Gesundheitswesen 2002; 64: 125-129
DOI: 10.1055/s-2002-39012
Vorstudien
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Die Erfassung von Schmerz in einem Kinder- und Jugendgesundheitssurvey

Assessment of Pain within the Framework of a Health Survey for Children and AdolescentsA. Roth-Isigkeit1 , U. Ellert2 , B.-M Kurth2, 1
  • 1Medizinische Universität Lübeck, Klinik für Anästhesiologie
  • 2Robert Koch-Institut, Berlin
Further Information

Ute Ellert

Robert Koch-Institut

Seestraße 10

13353 Berlin

Publication History

Publication Date:
15 May 2003 (online)

Table of Contents #

Zusammenfassung

Bislang fehlen bundesweite Studien, die verlässliche Schätzungen der Prävalenz von Schmerzen bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland ermöglichen. Darüber hinaus fehlen Angaben der durch Schmerzen bei Kindern und Jugendlichen entstehenden Beeinträchtigungen, der Inanspruchnahme des Gesundheitswesens und der Einflussfaktoren, die Hinweise auf Entstehung und Aufrechterhaltung von Schmerzen bei Kindern und Jugendlichen geben können.

In dem Befragungsteil „Schmerzen” des Kinder- und Jugendgesundheitssurveys sollen die Prävalenz von Schmerzen allgemein und Merkmale anhaltender und/oder wiederkehrender Schmerzen untersucht werden. Als wichtigste Ergebnisse der Studie werden bundesweit erstmals repräsentative Angaben zur Häufigkeit von Schmerzen im Allgemeinen und zu Kombinationen verschiedener Schmerzarten bei Kindern und Jugendlichen erwartet. Damit wird eine aktuelle und repräsentative Datenbasis geschaffen, mit der folgende Fragestellungen beantwortet werden können:

  • Wie häufig sind Schmerzen bei Kindern und Jugendlichen?

  • In welchem Ausmaß führen Schmerzen bei betroffenen Kindern und Jugendlichen zu Beeinträchtigungen?

  • Wodurch ist die Inanspruchnahme des Gesundheitssystems (Arztbesuche, Einnahme von Medikamenten) bei Kindern und Jugendlichen mit Schmerzen charakterisiert?

  • Welche Faktoren sind nach Einschätzung der betroffenen Kinder (bzw. ihrer Eltern) und Jugendlichen an der Entstehung und Aufrechterhaltung von Schmerzen beteiligt?

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Abstract

Until now, there have been no nation-wide studies allowing a reliable estimation of the prevalence of pain in children and adolescents in Germany. In addition, data regarding the limitations and use of health care measures were also not available for children and adolescents, as well as data on influential factors that might provide valuable information on the occurence and persistence of pain in the same epidemiological group.

In the part of the survey entitled „Pain”, the prevalence of pain generally as well as the features of persistent and/or recurring pain will be studied. An important result of this study shall be the first nation-wide representative figures on the prevalence of pain in general, as well as combinations of various types of pain in children and adolescents. In this way it should provide an up-to-date and representative data source to answer the following questions:

  • How frequent is pain in children and adolescents?

  • To what extent does pain in afflicted individuals lead to limitations?

  • What kinds of health care measure does the individual who suffers such pain seek (medical consultation, medication)?

  • According to the children (or their parents) or adolescents, what factors are involved in causing pain and allowing it to persist?

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Einleitung

Schmerzen sind auch im Kindes- und Jugendalter eine häufige Erfahrung [Perquin et al. 2000a]. Für Deutschland fehlen jedoch bislang repräsentative epidemiologische Untersuchungen, die verlässliche Schätzungen der Prävalenz von Schmerzen bei Kindern und Jugendlichen erlauben. In bisherigen epidemiologischen Studien über Schmerzen bei Kindern und Jugendlichen wurden vornehmlich spezifische Schmerzsyndrome (z. B. Kopfschmerzen, Bauchschmerzen, Rückenschmerzen) analysiert [Frankenberg, Pothmann 1995] [Kristjansdottir 1996] [Chan, Ryan 1992]. Daher fehlen epidemiologische Untersuchungen, in denen die Prävalenz von Schmerzen im Allgemeinen und in Kombination verschiedener Schmerzlokalisationen bei deutschen Kindern im gesamten Altersspektrum erhoben wird.

Von den spezifischen Schmerzsyndromen wurden Kopfschmerzen bei Kindern und Jugendlichen am intensivsten untersucht. Nach den Ergebnissen einer in Deutschland durchgeführten epidemiologischen Untersuchung bei Jugendlichen im Alter von 15 und 16 Jahren liegt die Lebenszeitprävalenz von Kopfschmerzen bei 93 %. 19 % der untersuchten Kinder gaben dabei an, die Kopfschmerzen seien „stark” oder „nicht auszuhalten”. 22 % der Kinder nahmen deswegen Schmerzmittel ein; 21 % hatten täglich oder wöchentlich Kopfschmerzen. Als Auslöser für die Kopfschmerzen gaben die befragten Kinder Ärger in der Schule (41 %) und Ärger in der Familie (35 %) an [Pothmann et al. 1994]. Auch geschlechtsspezifische Unterschiede in der Prävalenz von Kopfschmerzen wurden berichtet [Frankenberg, Pothmann 1995] [Deubner 1977] [Andrasik et al. 1979] [Bille 1981]. Mit zunehmendem Alter steigt nach den Ergebnissen mehrerer Untersuchungen die Schmerzprävalenz von Kopfschmerzen [Andrasik et al. 1979] [Bille 1981] [Passchier, Olebeke 1985].

Die Prävalenz von Rückenschmerz beträgt bei australischen 10-jährigen Kindern 32,9 %, im Alter von 12 Jahren 45,8 % [Chan, Ryan 1992]. Bei finnischen Kindern wurden Prävalenzraten für Rückenschmerz von 8 % [Vikat et al. 2000] und 18 % [Taimela et al. 1997] berichtet. Bei isländischen Kindern im Schulalter beträgt die Prävalenz von Bauchschmerzen 53,4 %. Dabei berichten 18,4 % der untersuchten Kinder, mindestens wöchentlich Bauchschmerzen zu haben [Kristjansdottir 1996].

Vergleichsweise hohe Prävalenzraten für Schmerzsyndrome im Kindes- und Jugendalter werden in weitgehender Übereinstimmung, trotz methodischer und möglicher nationaler Unterschiede, in verschiedenen epidemiologischen Untersuchungen berichtet. Nach den Ergebnissen einer repräsentativen niederländischen Studie berichten 54 % der untersuchten Kinder und Jugendlichen im Alter von 0 bis 18 Jahren (n = 5424), in den letzten drei Monaten Schmerzen erfahren zu haben. 50 % dieser Kinder und Jugendlichen berichten mehrere Schmerzarten, am häufigsten Kombinationen von Rücken-, Kopf- und Bauchschmerzen. 25 % der Untersuchungsstichprobe klagten über Schmerzen, die länger als drei Monate andauerten. 57 % dieser Kinder konsultierten im Zusammenhang mit dem Schmerzproblem einen Arzt, 39 % setzten Medikamente zur Schmerzbehandlung ein [Perquin et al. 2000b].

Die nach dem gegenwärtigen Stand der Forschung im Bereich Schmerzen bei Kindern und Jugendlichen bestehenden Datenlücken in Deutschland sollen durch den Survey-Teil „Schmerzen” des Kinder- und Jugendgesundheitssurveys geschlossen werden. Dabei sollen Merkmale von Schmerzen im Kindes- und Jugendalter (z. B. Lokalisation, Häufigkeit, Intensität, Dauer) allgemein und die Kombination verschiedener Schmerzarten, ihrer Folgen im privaten und öffentlichen Kontext sowie die Einflussfaktoren auf die Entstehung und Aufrechterhaltung von Schmerzen im Kindes- und Jugendalter erhoben werden.

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Design und Methodik

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Vorbereitung der Instrumentenentwicklung

Im deutschsprachigen Raum lagen im Jahr 2000 keine Instrumente vor, die zur epidemiologischen Erhebung von Schmerzen bei Kindern und Jugendlichen geeignet waren. Zu Beginn unserer Arbeit veröffentlichten [Perquin et al. 2000a] die Ergebnisse ihrer repräsentativen niederländischen Erhebung zur Epidemiologie von Schmerzen bei Kindern und Jugendlichen.

Der von Perquin et al. eingesetzte Fragebogen, den uns freundlicherweise die Autorin überließ, wurde in einer an inhaltlichen Kriterien orientierten deutschen Übersetzung modifiziert und einer ersten Überprüfung im Rahmen eines Vorversuchs in einer Grundschule an 186 Schülerinnen und Schülern unterzogen. Dabei zeigte sich, dass Kinder ab der dritten Grundschulklasse in der Lage sind, sich an Schmerzereignisse im zurückliegenden Zeitraum von drei Monaten zu erinnern und diese erlebten Schmerzereignisse adäquat im Fragebogen wiederzugeben. Mit Hilfe eines „body paint” und einer Gesichtsabbildung sollten den Kindern auch nonverbale Beantwortungsmöglichkeiten der Frage nach der Schmerzlokalisation gegeben werden. Es zeigte sich, dass diese Antwortmöglichkeit von den Kindern weniger häufig und nicht so vollständig wie die vorgegebenen Antwortkategorien in Anspruch genommen wurden, so dass auf die Körperabbildungen zur Kennzeichnung von Schmerzlokalisationen in weiteren Versionen verzichtet wurde.

Der Fragebogen der niederländischen Arbeitsgruppe wurde im weiteren Forschungsverlauf modifiziert und weiterentwickelt, der internationale Forschungsstand zum Thema Schmerzen bei Kindern und Jugendlichen im Rahmen einer umfangreichen Literaturrecherche berücksichtigt. Die Ergebnisse erster Feldversuche (s. o.) und unstrukturierter Interviews mit Kindern und Jugendlichen unterschiedlicher Altersgruppen bei der Beantwortung verschiedener Fragebogenversionen wurden dabei ebenso einbezogen wie die Analyse und der Vergleich mit bestehenden Instrumenten zur Erfassung von Schmerzen. Für die Entwicklung des Fragebogens waren folgende Überlegungen bedeutsam:

  1. Mithilfe des Fragebogens sollten Charakteristika der (Haupt-)Schmerzen dargestellt werden können. In der vorliegenden Fassung können Aussagen über Lokalisation, Häufigkeit, Intensität und Dauer von Schmerzen getroffen werden.

  2. Besonderes Gewicht wurde in der Weiterentwicklung auf die Erfassung von Folgen und funktionellen Beeinträchtigungen durch die (Haupt-)Schmerzen gelegt.

    • Als Indikatoren für die Inanspruchnahme des medizinischen Systems werden Arztbesuche und Einnahme von Medikamenten im Zusammenhang mit Schmerzbeschwerden erfragt.

    • Als Indikatoren funktioneller Beeinträchtigungen durch die Schmerzen werden Schul- bzw. Kindergartenabwesenheit, Reduktion sozialer Aktivitäten (Treffen der Freunde, Ausübung von Hobbys/Lieblingsbeschäftigungen), Störungen im Ess- bzw. Schlafverhalten und Notwendigkeit der besonderen Versorgung durch die Eltern (ein Elternteil kann nicht zur Arbeit gehen) erhoben.

    • Familiäre Belastungen durch Schmerzerkrankungen und weitere bekannte chronische Erkrankungen werden als Risikofaktoren miterhoben.

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Fragebogenentwicklung

Der Lübecker Schmerz-Screening-Fragebogen, der in altersspezifischen Versionen für Kinder und Jugendliche vorliegt, wurde in zwei Pilotphasen entwickelt und geprüft. Modifizierte deutsche Versionen des strukturierten Schmerzfragebogens nach Perquin et al. [2000a] wurden in der ersten Pilotphase weiterentwickelt und erprobt [Roth-Isigkeit et al. 2002]. Der Fragebogen zielt darauf ab, Kinder und Jugendliche mit einmaligen Schmerzereignissen von solchen Kindern und Jugendlichen zu differenzieren, die wiederkehrend oder anhaltend unter Schmerzen leiden. In der ersten Fragebogenversion wurden Lokalisation, Häufigkeit, Intensität und Dauer von Schmerzen im Allgemeinen und in Kombinationen verschiedener Schmerzarten erfragt. In der zweiten Version des Lübecker Schmerz-Screening-Fragebogens werden zusätzlich Folgen der Schmerzen, Einflussfaktoren auf die Entstehung und Aufrechterhaltung, chronische Erkrankungen und familiäre Belastung durch Schmerzerkrankungen als Risikofaktoren erhoben.

Im Rahmen eines Vortestes wurden in einer Grundschule im Raum Ostholstein die altersabhängige Einsetzbarkeit des Fragebogens selbst, die Validität der Beantwortung und drei verschiedene Fragebogenversionen auf ihre Verständlichkeit und Eindeutigkeit getestet. Danach konnte die Fragebogenversion, in der vertieft nach einem Hauptschmerz gefragt wurde, am eindeutigsten durch Kinder der zweiten bis vierten Grundschulklassen beantwortet werden. Eine inhaltlich korrekte Beantwortung des Fragebogens ermittelten wir bereits bei Kindern der zweiten Klassen. Ab dem dritten Grundschuljahr können nach den Ergebnissen der Voruntersuchungen die gestesteten Fragebogenversionen durch die Kinder selbst beantwortet werden. In den darauffolgenden Pilotstudien wurden die Angemessenheit des Instruments, des Vorgehens und der Logistik sowie die Machbarkeit und Akzeptanz des Verfahrens überprüft.

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Phase I der Fragebogenentwicklung

Die erste Pilotstudie wurde in zwei Kindergärten, einer Grund- und Hauptschule und einem Gymnasium des Großraums Lübeck durchgeführt (n = 1030). In dieser Pilotphase wurden für die Altersgruppe 0 bis 8 Jahre eine Elternversion, bei denen die Beantwortung des Fragebogens durch die Eltern erfolgt, zwei Kinderversionen (für 9- bis 11-Jährige und 12- bis 14-Jährige) und eine Jugendlichenversion für die 15- bis 18-Jährigen geprüft. Der Fragebogen wurde speziell so konzipiert, dass er von Kindern innerhalb von zehn Minuten zu beantworten ist. Der Fragebogen ist selbsterklärend, d. h., es werden in der Regel keine Informationen oder Hilfen zur Beantwortung des Fragebogens benötigt.

Wenn die Antwort der ersten schmerzbezogenen Frage: „Hast du/hat Ihr Kind in den letzten drei Monaten Schmerzen gehabt?” verneint wird, waren keine weiteren Fragen zu beantworten. Wenn die Antwort „ja” lautete, wurde die Lokalisation des Schmerzes erfragt. Die Kinder wurden gebeten, in einer Liste möglicher Schmerzlokalisationen (Kopf, Rücken, Bauch, Arme, Beine, Ohr, Hals, Brustkorb, Unterleib, Zahn, andere Lokalisation) alle Stellen anzugeben, an denen sie in den letzten drei Monaten Schmerzen hatten. Für die Schmerzen, die sie als Hauptschmerzen bezeichneten, wurden die Kinder gebeten, Häufigkeit, Dauer und Intensität anzugeben. Die Erhebung der Häufigkeit des Auftretens dieser Hauptschmerzen (<1-mal im Monat, 1-mal im Monat, 2- bis 3-mal im Monat, 1-mal pro Woche, mehrmals pro Woche, jeden Tag) und deren Dauer (weniger als 4 Wochen, zwischen 4 Wochen und 3 Monaten, länger als 3 Monate, länger als 6 Monate) erfolgte mit Hilfe von Antwortkategorien. Die Schmerzintensität wurde mit einer kombinierten visuellen Analogskala (1-10 skalierte Linie mit den verbalen Endpunkten „kaum spürbare Schmerzen” versus „stärkste vorstellbare Schmerzen”) und einer gesichtsanalogen Skala (sechs Gesichter zwischen Lachen und Weinen) mit der Frage: „Wie stark waren die Schmerzen normalerweise?” erhoben. Außerdem wurden die Kinder gefragt, ob sie jemals wegen dieser Schmerzen einen Arzt aufgesucht und ob sie wegen dieser Schmerzen jemals Medikamente eingenommen haben. Die Ergebnisse dieser Studie sind [Roth-Isigkeit et al. 2002] zu entnehmen.

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Phase II der Fragebogenentwicklung

Die zweite Phase der Fragebogenentwicklung führte zu Aufbau und Prüfung der aktuellen Fassung des Lübecker Schmerz-Screening-Fragebogens für Kinder und Jugendliche. Dieser Fragebogen ergänzt die Erhebung der 3-Monats-Prävalenz und von Merkmalen des Schmerzes bei Kindern und Jugendlichen (s. o.). Zusätzlich werden die Folgen der Schmerzen im privaten und öffentlichen Kontext sowie selbstwahrgenommene Einflussfaktoren auf die Entstehung und Aufrechterhaltung von Schmerzen, chronische Erkrankungen und familiäre Belastungen mit Schmerzerkrankungen als Risikofaktoren erfasst. In der Pilotphase II wurde der Fragebogen von 562 Kindern und Jugendlichen sowie 189 Eltern/Erziehungsberechtigten beantwortet.

Es zeigte sich auch hier, dass der selbsterklärende Fragebogen von Kindern der vierten Klasse einer Grundschule, Hauptschülern und Realschülern selbständig beantwortet werden konnte und keiner weiteren Erläuterung bedurfte.

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Erhebung von Schmerzen im Kinder- und Jugendgesundheitssurvey

Vom März des Jahres 2001 bis zum März 2002 wurde ein Pretest für den geplanten Kinder- und Jugendgesundheitssurvey durchgeführt [Kamtsiuris et al. 2002]. Ein wesentliches Anliegen dieses Pretests war es, die Verständlichkeit und Akzeptanz der Fragebogen zu überprüfen und im Hinblick auf die Hauptphase möglicherweise notwendige Änderungen zu erarbeiten.

Die Abfrage der Auftretenshäufigkeiten von Schmerzen an bestimmten Lokalisationen erfolgte so, dass die Probanden in den vorgegebenen zweistelligen Kästchen entweder eine Zahl für die Häufigkeit angaben oder aber die Kästchen unausgefüllt ließen. In letzterem Fall bleibt unklar, ob diese „Nichtangabe” als missing oder als das Nichtvorhandensein des speziellen Schmerzes zu bewerten ist. Damit sind die so ermittelten Prävalenzen als Mindestprävalenzen zu betrachten. Zusätzlich existierte im Rahmen des ärztlichen Interviews in der Liste der erfragten Krankheiten die Frage nach Kopfschmerzen mit den Antwortmöglichkeiten „jemals vom Arzt festgestellt”, „aufgetreten innerhalb der letzten vier Wochen”, „aufgetreten innerhalb der letzten zwölf Monate”, „erstmals aufgetreten im Alter von ... Jahren”.

Kopfschmerz ist, außer in der Altersgruppe von drei bis sechs Jahren, der am häufigsten für die letzten vier Wochen genannte Schmerz, sowohl bei den Mädchen als auch bei den Jungen. Danach folgen Bauch-, Rücken- und Gliederschmerzen.

Die insgesamt hohen Zahlen der Nennungen stehen im Einklang mit den von Roth-Isigkeit [2002] ermittelten 3-Monats-Schmerz-Prävalenzen, wenn auch die Altersstruktur der untersuchten Gruppe von Kindern und Jugendlichen anders als die der Gruppe der Surveyteilnehmer war. Es fällt auf, dass in der Altersgruppe der 14- bis 17-Jährigen, der einzigen Altersgruppe, in der Jugendliche und Eltern die gleichen Schmerzfragen zu beantworten hatten, die Jugendlichen häufiger Schmerzlokalisationen berichteten als deren Eltern. So wissen offensichtlich sehr häufig die Eltern der Jugendlichen nicht mehr so genau Bescheid über die Schmerzlokalisationen ihrer Kinder. Dies wird im Hinblick auf die subjektive Komponente der Schmerzeinschätzung zugunsten der Angaben der Jugendlichen gewertet.

Die Angabe von Mehrfachlokalisationen nimmt mit zunehmendem Alter der Kinder im Einklang mit der wachsenden Prävalenz von Schmerzen überhaupt zu. Bei den 3- bis 6-Jährigen sind es noch 48,0 % aller Kinder mit Schmerzen, die Schmerzen an mindestens zwei Lokalisationen nennen, bei den 14- bis 17-Jährigen sind es schon 61,8 % aller Kinder mit Schmerzen. Auch hier ergibt sich wieder aus den Selbstangaben der 14- bis 17-jährigen Jugendlichen mit 74,7 % eine noch höhere Prävalenz von multilokulärem Schmerz.

In Anbetracht der sowohl in unserem Pretest als auch in der Lübecker Pilotstudie festgestellten hohen Schmerzprävalenzen bei Kindern und Jugendlichen und den auch in der internationalen Fachliteratur aktuell stark diskutierten Fragen zur Auswirkung von Schmerz im frühen Lebensalter auf Inanspruchnahme, Medikamentenkonsum und Lebensqualität gibt es kaum eine Begründung, an diesem gesundheitlich relevanten Problem in einem Survey vorbeizugehen. Andererseits erwiesen sich aber die von uns ausgetesteten Fragen als unzureichend, um dieses Problem tatsächlich strukturiert und präzise beschreiben und Risikofaktoren identifizieren zu können.

In der Hauptphase des Kinder- und Jugendgesundheitssurveys wird eine eng an die in der Lübecker Studie eingesetzte Fragebatterie eingesetzt. Mit diesen Fragen können einmalige Schmerzereignisse unterschieden werden von wiederkehrenden und lang anhaltenden Schmerzen. Zusätzlich werden auch Angaben über mögliche Ursachen bzw. den Schmerz auslösende Ereignisse erfragt. Im Anschluss können die Probanden noch angeben, mit welcher Art von Therapie oder Maßnahme schon auf den Schmerz reagiert wurde. Die 3-Monats-Prävalenz hat sich in Anlehnung an die beiden vorher genannten Studien als die Zeitspanne erwiesen, an die sich auch 11-Jährige ausreichend gut erinnern können.

Der Begriff „Hauptschmerz” wird eingeführt, um den Probanden die Möglichkeit zu geben, für sich selbst den Schmerz herauszusuchen, der in einer Mischung von Häufigkeit und Intensität die größte Belastung darstellt. Nur für diesen Hauptschmerz wird dann auch die Schmerzintensität mit einer kombinierten visuellen Analogskala und gesichtsanalogen Skala erfasst. Jugendliche ab 14 Jahren beantworten die Schmerzfragen selbst, in allen Elternfragebogen außer denjenigen für die Altersgruppe 0 bis 3 Jahre wird der Schmerz erfragt.

Auf diese Weise sind von der Haupterhebung des Kinder- und Jugendgesundheitssurveys umfassende und international vergleichbare Informationen zur Epidemiologie des Schmerzes bei Kindern und Jugendlichen zu erwarten. Gleichzeitig eröffnen sich aufgrund der Komplexität der im Survey zu erhebenden Informationen Möglichkeiten zur Bestimmung von Risikofaktoren für das Auftreten und die Chronifizierung von Schmerz [Varni et al. 1996].

Die Erhebung von Schmerzen im Kinder- und Jugendgesundheitssurvey schafft umfassende und zuverlässige bundesweite Basis- und Referenzdaten über die Häufigkeit von Schmerzen bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland, gibt erste Hinweise auf das Ausmaß der damit assoziierten Beeinträchtigungen betroffener Kinder und liefert die Grundlage für wirksame gesundheitspolitische Maßnahmen.

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Literatur

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  • 2 Bille B. Migraine in childhood and its prognosis.  Cephalalgia. 1981;  1 71-75
  • 3 Chan S, Ryan M D. Low-back pain in school children in the fifth and sixth grade.  J Orthop Rheumatol. 1992;  5 43-47
  • 4 Deubner D C. An epidemiologic study of migraine and headache in 10-20 year olds.  Headache. 1977;  17 173-180
  • 5 Frankenberg S, Pothmann R. Epidemiologie von Kopfschmerzen bei Schulkindern.  Psychomed. 1995;  7 157-163
  • 6 Kamtsiuris P, Bergmann K E, Dippelhofer A. et al . Der Pretest des Kinder- und Jugendgesundheitssurveys: Methodische Aspekte und Durchführung.  Gesundheitswesen. 2002;  64 (Sonderheft 1) 99-106
  • 7 Kristjansdottir G. Sociodemographic differences in the prevalence of self-reported stomach pain in school children.  Eur J Pediatr. 1996;  155 981-983
  • 8 Passchier J, Orlebeke J F. Headaches and stress in schoolchildren: an epidemiological study.  Cephalalgia. 1985;  5 167-176
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  • 10 Perquin C W, Hazebroek-Kampschreur A A, Hunfeld J A. et al . Chronic pain among children and adolescents: physician consultation and medication use.  Clin J Pain. 2000b;  16 229-235
  • 11 Pothmann R, Frankenberg S V, Müller B. et al . Epidemiology of headache in children and adolescents: evidence of high prevalence of migraine among girls under 10.  Int J Behav Med. 1994;  1 76-89
  • 12 Roth-Isigkeit A, Raspe H H, Stöven H. et al . Schmerzen bei Kindern und Jugendlichen - Ergebnisse einer explorativen epidemiologischen Studie.  Schmerz. 2002 (in revision); 
  • 13 Taimela S, Kujala U M, Salminen J J. et al . The prevalence of low pack pain among children and adolescents.  Spine. 1997;  22 1132-1136
  • 14 Varni J W, Rapoff M A, Waldron S A. et al . Effects of perceived stress on pediatric chronic pain.  J Behav Med. 1996;  19 515-528
  • 15 Vikat A, Rimpelä M, Salminen J J. et al . Neck or shoulder pain and low back pain in Finnish adolescents.  Scand J Public Health. 2000;  28 164-173

Ute Ellert

Robert Koch-Institut

Seestraße 10

13353 Berlin

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Literatur

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Ute Ellert

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13353 Berlin