Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2002; 37(6): 303-304
DOI: 10.1055/s-2002-32243
Editorial
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

BE und Laktat - alte Parameter in neuem Licht

BE and Lactate - Old Parameters in a New LightH.  van Aken
  • 1Klinik und Poliklinik für Anästhesiologie und operative Intensivmedizin, Universitätsklinikum Münster
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Publication Date:
13 June 2002 (online)

Ein Unglück geschieht wenn der Mensch „sauer” wird, so sagt es der Volksmund. Allerdings ist „sauer” nicht gleich „sauer”. Medizinisch orientieren wir uns gerne am pH-Wert als Gold-Standard, wohl wissend, dass weniger die respiratorischen umso mehr die metabolischen Störungen des Säure-Basen-Haushaltes gefürchtet werden.

Die Bikarbonatkonzentration wurde gerne vereinfacht als Indikator der metabolischen Störungen des Säure-Basen-Haushaltes benutzt. Verschwiegen wurde hierbei gerne, dass 45 % des im Körper gebildeten Kohlendioxids versteckt im Plasma als Natriumbikarbonat zur Lunge transportiert werden. Die Bikarbonatkonzentration repräsentiert somit beide Schenkel des Säure-Basen-Haushaltes, die metabolischen und die respiratorischen Störungen.

Im Bewusstsein dieses Dilemmas, führte Siggaard-Andersen 1958 den errechneten Parameter „Basenüberschuss (BE)” ein. Er sollte sensitiv, insbesondere metabolische Störungen des Säure-Basen-Haushaltes erfassen, da er durch seine Berechnung unabhängig vom Kohlendioxidpartialdruck sowie Hämoglobingehalt ist. Mit der Einführung moderner Blutgasanalysatoren wurde es für den Mediziner einfach, trotz komplizierter Formel, mit dem BE-Wert klinische Erfahrungen im Alltag zu sammeln.

Dennoch, außer zur gezielten Berechnung der zu applizierenden Menge an Puffersubstanzen hat es für den Parameter BE nie gereicht. Der BE hat den ihm zustehenden hohen Stellenwert eigentlich nicht erhalten. Der Umgang war für den Kliniker schwierig, die Berechnungsgrundlage geradezu mystisch. Zudem war der Kliniker angehalten immer eine arterielle Blutgasanalyse zu erzwingen, um den Parameter zuverlässig nutzen zu können.

Mit dem Mini-Symposium „Die klinische Bedeutung von BE und Laktatkonzentration” gelingt den Autoren in diesem Heft mit ihren Beiträgen nicht nur eine Neubewertung des „alten” Parameters BE, sondern auch der Laktatkonzentration.

Zunächst ist R. Zander durch Einbeziehung der Sauerstoffsättigung in die Berechnung des Parameters BE ein geradezu genialer Streich gelungen. Der BE kann jetzt mit gleicher klinischer Aussagekraft sowohl im arteriellen als auch venösen Blut bestimmt werden. Er erhält damit als Prognoseparameter einen neuen Stellenwert. Dies gilt nicht nur für das Polytrauma, wie D. Rixen anhand von 1264 Patienten im Traumaregister der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie zeigen konnte. Auch Neugeborene können nach der Geburt von dem Parameter BE bei der Bewertung des Apgar-Wertes profitieren. Ermöglicht wird dies ebenfalls durch die modifizierte BE-Berechnung nach R. Zander mit Einbeziehung der Sauerstoffsättigung des fetalen Blutes. Unterliegt der pH-Wert des Neugeborenen von Wehe zu Wehe dem Atemzyklus der Mutter, so kann mit dem modifizierten BE des Neugeborenen die Azidose-Mortalität sicher bestimmt werden, wie V. Roemer an 7725 Neugeborenen zeigen konnte.

Die klassische Beurteilung der metabolischen Azidose anhand des Parameters BE bekommt zusätzlich eine weitere interessante Aussagekraft bei Intensivpatienten durch gleichzeitige Einbeziehung der Laktatkonzentration des Plasmas.

Das Laktat galt lange Zeit als prognostischer Indikator einer unzureichenden Versorgung des Gewebes mit Sauerstoff. Das Bedürfnis, Anfang der 90er Jahre endlich einen klinischen Hypoxiemarker zur frühzeitigen Diagnose und anschließenden Therapiekontrolle zu erhalten, hat den Parameter Laktat überfordert, wie der Beitrag von G. Knichwitz aufzeigt.

Auch wenn unser Bedürfnis nach einem klinischen Universalparameter groß ist, so werden wir meistens nach kurzer Zeit der Euphorie, aber immerhin noch rechtzeitig an die komplexeren pathophysiologischen Zusammenhänge des Körpers zurückerinnert.

So ist es auch mit der Laktatkonzentration im Körper, die bei einer Störung immer nach einer Veränderung zwischen Produktion und Abbau untersucht werden muss. Es ist wie ein Detektivspiel und macht es damit für den Kliniker sehr anspruchsvoll und spannend. Interessant wird es, so im Beitrag Knichwitz und Zander zu lesen, wenn der Parameter BE und Laktat gemeinsam in der Interpretation verknüpft werden. Neben den reichlichen physiologischen Grundlagen darf der Kliniker in den Beiträgen dennoch auch pragmatische Essentiales mit in seinen klinischen Alltag nehmen.

So lernen wir, dass ein Laktatanstieg im Plasma ohne BE-Veränderung nur eine nicht pathologische Hyperlaktatämie bedeutet. Laktatanstiege über 5 mmol/L mit im Betrag parallelen BE-Veränderungen unter -5 mmol/L müssen als Laktazidose interpretiert werden. Kommt es darüber hinaus zu einem überproportionalem Abfall des BE-Wertes im Vergleich zum Laktat, so darf dies als Ausdruck einer schweren Störung der ATP-Synthese angesehen werden. Eine Korrektur der metabolischen Azidosen wird ab BE-Werten zwischen -5 und -7 mmol/L und pH-Werten < 7,2 empfohlen. Ein normwertiger Ausgleich sollte jedoch nicht erzielt werden, um eine Überkorrektur zur metabolischen Alkalose zu vermeiden.

Hat der Leser dieses Ziel fest im Griff, so muss er sich zum Schluss in den Beiträgen von R. Zander und M. Raum noch Gedanken über seine Infusionstherapie machen. Auch hier könnte ihm der Parameter BE helfen, die Homöostase seines Patienten zu erhalten. Um eine Dilutions-Azidose durch Infusion von ungepufferten Lösungen (z. B. NaCl 0,9 %) oder gar eine Rebound-Alkalose durch Infusion mit metabolisierbaren Anionen (z. B. Ringer-Laktat) zu vermeiden, sollte eine Deklarierung des potenziellen BE der Infusionslösungen gefordert werden.

Dieses Minisymposium, welches auf dem DIVI 2000 mit großer Begeisterung aufgenommen worden ist, macht Spaß auf mehr. Und wenn ihr natürlicherweise begrenztes Interesse am Säure-Basen-Haushalt wieder auflebt, dann schauen Sie doch einmal auf eine amerikanische Internetseite, die von den „californischen” Koryphäen des Säure-Basen-Haushaltes John Severinghaus und Robert Schlichtig empfohlen wird (http://www.tmc. tulane.edu/anes/acidbase).

Univ.-Prof. H. van Aken

Klinik und Poliklinik für Anästhesiologie und operative Intensivmedizin, Universitätsklinikum

Albert-Schweitzer-Straße 33

48129 Münster

Email: hva@anit.uni-muenster.de

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