Ungleiche Lebensbedingungen und Teilhabechancen von Kindern und Jugendlichen
Ungleiche Lebensbedingungen und Teilhabechancen von Kindern und Jugendlichen
Kinder und Jugendliche wachsen auch in einem modernen Wohlfahrtsstaat wie der Bundesrepublik
Deutschland unter sehr unterschiedlichen Voraussetzungen und Bedingungen auf. Die
allgemeinen Wohlstandszuwächse und der Ausbau der sozialstaatlichen Sicherungssysteme
haben entgegen früheren Erwartungen keineswegs zu einer Angleichung der Lebensverhältnisse
geführt. Vielmehr haben sich Verteilungsungleichheiten und gesellschaftliche Problemlagen
verfestigt und zum Teil noch verschärft. Armut betrifft heute nicht mehr nur marginale
Randgruppen der Gesellschaft, sondern bedroht zunehmend häufiger auch die ehemals
als gut situiert und gesichert geltenden gesellschaftlichen Mittellagen, die infolge
von unsicheren Arbeitsverhältnissen und Arbeitslosigkeit zumindest zeitweilig in die
Nähe des Armutsbereichs geraten. Diese Entgrenzung der Armut im modernen Wohlfahrtsstaat
wurde auf den Begriff des „prekären Wohlstandes” gebracht [Hübinger 1996].
Eine differenzierte Betrachtung weist Kinder und Jugendliche als die Hauptleidtragenden
der Armutsentwicklung aus. Laut des ersten Armuts- und Reichtumsberichts der Bundesregierung
leben in Deutschland gegenwärtig mehr als 14 % der Heranwachsenden bis 18 Jahre und
damit ein deutlich höherer Anteil als in jeder anderen Altersgruppe in Armut [Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung 2001]. Vor allem Kinder und Jugendliche, die bei allein erziehenden Eltern leben oder
mehr als zwei Geschwister haben, sind überproportional häufig von Armut betroffen.
Auch Haushalte im mittleren Einkommensbereich stoßen schnell an ihre finanzielle Belastungsgrenze,
wenn mehrere Kinder zu versorgen sind [Andreß, Lipsmaier 2001].
Die finanziellen Engpässe des Haushalts wirken sich auf Kinder und Jugendliche in
mannigfaltiger Art aus: Sie leben in kleineren und schlechter ausgestatteten Wohnungen,
ihr Wohnumfeld bietet weniger Spiel- und Freizeitmöglichkeiten, sie fahren seltener
in den Urlaub, erhalten weniger Taschengeld und können sich kostspielige Kleidung,
Hobbys, Freizeitmittel und -aktivitäten oftmals nicht leisten. Angesichts des allgemein
hohen Lebensstandards nehmen in Armut aufwachsende Kinder und Jugendliche ihre eigene
unterprivilegierte Lebenssituation besonders stark wahr, weil sie ihre Ansprüche und
Bedürfnisse überwiegend an Standards ausrichten, die von Gleichaltrigen aus einkommensstärkeren
Haushalten gesetzt werden [Hurrelmann 2000]. Als besonders schmerzlich empfunden werden die geringeren finanziellen Mittel,
wenn sie mit Ausgrenzungserfahrungen in der Gleichaltrigengruppe, also im Freundeskreis,
in der Schule oder in Vereinen, einhergehen.
Wenn es den Eltern trotz knapper finanzieller Ressourcen gelingt, ihren Kindern Entwicklungs-
und Erfahrungsanreize zu schaffen, lassen sich wahrscheinlich auch Zurücksetzungen
im Kreis der Freunde und Mitschüler vermindern oder zumindest leichter ertragen. Das
Verhaltensrepertoire von Armut betroffener Eltern ist allerdings oftmals begrenzt
und wirkt sich eher nachteilig auf ihre Kinder aus. Armut geht mit Belastungen und
Anstrengungen einher, die sich in innerfamiliären Konflikten und in einem restriktiven
Erziehungsverhalten entladen können. Besonders belastet ist das Beziehungs- und Erziehungsklima
bei zusätzlichen Problemlagen der Eltern, wie z. B. einer Suchtverstrickung, schwerwiegender
Erkrankung oder während Trennungs- und Scheidungsphasen.
Ein Aufwachsen in Armut erschwert es Kindern, ein positives Selbstwertgefühl und soziale
Kompetenzen auszubilden. Damit vermindert sich die Fähigkeit, belastende Situationen
und Konflikte zu bewältigen oder zu kompensieren und ein selbstbestimmtes, auf selbst
gesteckte Ziele hin orientiertes Leben zu führen. Die eigenen Zukunftsaussichten,
z. B. in Bezug auf den späteren Beruf, werden schlechter eingeschätzt. Eine benachteiligte
Lebenslage in der Kindheit bedeutet so gesehen einen schlechten Start ins Leben. Dies
gilt auch hinsichtlich der gesundheitlichen Entwicklung, auf die im Folgenden näher
eingegangen wird.
Einfluss von Armut und sozialer Ungleichheit auf die Gesundheit
Einfluss von Armut und sozialer Ungleichheit auf die Gesundheit
Die Auswirkungen von Armut und sozialer Benachteiligung auf die Gesundheit von Kindern
und Jugendlichen werden nur selten untersucht. Die meisten sozialepidemiologischen
Forschungen konzentrieren sich auf die 18- bis 65-jährige Bevölkerung und grenzen
damit sowohl die jüngsten als auch die ältesten Altersgruppen aus. Die vorhandenen
Studien ergeben allerdings ein einheitliches Bild, das sozial benachteiligten Kindern
und Jugendlichen eine stärker beeinträchtigte Gesundheit bescheinigt. Soziale Benachteiligung
wird dabei entweder am Einkommen des Haushalts, der Bildung und beruflichen Stellung
der Eltern oder an dem von den Kindern besuchten Schultyp festgemacht. Eine benachteiligte
Lebenslage geht unter anderem mit einem vermehrten Auftreten körperlicher Beschwerden
und Schmerzen einher. Die Ergebnisse einer Befragung von 9- bis 11-jährigen Kindern
aus dem Raum Heidelberg zeigen, dass Hauptschüler im Vergleich zu Realschülern und
Gymnasiasten häufiger von Kopf-, Hals-, Bauch- und Rückenschmerzen betroffen sind
[Pötschke-Langer 1998]. Auch akute und chronische Erkrankungen kommen bei sozial benachteiligten Kindern
und Jugendlichen gehäuft vor. Die Kinder von Eltern mit geringer Schulbildung und
niedrigem Sozialstatus sind zudem häufiger übergewichtig oder adipös [Bergmann et al.; im Druck]. Eine Ausnahme scheinen lediglich Allergien, Haut- und Atemwegserkrankungen darzustellen,
für die höhere Prävalenzen in den sozial besser gestellten Bevölkerungsgruppen berichtet
werden [Heinrich et al. 1998]
[Buser et al. 1998]. Dieser Befund relativiert sich aber, wenn der Schweregrad der Erkrankung berücksichtigt
wird. Im Rahmen der Münchner Asthma- und Allergiestudie wurde hierzu gezeigt, dass
9- bis 11-jährige Kinder von Eltern mit hoher Schulbildung zwar häufiger an Asthma
leiden, schweres Asthma mit zehn und mehr Anfällen pro Jahr bei ihnen aber seltener
vorkommt als bei Kindern, deren Eltern ein niedriges Bildungsniveau aufweisen [Mielck et al. 1996]. Markante Gesundheitsunterschiede zuungunsten von sozial benachteiligten Kindern
und Jugendlichen lassen sich darüber hinaus an der Auftretenshäufigkeit von Behinderungen,
Unfallverletzungen und zahnmedizinischen Problemen festmachen [Mielck 2001].
Die ungleiche Verteilung der Gesundheitschancen im Kindes- und Jugendalter spiegelt
sich auch in den Wahrnehmungen und Beurteilungen der Heranwachsenden wider. Kinder
und Jugendliche in benachteiligten Lebenslagen schätzen ihren allgemeinen Gesundheitszustand
und ihr Wohlbefinden schlechter ein als ihre sozial besser gestellten Altersgenossen.
Eindeutige Belege hierfür liefert die von der Weltgesundheitsorganisation geförderte
Studie „Health Behavior in School-Aged Children”, für die in Nordrhein-Westfalen Kinder
und Jugendliche im Alter von 11, 13 und 15 Jahren befragt wurden: Jedes zweite Kind
aus der höchsten, aber nur jedes fünfte Kind aus der niedrigsten sozialen Schicht
bewertete den eigenen Gesundheitszustand als sehr gut. Die Ergebnisse der Befragung
verdeutlichen auch, dass Armut und soziale Benachteiligung mit einer geringeren Lebenszufriedenheit,
einem geringeren Selbstvertrauen und Gefühlen der Hilflosigkeit und Einsamkeit verbunden
sind [Klocke, Hurrelmann 1995]
[Klocke 2001].
Noch weitgehend ungeklärt ist, wie der Einfluss einer benachteiligten Lebenslage auf
die Gesundheit vermittelt wird. Neben gesundheitsrelevanten Lebensbedingungen könnte
dem Gesundheitsverhalten eine Schlüsselrolle zukommen. Verschiedene Studien verdeutlichen,
dass sozial benachteiligte Kinder und Jugendliche stärker zu gesundheitsriskanten
Verhaltensmustern neigen: Sie rauchen häufiger, trinken mehr Alkohol und zeigen sich
anfälliger für illegale Drogen [Scholz, Kaltenbach 1995]. Zudem gehen Armut und soziale Benachteiligung mit einer ungesünderen Ernährungsweise
einher. Aussagekräftige Hinweise liefert hier wiederum die Studie „Health Behavior
in School-Aged Children”: Kinder aus den unteren Sozialschichten konsumieren häufiger
Pommes Frites, Kartoffelchips, Süßgetränke und Kaffee, während Obst, Gemüse, Vollkornbrot
und Vollmilch seltener auf ihrem Speiseplan stehen [Klocke 2001].
Des Weiteren könnte eine unterschiedliche Inanspruchnahme von Angeboten der Gesundheitsversorgung
dazu beitragen, dass sozial benachteiligte Kinder und Jugendliche gesundheitlich stärker
beeinträchtigt sind. So werden Kinder und Säuglinge aus unteren sozialen Schichten
von den Früherkennungsuntersuchungen U1-U9 schlechter erreicht [Schubert 1996]. Auch die Teilnahme an Impfungen scheint mit der Schichtzugehörigkeit zu variieren.
Die Brandenburger Schulanfängeruntersuchungen der Jahre 1994 und 1995 belegen dies
beispielsweise für die Masernschutzimpfung [Ellsäßer 1998].
Konzepte sozialer Ungleichheit
Konzepte sozialer Ungleichheit
Die Frage der Konzeptualisierung sozialer Ungleichheit ist ein Grundproblem der sozialepidemiologischen
wie der soziologischen Forschung. In der Sozialepidemiologie dominiert bislang die
schichtungssoziologische Perspektive, die sich an Einkommen, Bildung und beruflicher
Stellung bzw. beruflichem Prestige als den zentralen Dimensionen sozialer Ungleichheit
ausrichtet. Schichtmodellen liegt die Annahme zugrunde, dass der Zugang zu begehrten
materiellen, sozialen und kulturellen „Gütern” über die Stellung in der Arbeitswelt
und den ausgeübten Beruf geregelt wird [Hradil 2001]. Mit dem aus der Geologie entlehnten Schichtbegriff wird die Vorstellung eines „vertikal”
gegliederten, hierarchischen Gesellschaftsaufbaus nahe gelegt. Ein hoher Status bringt
dabei eine privilegierte, durch soziale Vorteile gekennzeichnete Lebenssituation zum
Ausdruck. In der Sozialepidemiologie soll mit Schichtmodellen die ungleiche Verteilung
gesundheitsrelevanter Lebensbedingungen und Teilhabechancen erfasst werden. Unterstellt
wird zudem, dass für die Gesundheit bedeutsame Einstellungen und Verhaltensmuster
schichtspezifisch geprägt sind. Unter Hinzuziehung des Belastungs-Ressourcen-Konzepts
lässt sich dann z. B. die Annahme begründen, dass sich die Angehörigen der schlechter
gestellten sozialen Schichten ungesünder verhalten, weil sie in den zentralen Bereichen
des menschlichen Lebens stärkeren gesundheitlichen Belastungen und Risiken ausgesetzt
sind und sie zudem über geringere personale und soziale Ressourcen verfügen, um diese
zu bewältigen, zu kompensieren oder im Vorfeld zu vermeiden.
Die in der Soziologie schon seit längerem geführte Debatte über die Angemessenheit
der schichtungssoziologischen Analyse sozialer Ungleichheit hat inzwischen auch die
sozialepidemiologische Forschung erreicht [Sperrlich]
[Mielck]
[Winkler 2000]. Angesichts der gesellschaftlichen Entwicklung in den letzten Jahrzehnten, insbesondere
der „Pluralisierung der Lebensformen und Lebensweisen” [Berger, Hradil 1990], wird danach gefragt, ob nicht Lebenslage-, Lebensstil- oder Milieumodelle geeigneter
sind, um die ungleiche Verteilung von Gesundheitsrisiken und -chancen im heutigen
Deutschland zu beschreiben. Damit richtet sich der Blick auf die so genannten „neuen”
sozialen Ungleichheiten, z. B. ungleiche Wohn-, Wohnumfeld-, Nachbarschafts-, Infrastruktur-,
Freizeit- und Erholungsbedingungen, die quer bzw. „horizontal” zu den berufsnahen
„vertikalen” Dimensionen des Ungleichheitsgefüges verlaufen [Kreckel 1992]
[Hradil 2001]. Letztere sollten allerdings nicht vollends aus dem Blickfeld geraten, weil gesundheitsrelevante
Lebensbedingungen und Verhaltensmuster nach wie vor schichtspezifisch geprägt sind,
d. h. auch auf das Einkommen, die Bildung und die berufliche Stellung zurückgeführt
werden können. Die aktuellen Befunde der sozialepidemiologischen Forschung untermauern
dies höchst eindrücklich [Mielck 2000]
[Helmert et al. 2000].
Messung soziodemographischer und sozioökonomischer Merkmale im Kinder- und Jugendgesundheitssurvey
Messung soziodemographischer und sozioökonomischer Merkmale im Kinder- und Jugendgesundheitssurvey
Im Rahmen des bundesweiten Kinder- und Jugendgesundheitssurveys werden ab dem Jahr
2003 ungefähr 18000 Kinder und Jugendliche im Alter von 0 bis 17 Jahren untersucht
[Kurth et al. 2002]. Um soziale Ungleichheit zu erfassen, werden durch Befragung der Kinder und Jugendlichen
sowie ihrer Eltern umfassende Informationen zur Lebenssituation der Heranwachsenden
erhoben. In Erweiterung des schichtungssoziologischen Blickwinkels richtet sich das
Interesse dabei auch auf die Familien-, Wohn- und Schulsituation sowie auf die Beziehungen
zu Gleichaltrigen. Im Folgenden wird außerdem auf die Erhebung des Alters, Geschlechts
und Migrantenstatus eingegangen, weil sich erst über diese Merkmale eine differenzierte
Betrachtung sozialer Ungleichheit erschließt.
Schichtzugehörigkeit
Die Sozialschicht des Haushalts, in dem Kinder und Jugendliche aufwachsen, wird im
Kinder- und Jugendgesundheitssurvey über die Bildung (höchster allgemeinbildender
Schulabschluss und höchster berufsqualifizierender Abschluss) und die berufliche Stellung
der Eltern sowie das Haushaltsnettoeinkommen (Nettoeinkommen aller Haushaltsmitglieder
nach Abzug der Steuern und Sozialabgaben) ermittelt. Bei der Operationalisierung dieser
Merkmale wurden die Empfehlungen der Deutschen Arbeitsgemeinschaft für Epidemiologie
zugrunde gelegt [Ahrens et al. 1998]. Um die Sozialschicht des Haushalts mehrdimensional abzubilden, wird der Winkler-Index
[Winkler 1998] verwendet, der auch im Bundes-Gesundheitssurvey 1998 eingesetzt wurde. Der Winkler-Index
wird dabei für Mutter und Vater getrennt berechnet und der höhere Index-Score wird
dem Haushalt zugewiesen. Bei getrennt lebenden Eltern ist ausschlaggebend, bei wem
das Kind hauptsächlich lebt.
Im Pretest des Kinder- und Jugendgesundheitssurveys wurde überprüft, ob zumindest
von Jugendlichen im Alter zwischen 14 und 17 Jahren Angaben zum sozioökonomischen
Hintergrund ihrer Eltern erfragt werden können. Dabei stellten sich bei den Jugendlichen
erhebliche Wissensdefizite und Zuordnungsschwierigkeiten heraus. Zudem stimmten ihre
Angaben oftmals nicht mit den Angaben der Eltern überein. Aus diesem Grund werden
die Informationen zu den schichtbildenden Merkmalen in der Hauptphase des Surveys
ausschließlich von den Eltern erhoben.
Familiensituation
In Bezug auf die Familiensituation wird im Kinder- und Jugendgesundheitssurvey danach
gefragt, ob die Kinder und Jugendlichen mit beiden Eltern zusammenleben oder bei einem
allein erziehenden Elternteil aufwachsen, ob sie Geschwister haben und ob diese älter
oder jünger sind. Einen weiteren Zugang eröffnet der zur Messung der gesundheitsbezogenen
Lebensqualität eingesetzte KINDL-Fragebogen, der sich auch auf die Familiensituation
bezieht. Darüber hinaus wird ein Instrument verwendet, das Rückschlüsse auf den familialen
Zusammenhalt und das Familienklima ermöglicht (Familienklima-Skalen nach Schneewind)
[Ravens-Sieberer et al. 2002].
Wohnsituation
Um die Wohnsituation zu beschreiben, kann im Kinder- und Jugendgesundheitssurvey auf
die Information zurückgegriffen werden, ob die Heranwachsenden ein eigenes Zimmer
haben. Von den Eltern wird erfragt, wie viele Personen im Haushalt leben und ob sich
in den Räumen, in denen sich die Kinder hauptsächlich aufhalten, schimmlige Wände
befinden. Für die Einschätzung der Qualität des Wohnumfeldes werden durch den an den
Kinder- und Jugendgesundheitssurvey angegliederten Umweltsurvey für eine Unterstichprobe
Informationen zur Schadstoffbelastung der Luft bereitgestellt [Schulz et al. 2002]. Bezüglich der Wohnregion werden Stadt-Land- und Ost-West-Vergleiche angestrebt.
Im Pretest wurde untersucht, ob Merkmale der Wohnung als „indirekte” Indikatoren der
sozialen Schicht des Haushaltes herangezogen werden können. Dabei stellte sich heraus,
dass die meisten Wohnungskennwerte nicht mit der Schichtzugehörigkeit variieren. Lediglich
der Anteil der Kinder und Jugendlichen ohne eigenes Zimmer war in den unteren Sozialschichten
deutlich erhöht.
Kindergarten-, Vorschul- bzw. Schulsituation
Aussagen über die Situation im Kindergarten, in der Vorschule und in der Schule lassen
sich auf der Grundlage von Angaben aus dem KINDL-Fragebogen treffen [Ravens-Sieberer et al. 2002]. Für Schulkinder sind weiterhin Informationen zum Lernerfolg verfügbar, z. B. zur
Notensituation und zu wiederholten oder übersprungenen Klassenstufen. Der schulische
Erfolg lässt sich auch am besuchten Schultyp ablesen. Zumindest nach Beendigung der
Grundschule kann hierzu zwischen Hauptschule, Realschule und Gymnasium unterschieden
werden.
Gleichaltrigengruppe
Freundschaften zu Gleichaltrigen kommt ein hoher Stellenwert für das alltägliche Leben,
das Wohlbefinden und die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen zu. Im Kinder- und
Jugendgesundheitssurvey werden die Kinder und Jugendlichen unter anderem danach gefragt,
ob sie Freunde haben, wie sie mit diesen auskommen und wie häufig sie etwas mit Gleichaltrigen
zusammen unternehmen.
Geschlecht
Bereits im Kindes- und Jugendalter lassen sich geschlechtsspezifische Unterschiede
in der Auftretenshäufigkeit körperlicher und psychischer Krankheiten und Beschwerden,
im Gesundheitsverhalten sowie in der Inanspruchnahme der medizinischen Versorgung
beobachten [Kolip 1994]. Im Kinder- und Jugendgesundheitssurvey werden diese Unterschiede sowohl bei der
Datenerhebung als auch bei der Datenanalyse berücksichtigt. Es wird eine geschlechtersensible
Betrachtung angestrebt, die sowohl Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede der gesundheitlichen
Lage von Mädchen und Jungen systematisch herausarbeitet. Nur so lassen sich Ansatzpunkte
für geschlechtsspezifische Präventions- und Interventionsstrategien ermitteln, die
im Sinne des „Gender Mainstreaming” auch auf eine Verminderung der Gesundheitsunterschiede
zwischen Mädchen und Jungen zielen.
Alter
Die Lebensphasen Kindheit und Jugend umfassen einen enormen Sprung der physischen,
psychischen und sozialen Entwicklung. Dies wurde bereits bei der Gestaltung des Forschungsdesigns
berücksichtigt, z. B. durch Fragebogen für fünf verschiedene Altersgruppen und altersgruppenspezifische
medizinische Untersuchungen. Darüber hinaus werden Altersgruppenvergleiche eine zentrale
Auswertungsstrategie sein. Die vergleichenden Analysen werden sich nicht nur auf den
unterschiedlichen Entwicklungsstand, sondern auch auf an die jeweilige Altersphase
geknüpfte Gesundheitsrisiken und -chancen beziehen. Dabei ist zu beachten, dass in
Unterschieden zwischen Altersgruppen auch Kohorteneffekte zum Ausdruck kommen können.
Migrantenstatus
Zur Operationalisierung des Migrantenstatus werden im Kinder- und Jugendgesundheitssurvey
Instrumente eingesetzt, die sich in anderen Studien, z. B. dem Sozioökonomischen Panel
und der PISA-Studie, bewährt haben und auf der Grundlage von Gesprächen mit Experten
weiterentwickelt worden sind. Die Fragen nach dem Migrationshintergrund richten sich
an Mutter und Vater, um auch binationale Familien identifizieren zu können. Darüber
hinaus erlaubt die Erfassung des Migrantenstatus im Kinder- und Jugendgesundheitssurvey
eine Klassifizierung nach Zuwanderergruppen und daraus ableitbar eine Unterscheidung
von (relativ) gesichertem und ungesichertem Aufenthaltsstatus [Schenk 2002].
Ausblick
Ausblick
Der Kinder- und Jugendgesundheitssurvey wird bundesweit repräsentative Daten bereitstellen,
die eine differenzierte Betrachtung der gesundheitlichen Auswirkungen von Armut und
sozialer Ungleichheit in der heranwachsenden Generation zulassen. Die Erkenntnismöglichkeiten
sind dabei eng an den theoretischen Zugang und an die von diesem abgeleiteten Auswertungsstrategien
gekoppelt. Neben der Erweiterung des schichtungssoziologischen Blickwinkels auf die
„neuen” Dimensionen und Determinanten sozialer Ungleichheit sollen im Kinder- und
Jugendgesundheitssurvey Kombinationen von Lebensbedingungen und Teilhabechancen aufgezeigt
werden, die für die gesundheitliche Entwicklung von Kindern und Jugendlichen besonders
nachteilig sind. Der Blick richtet sich aber nicht allein auf die gesundheitlichen
Folgen einer benachteiligten Lebenslage, sondern auch auf Gesundheitsunterschiede
oberhalb der Armutsschwelle, weil sich Gesundheitsrisiken und -chancen über die gesamte
soziale Stufenleiter ungleich verteilen. Das Ziel muss letztlich sein, mehr über die
Mechanismen und Prozesse zu erfahren, die den beobachteten Zusammenhängen zwischen
Armut, sozialer Ungleichheit und Gesundheit im Kindes- und Jugendalter zugrunde liegen.
Damit rücken das gesundheitsrelevante Verhalten, aber auch die personalen und sozialen
Ressourcen von Kindern und Jugendlichen in den Mittelpunkt der Betrachtung. Erkenntnisse
über die vermittelnden Mechanismen sind eine notwendige Voraussetzung für Präventions-
und Interventionsstrategien, die auf eine Verringerung der sozialen Unterschiede im
Gesundheitszustand der heranwachsenden Generation abzielen.