psychoneuro 2003; 29(4): 180-182
DOI: 10.1055/s-2003-39186
Brennpunkt

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Stellungnahme der DGPPN - Eckpunkte des BMGS zur Modernisierung des Gesundheitswesens

Jürgen Fritze1 , Mathias Berger1 , Frank Bergmann1
  • 1Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN)
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Korrespondenzadresse:

Prof. Dr. med. Jürgen Fritze

Asternweg 65

50259 Pulheim

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Publication Date:
09 May 2003 (online)

Table of Contents #

Zusammenfassung

Am 05.02.2003 hat Frau Bundesministerin U. Schmidt ihre „Eckpunkte zur Modernisierung des Gesundheitswesens” anlässlich einer Sitzung der Rürup-Kommission der Öffentlichkeit präsentiert. Die DGPPN begrüßt grundsätzlich die meisten der acht Eckpunkte, soweit deren bisher eher weichen Formulierungen überhaupt eine Einschätzung erlauben, und nimmt im Folgenden zu den einzelnen Punkten Stellung, soweit unmittelbar oder mittelbar Auswirkungen auf die psychiatrisch-psychotherapeutische Versorgung erkennbar werden. Ob diese Eckpunkte zur Lösung der Finanzierungsprobleme beitragen können, erscheint fragwürdig. Vermutlich nicht ohne Grund fehlen in den Eckpunkten Aussagen über Leistungen, die aus dem GKV-Leistungskatalog ausgegliedert werden sollen, die im Vorfeld bereits öffentlich diskutiert wurden (z.B. „selbstverschuldete” Unfälle).

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1. Stärkung der Patienten-souveränität und -rechte - Patienten als Partner

Gegen die Wahrung der Bürgerrechte, wenn Krankheit eine Patientenrolle erzwingt, kann niemand Einwände haben. Gerade in der Versorgung psychisch Kranker ist die Wahrung der Bürgerrechte von besonderer Bedeutung, falls krankheitsbedingt der Betroffene diese Rechte nicht mehr autonom in Anspruch nehmen kann. Die an der Versorgung psychisch Kranker mitwirkenden Berufsgruppen legen großen Wert darauf, dass für diese Fälle klare gesetzliche Regelungen vorgesehen sind. Wenn ein Patientenbeauftragter das Einhalten dieser gesetzlichen Regelungen begleitet, so ist auch dagegen grundsätzlich nichts einzuwenden. Allerdings müssten die Aufgaben und Kompetenzen eines Patientenbeauftragten klar definiert werden, bevor sich einschätzen lässt, inwieweit aus dieser Institution nicht nur neue Bürokratie, sondern echter Nutzen erwächst.

Auch gegen Informations- und Anhörungsrechte von Patienten beim „Zentrum für Qualität in der Medizin” und bei den Bundesausschüssen der Ärzte bzw. Zahnärzte und Krankenkassen (gemäß § 92 SGB V) und beim Ausschuss Krankenhaus kann man keine ernsthaften Einwände haben. Wichtig wäre aber, etwas über die vorgesehene demokratische Legitimation solcher Patientenvertreter zu erfahren. Schließlich - und das ist angesichts zum Teil nicht perfekt mit dem Stand der Wissenschaft in Einklang stehender Entscheidungen der Bundesausschüsse (z.B. jüngst zur Behandlung mit modernen, sog. atypischen Neuroleptika) wirklich wichtig - sind auch den Fachgesellschaften Anhörungsrechte bei den Bundesausschüssen einzuräumen. Diese Forderung trägt die DGPPN seit Jahren vor (Psycho 24 (1998) 560-561; Psychopharmakotherapie 6 (1999) 70-71; PsychoNeuro 29 (2003) 16-18). Es ist nicht nachvollziehbar, dass die „Ärztegesellschaften der besonderen Therapierichtungen” angehört werden, nicht aber die Fachgesellschaften. Die Entscheidungen der Bundesausschüsse geraten so unter Verdacht, eher Partikularinteressen als der Wissenschaft verpflichtet zu sein.

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2. Verbesserung der Patientenversorgung - Gute Qualität für alle

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Rezertifizierung.

Die Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung an den Nachweis regelmäßiger Fortbildung zu binden, ist nicht ohne Logik, allerdings nicht wirklich neu. Schon immer besteht eine Verpflichtung zur Fortbildung, deren Nachweis bisher allerdings freiwillig ist. Die Fachgesellschaften und Berufsverbände im nervenärztlichen und psychiatrischen Bereich haben hier seit Jahren eine Vorreiterrolle übernommen. Es sollte aber überlegt werden, ob nicht auf Wunsch des einzelnen Arztes auch Wiederholungsprüfungen ermöglicht werden sollten. Es sollte auch bedacht werden, dass zwischen Strukturqualität einerseits und Prozessqualität und erst recht Ergebnisqualität andererseits nur lose Korrelationen bestehen. Ärztliche Kompetenz ist nur eine unter zahlreichen Determinanten für Therapieerfolg unter effizientem Ressourcenverbrauch und Patientenzufriedenheit. Vor diesem Hintergrund ist in anderen Staaten die kollegiale Prüfung der Ergebnisqualität mittels Peer Review in Stichproben eingeführt worden. Es wäre wert experimentell zu prüfen, welches dieser Verfahren die höchste Nutzen-Kosten-Relation bei größter Akzeptanz aufweist. Schließlich sollte eine internationale Harmonisierung angestrebt werden, angesichts der Freizügigkeit innerhalb Europas zumindest also auf europäischer Ebene.

Jedenfalls kann jede Rezertifizierungsdiskussion nicht allein auf die Ärzteschaft begrenzt bleiben. Welche Regelungen auch immer getroffen werden, sie müssen alle Berufsgruppen des Gesundheitswesens erfassen.

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Qualitätsmanagement.

Der anscheinend angestrebte gesetzliche Eingriff in die Methodik des Qualitätsmanagements in der Vertragsarztpraxis ist suboptimal. Eine Arztpraxis stellt ein wirtschaftliches Unternehmen dar. Bei anderen Wirtschaftszweigen käme der Staat wohl kaum auf den Gedanken, die Methodik des Qualitätsmanagement vorschreiben zu wollen, selbst wenn es - wie z.B. in der Automobilindustrie - auch ums Überleben gehen kann. Der Gesetzgeber ist berechtigt und verpflichtet, bei Produkten, die die Sicherheit der Bevölkerung tangieren, die Garantie der Ergebnisqualität einzufordern. Der Weg dahin, d.h. die Methodik des Qualitätsmanagements, diese Ergebnisqualität zu gewährleisten, muss aber Sache des einzelnen Unternehmens bleiben, auch in der Arztpraxis. Denn die Methodik des Qualitätsmanagements hat wirtschaftliche Implikationen. Dabei bleibt unbenommen, dass umfassendes Qualitätsmanagement (TQM) z.B. nach dem EFQM-Modell (European Foundation for Quality Management) derzeit die vernünftigste Methodik darstellt; aber das gehört nicht ins Gesetz.

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„Deutsches Zentrum für Qualität in der Medizin”.

U.a. die Organe der verfassten deutschen Ärzteschaft laufen derzeit Sturm gegen die Idee eines „Deutschen Zentrums für Qualität in der Medizin”. Das mag daran liegen, dass die geplanten Zuständigkeiten dieser „Stiftung Warentest im Gesundheitswesen” weitgehend unbekannt sind. Soweit man allerdings dem Eckpunktepapier der Friedrich-Ebert-Stiftung vom August 2002 entnehmen kann, soll es um die „Erstellung der wichtigsten Instrumente der Qualitätssicherung, Mindestmengenanalysen (für das Krankenhaus), evidenzbasierte Leitlinien und Kosten-Nutzen-Analysen neuer Arzneimittel und Verfahren” gehen.

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Kosten-Nutzen-Relation.

Weltweit ist Deutschland nahezu das einzige Land, das bisher nicht in irgendeiner Weise die Kosten-Nutzen-Relation neuer Arzneimittel würdigt. Schon allein aus dieser internationalen Perspektive macht es Sinn, diese sog. 4. Hürde für Arzneimittel als Aufgabe eines in welcher Rechtsform auch immer angesiedelten Institutes für Qualität einzuführen. Eine Schwäche des (europäisch harmonisierten) Medizinproduktegesetzes ist, dass mit der Konformitätserklärung (CE-Mark) im Wesentlichen nur die technische Qualität (1. Hürde = Herstellungsqualität) gewährleistet wird. Bei den Medizinprodukten könnte sich das Institut also um die 2.-4. Hürde kümmern.

Dasselbe gilt für neue medizinische Verfahren, z.B. Operationen oder auch Psychotherapieverfahren, für die die 1.-4. Hürde einzuführen wäre.

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Mindestmengen.

Für das Krankenhaus fordert das Gesetz von den Vertragsparteien gemäß § 17b KHG, im Interesse der Qualität Mindestmengen zu definieren; werden diese Mindestmengen nicht erreicht, so darf das Krankenhaus diese Leistungen überhaupt nicht mehr erbringen (falls nicht die zuständigen Landesbehörden abweichend entscheiden). Damit werden die Vertragsparteien zweifellos überfordert sein.

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Leitlinien.

Sofern sich das Institut auf methodische Vorgaben, Koordinierung und Finanzierung der Leitlinienentwicklung und Entwicklung von Materialien zur Patienteninformation beschränkt und die Inhalte der Wissenschaft überlässt, kann man auch dagegen eigentlich nichts haben. Die Sorgen der Organe der verfassten Ärzteschaft, ein staatliches Institut könnte medizinisches Handeln im Detail vorschreiben, erscheinen überzogen: Der Staat würde sich damit Haftungsrisiken aufbürden, denen er niemals gewachsen wäre. Derart unintelligent wird der Staat kaum handeln.

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3. Verbesserung der Transparenz - Grundlagen für modernes Informations-management

Gegen die Einführung der Patientenquittung als Instrument der Transparenz und zur Vorbeugung vermeintlichen Abrechnungsbetruges sind nur die damit verbundenen Kosten abzuwägen. Damit zwangsläufig verbunden ist die Bereitschaft und der Aufwand, potenziell in jedem Einzelfall die medizinische Sinnhaftigkeit ärztlichen Handelns darzulegen. Gegen die elektronische Gesundheitskarte ist nur einzuwenden, dass es sich um eine veraltete Technologie handelt. Sinnvoll ist die entsprechende Sammlung behandlungsrelevanter Patientendaten in der sog. elektronischen Patientenakte. Die Zusammenführung von Leistungs- und Abrechnungsdaten ist grundsätzlich sinnvoll (wenn das die Datenschutzgesetze zulassen).

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4. Entscheidungsfreiheit für Versicherte - Belohnung für rationales Verhalten

Hausarzt als Gatekeeper. In der Vergangenheit hat der Bürger tendenziell mit den Füßen gegen den Hausarzt als Lotsen im Gesundheitssystem abgestimmt. Ob die Einführung einer solchen Lotsenfunktion die gewünschte Effizienzsteigerung herbeiführt, muss mangels Daten dahingestellt bleiben. Grundsätzlich erscheint eine Lotsenfunktion sinnvoll. Diskussionswürdig ist aber, ob die Lotsenfunktion einem bestimmten Fachgebiet - hier der Allgemeinmedizin - zugeschrieben werden muss. Alternativ - und sowohl freiheitlicher als auch pragmatischer - wäre, jedem Vertragsarzt die Lotsenfunktion abzuverlangen. So könnte dem ersten vom Patienten konsultierten Arzt dieses „Case Management” auferlegt werden.

Die vorgesehene (und im Gesetz keineswegs neue) Beschränkung der Lotsenfunktion auf den Hausarzt ist aber bei psychischen Krankheiten ungeeignet. Psychische Krankheiten nehmen überwiegend einen chronisch-rezidivierenden oder chronischen Verlauf. Gerade bei psychischen Krankheiten ist die personelle Kontinuität unabdingbar. Den Direktzugang zum Arzt für Psychiatrie und Psychotherapie zu verwehren, indem der Hausarzt obligat zwischengeschaltet wird, wäre ein folgenschwerer Rückschritt. Wenn der Hausarzt schon als Lotse definiert werden soll, so wären der Arzt für Psychiatrie und Psychotherapie sowie der Gynäkologe und Augenarzt hiervon auszunehmen. Die Inanspruchnahme des Lotsen mit Boni zu belohnen, darf jedenfalls sachgerechte ärztliche Behandlung nicht behindern.

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Selbstbeteiligung.

Die bisher starren Zuzahlungsregelungen für Arzneimittel nach Packungsgrößen gemäß des französischen Modells am Innovationsgrad auszurichten, ist grundsätzlich sinnvoll. Dennoch werden die bisherigen Härtefallregelungen unverzichtbar bleiben. Dies gilt gerade für psychisch Kranke, die als Folge ihrer Krankheit überproportional häufig solchen Schutzes bedürfen.

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Prävention.

Die Förderung der Prävention und die Belohnung des Versicherten für die Teilnahme an Präventionsprogrammen ist zu begrüßen. Das Vorhaben ist mutig, denn die notwendigen erheblichen Investitionen werden sich erst nach Jahren auszahlen (und niemand wird das dann merken).

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5. Modernisierung der Versorgung - Erweiterung der freien Arztwahl

Sicherstellungsauftrag. Die Übertragung des Sicherstellungsauftrages gleichermaßen auf Vertragsärzte (Kassenärztliche Vereinigungen) und Krankenkassen wird die Krankenkassen mit interessanten Aufgaben konfrontieren. Für die „Zuschauer” wird besonders interessant sein zu erleben, mit welchem Erfolg beide Parteien diese Aufgabe gemeinsam meistern. Die beispielhafte Einigungsfähigkeit beider Parteien in der Vergangenheit lässt Spannendes erwarten.

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Einkaufsmodelle.

Die Ermöglichung von Einzelverträgen zwischen Vertragsarzt(-gruppen) und Kostenträgern ist keineswegs neu (z.B. für Disease-Management-Programme geltendes Recht). Sie ist zweifellos mit neuer Bürokratie belastet und kann die flächendeckend gleichmäßige Versorgung gefährden. Die Gewährleistung der Beitragsneutralität wird Mathematikern Arbeitsplätze sichern.

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Öffnung des Krankenhauses und Gesundheitszentren.

Die Teilöffnung des Krankenhauses für ambulante Leistungen in unterversorgten Regionen und für hochspezialisierte Leistungen klingt plausibel. Aber wer definiert mit welcher Methodik die Regionen bzw. Leistungen? Die Idee des „Gesundheitszentrums” revitalisiert das Konzept der in den neuen Bundesländern mit der deutschen Vereinigung liquidierten Polikliniken.

Wenn die Erweiterung ambulanter Behandlungsmöglichkeiten des Krankenhauses die Kooperation zwischen Krankenhaus und Vertragsarzt zu Gunsten beider und insbesondere der Patienten verbessern hilft, ist das willkommen. Hier besteht gerade bei psychischen Krankheiten Bedarf, um die Behandlungskontinuität für Subgruppen chronisch Kranker besser ermöglichen zu können. Dabei hilft aber nicht allein die einseitige Erweiterung der ambulanten Behandlungsmöglichkeiten des Krankenhauses. Es bedarf der Integration, also der Verbesserung der bestehenden Gesetze zur integrierten Versorgung (§ 140 ff SGB V). Wenn die Erweiterung nur dazu dienen soll, die ambulante fachärztliche Versorgung zu liquidieren, so wäre dies gerade bei psychischen Krankheiten zum Nachteil der Patienten, indem die Gemeindenähe der Versorgung im Lebensfeld der Patienten pervertiert würde.

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6. Weiterentwicklung des ärztlichen Vergütungssys-tems - Anreize für bessere und wirtschaftlichere Behandlung

Der Begriff „patientenorientierte Vergütung für die hausärztliche Versorgung” meint wohl die Einführung von Kopfpauschalen. Kopfpauschalen wurden in den 60er-Jahren durch ein Einzelleistungssystem ersetzt, gerade um Qualitätsdefiziten zu begegnen. Dasselbe gilt für die Lotsenfunktion des Hausarztes. Fallpauschalen für ambulante fachärztliche (vertragsärztliche) Leistungen werden im Bereich psychischer Krankheiten auf die bekannten Schwierigkeiten stoßen, die der Gesetzgeber anerkannt hat, indem er stationäre Einrichtungen der Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Psychotherapeutischen Medizin aus dem DRG-Entgeltsystem ausgenommen hat. Im ambulanten Bereich eignen sich Fallpauschalen allenfalls für das ambulante Operieren. Allerdings arbeitet auch die DGPPN an Konzepten, die für bestimmte Patientengruppen, die hochfrequent stationäre und ambulante Leistungen in Anspruch nehmen müssen, Komplexentgelte ermöglichen könnten.

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7. Verbesserung der Arzneimittelversorgung - Qualitäts- und Preisbewusst-sein stärken

Die vorgesehene Liberalisierung des Arzneimittelhandels zu kommentieren, ist nicht Sache der medizinischen Fachgesellschaft. Die Therapienutzen-Kosten-Bewertung durch ein Institut wurde unter 2. gewürdigt.

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8. Modernisierung der Steuerung - Schaffung eines leistungsfähigen Manage-ments

Die Organisationsreform der Organe der Selbstverwaltung wäre willkommen, wenn sie denn tatsächlich Konflikte schneller lösen helfen würde. Eine Publizitätspflicht der Vorstandsgehälter und Aufwandsentschädigungen mag zwar in einer Neidgesellschaft Unterhaltungswert haben, wird aber sonst wenig nutzen. Bei dieser begrenzten Publizitätspflicht würde es vermutlich mittelfristig nicht bleiben.

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Korrespondenzadresse:

Prof. Dr. med. Jürgen Fritze

Asternweg 65

50259 Pulheim

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