumatischen Erinnerungen zu „triggern” (auszulösen).

Ein Rettungssanitäter hat bereits zahlreiche entstellte Kinderleichen gesehen, eine jedoch löst einen Schock bei ihm aus, der seine weitere Berufstätigkeit nachhaltig behindert. Erst in der Beratung stellt sich heraus, dass er unwillkürlich eines seiner eigenen Kinder „gesehen” hatte. In diesem Bewusstwerden und Durcharbeiten der traumatischen Erinnerungen liegt - neben einer Verbesserung der institutionellen Rahmenbedingungen - ein wirksamer Ansatz zur Prävention. Management, Stressmanagement und Entspannungstechniken sollten ergänzt werden um Kenntnisse dieses „Schlüssel-Schloss-Prinzips”, nach dem wir bestimmte Reizkonstellationen unserer beruflichen Umwelt beantworten.

Grundkenntnisse der Psychotraumatologie sollten daher in den Lehrplan des Pflegepersonals ebenso selbstverständlich Eingang finden wie die Gestaltung des Pflegedienstes nach Gesichtspunkten eines modernen Management, weiter auch Informationen über Maßnahmen eigener Psychohygiene und Traumaprophylaxe.

Belastende Situationen in der Krankenpflege weisen zum einen allgemeine Charakteristika auf. Zum anderen haben sie einen individuellen Aspekt. Beides rechtzeitig wahrzunehmen, ist der erste, entscheidende Schritt für die Prävention. Neben der Supervision könnte eine Art „Debriefing” (Nachbereitung) nach schwer belastenden Erfahrungen zu einem Bestandteil der „Unternehmenskultur” des Krankenhauses werden.

Nach dem neuen Krankenhaus-Finanzierungsgesetz sind die Krankenhäuser einem stärkeren Wettbewerb ausgesetzt. Das bedeutet u. a. auch eine stärkere „Kundenorientierung” im Umgang mit dem Patienten. So könnte sich auch im Krankenhaus jener Zwang zur kundenfreundlichen Dauerfröhlichkeit ausbreiten, wie wir ihn aus bestimmten Arbeitsfeldern des Dienstleistungssektors kennen. Die Alternative wäre jedoch, eine Unternehmenskultur auch im Umgang mit den eigenen Belastungen zu entwickeln, um vielleicht nicht zu dauerhafter Fröhlichkeit zu finden, aber doch zu einem ausgeglichenen Umgang mit sich selbst und daher auch mit dem Patienten.

#

Literatur

  • 1 Green B L. Identifiying survivors at risk: trauma and stressors across events. J. P. Wilson & B. Raphael Plenum Press London; International handbock of traumatic stress syndromes 1993
  • 2 Fischer G & Riedesser P .Lehrbuch der Psychotraumatologie. Reinhardt München (UTB); 1998
  • 3 Enzmann D, Kleiber D. Burnout. Eine internationale Bibliographie. Hogrefe Göttingen; 1990
  • 4 Maslach C, Jackson S E. The measurement of experienced burnout.  Journal of Occupational Behavior. 1986;  12 99-113
  • 5 Maslach C, Jackson S E. Manual Maslach Burnout Inventory, sec. Ed. Consulting Psychologists Press Palo Alto; 1986
  • 6 Büssing A, Perrar K M. Die Messung von Burnout.  Deutsche Krankenpflegezeitschrift. 1994;  3 20-30
  • 7 Stolle F. Burnout in der Krankenpflege - Bedingungen und Lösungsansätze. Psychologische Diplomarbeit. Institut für Wirtschaft- und Sozialpsychologie der Universität zu Köln 1996
  • 8 Enzmann D, Kleiber D. Helfer-Leiden. Stress und Burnout in psychosozialen Berufen. Asanger Heidelberg; 1989
  • 9 Balint M. Der Arzt, sein Patient und die Krankheit. Klett Stuttgart; 1965
  • 10 Schilling S. Supervision in der Krankenpflege.  Die Schwester/der Pfleger. 1992;  12 1140-46
  • 11 Pühl H, Schmidbauer W. Supervision und Psychoanalyse. Plädoyer für eine emanzipatorische Reflexion in helfenden Berufen. Kösel München; 1986
  • 12 Rohlfing U. Materialien zur Supervision und Praxisberatung (Teil 1). Entwicklung, Erprobung und prozessbegleitende Evaluation eines Komponenten-Modells zur Supervision von Krankenhauspflegepersonal im Weiterbildungskurs „Grundlage psychologischer Gesundheitsförderung” an der Universität Oldenburg.  Deutsche Krankenpflegezeitschrift (Beilage). 1991;  44 2-10
  • 13 Modestin J, Lerch M, Böker W. Burnout in der psychiatrischen Krankenpflege. Resultate einer empirischen Untersuchung. Springer Berlin; 1994
  • 14 Grutchfield L A. Relationship betwenn selected personality variables, demographic variables and experience of burnout among registered nurses. University of Florida Unveröffentlichte Dissertation 1982
  • 15 Schmidbauer W. Die hilflosen Helfer. Über die seelische Problematik der helfenden Berufe. Rowohlt Reinbek; 1994
  • 16 Schedlich C, Fischer G. Kölner Trauma Inventar KTI. Fischer (2000) KÖDOPS. DIPT-Verlag Köln; Kölner Dokumentationssystem für Psychotherapie und Traumabehandlung 1996: 96 ff.
  • 17 Fischer G. Kölner Dokumentationssystem für Psychotherapie und Traumabehandlung. KÖDOPS. DIPT-Verlag Köln; 2000 (Direktbestellung über www.psychotraumatologie.de) .
#

Literatur

  • 1 Green B L. Identifiying survivors at risk: trauma and stressors across events. J. P. Wilson & B. Raphael Plenum Press London; International handbock of traumatic stress syndromes 1993
  • 2 Fischer G & Riedesser P .Lehrbuch der Psychotraumatologie. Reinhardt München (UTB); 1998
  • 3 Enzmann D, Kleiber D. Burnout. Eine internationale Bibliographie. Hogrefe Göttingen; 1990
  • 4 Maslach C, Jackson S E. The measurement of experienced burnout.  Journal of Occupational Behavior. 1986;  12 99-113
  • 5 Maslach C, Jackson S E. Manual Maslach Burnout Inventory, sec. Ed. Consulting Psychologists Press Palo Alto; 1986
  • 6 Büssing A, Perrar K M. Die Messung von Burnout.  Deutsche Krankenpflegezeitschrift. 1994;  3 20-30
  • 7 Stolle F. Burnout in der Krankenpflege - Bedingungen und Lösungsansätze. Psychologische Diplomarbeit. Institut für Wirtschaft- und Sozialpsychologie der Universität zu Köln 1996
  • 8 Enzmann D, Kleiber D. Helfer-Leiden. Stress und Burnout in psychosozialen Berufen. Asanger Heidelberg; 1989
  • 9 Balint M. Der Arzt, sein Patient und die Krankheit. Klett Stuttgart; 1965
  • 10 Schilling S. Supervision in der Krankenpflege.  Die Schwester/der Pfleger. 1992;  12 1140-46
  • 11 Pühl H, Schmidbauer W. Supervision und Psychoanalyse. Plädoyer für eine emanzipatorische Reflexion in helfenden Berufen. Kösel München; 1986
  • 12 Rohlfing U. Materialien zur Supervision und Praxisberatung (Teil 1). Entwicklung, Erprobung und prozessbegleitende Evaluation eines Komponenten-Modells zur Supervision von Krankenhauspflegepersonal im Weiterbildungskurs „Grundlage psychologischer Gesundheitsförderung” an der Universität Oldenburg.  Deutsche Krankenpflegezeitschrift (Beilage). 1991;  44 2-10
  • 13 Modestin J, Lerch M, Böker W. Burnout in der psychiatrischen Krankenpflege. Resultate einer empirischen Untersuchung. Springer Berlin; 1994
  • 14 Grutchfield L A. Relationship betwenn selected personality variables, demographic variables and experience of burnout among registered nurses. University of Florida Unveröffentlichte Dissertation 1982
  • 15 Schmidbauer W. Die hilflosen Helfer. Über die seelische Problematik der helfenden Berufe. Rowohlt Reinbek; 1994
  • 16 Schedlich C, Fischer G. Kölner Trauma Inventar KTI. Fischer (2000) KÖDOPS. DIPT-Verlag Köln; Kölner Dokumentationssystem für Psychotherapie und Traumabehandlung 1996: 96 ff.
  • 17 Fischer G. Kölner Dokumentationssystem für Psychotherapie und Traumabehandlung. KÖDOPS. DIPT-Verlag Köln; 2000 (Direktbestellung über www.psychotraumatologie.de) .