Notfall & Hausarztmedizin (Notfallmedizin) 2005; 31(11): 510-511
DOI: 10.1055/s-2005-923703
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© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Kardiovaskuläre Erkrankungen - Versorgungslücken und Behandlungsstrategien in der Hypertonietherapie

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Publication Date:
02 January 2006 (online)

 
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Kardiovaskuläre Erkrankungen gehören zu den häufigsten Todesursachen in den Industrienationen. Ein wesentlicher Risikofaktor für zerebro- und kardiovaskuläre Erkrankungen ist die Hypertonie. Mit diesem Risikofaktor befasste sich zum einen die auf dem ESC 2005 vorgestellten ASCOT-BPLA[1]-Studie, in der für ein Amlodipinbesilat3-basiertes Therapiekonzept eine Überlegenheit gegenüber einer Kombination von Betablocker und Diuretikum hinsichtlich kardiovaskulärer Endpunkte gezeigt werden konnte. Die DETECT[2]-Studie untersuchte die Prävalenz kardiovaskulärer Risiken in der primärärztlichen Versorgung in Deutschland.

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DETECT-Studie: Prävalenz kardiovaskulärer Risiken in der Bevölkerung

DETECT[2] ist die weltweit größte Untersuchung zur Prävalenz und Inzidenz kardiovaskulärer Risikofaktoren in der Bevölkerung. Für die Studie unter der Leitung von Prof. Hans-Ulrich Wittchen, Dresden, haben 3188 Hausärzte das Diagnose- und Behandlungsprofil von insgesamt 55518 Patienten dokumentiert: 59% Frauen, 41% Männer über 18 Jahre, mittleres Alter 53,9 Jahre. Gleichzeitig haben alle Patienten einen Fragebogen zu ihren soziodemographischen Daten, ihren Beschwerden, Diagnostik und Therapiemaßnahmen ausgefüllt. Bei 7519 der Patienten, also bei etwa jedem Zehnten, wurde zusätzlich Blut abgenommen und im Labor untersucht. Die Laboruntersuchung konzentrierte sich vor allem auf diejenigen Bestandteile im Blut, die mit kardiovaskulären Erkrankungen oder Diabetes mellitus in Verbindung stehen. Eine Nachuntersuchung erfolgte nach zwölf Monaten, eine weitere ist nach vier Jahren geplant.

Die Querschnittstudie von DETECT untersuchte im deskriptiv-epidemiologischen Teil die Häufigkeit, Form und Schwere von Herz-Kreislauferkrankungen, ausgewählten assoziierten Stoffwechselkrankheiten sowie atherosklerotischen Erkrankungen und Syndromen. Sie identifizierte Hochrisikokonstellationen und ermittelte ärztliche Erkennens-, Diagnose- und Therapieraten. Der versorgungsbezogene Teil fokussierte die häufigsten Diagnose- und Therapiestrategien, beurteilte die Behandlungsgüte - mittels Abgleich der Leitlinien und therapeutischen Zielvorstellungen - und suchte nach Indikationen für eine Unter-, Über- und Fehlversorgung. Zudem wurden häufige Versorgungsprobleme und Einflussfaktoren wie Arzt, Patient, Umfeld oder System identifiziert.

Die Längsschnittstudie von DETECT dokumentierte Veränderungen der Laborwerte und diagnostische Beurteilungen nach einem Jahr in Abhängigkeit des initialen Diagnose- und Therapiestatus und im Abgleich der Risikoindices. Zudem ermittelte sie die Häufigkeit und den Zeitpunkt kritischer Outcomes beispielsweise im Verlauf eines Infarktes, von Folgemorbidität, Hospitalisierung und kritischer medizinischer Interventionen.

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Ergebnis: Primärärztliche Unterversorgung bei Hypertonie und Hyperlipidämie

Prof. Andreas Zeiher aus Frankfurt, Mitglied im Steering Komitee der DETECT-Studie, zeigte anhand der Studienergebnisse, dass die Ärzte die tatsächliche Risikoprävalenz unterschätzen. So hatte nach Einschätzung des Arztes die Hälfte der Patienten erhöhte Cholesterinwerte und erhöhte LDL-Werte. Die Laboruntersuchungen ergaben jedoch ein weitaus höheres Risiko: Gesamtcholesterin war bei drei Viertel der Patienten erhöht, LDL-Cholesterin bei zwei Drittel der Patienten. Bei 82% der Patienten lag eine arterielle Hypertonie vor, davon erhielten jedoch nur 55% eine antihypertensive Medikation. Eine Hyperlipidämie bestand bei 49% der Patienten, eine lipidsenkende Medikation erhielten lediglich 20%. 45% der Patienten hatten beide Risikofaktoren. Obwohl es eindeutige Zielwerte für Blutdruck, LDL-Cholesterin und andere Parameter gibt, werden diese nur bedingt erreicht. Selbst bei KHK-Patienten mit mehreren Risikofaktoren, bei denen die Zielwerte unstrittig sind, werden diese bei mehr als 50% der Patienten nicht erreicht. Nach Zeiher liegt das zum einen daran, dass nicht stringent genug auf die Zielwerte hin therapiert wird. Aber auch daran, dass selbst bei richtiger Diagnose von Komorbiditäten diese nur eingeschränkt behandelt werden. So erhielten von 45% der Patienten mit arterieller Hypertonie und Hyperlipidämie 66% Antihypertensiva und 20% ein lipidsenkendes Medikament, 17% bekamen beide Medikamentengruppen. Als Antihypertensivum wurde am häufigsten ein Betablocker (44%) verordnet, gefolgt von ACE-Hemmern (39%), Diuretika (32%), Kalziumantagonisten (23%) und AT1-Blockern (19%). Als Lipidsenker wurden Statine bei 22% der Patienten mit Hyperlipidämie, Fibrate bei 3%, Ezetimibe bei 1% und Nikontinsäurederivate bei 0,5% verordnet.

Daraus kann gefolgert werden, dass ein erheblicher Teil der Patienten mit arterieller Hypertonie und/oder Hyperlipidämie in der hausärztlichen Praxis suboptimal medikamentös behandelt wird. Zeiher betonte, dass diese Situation erhebliche Anforderungen an die Ärzte stellt, sowohl zur Diagnostik als auch bezüglich der täglich zu treffenden Therapieentscheidungen. Die Ursache für die Unterversorgung liege nicht im ärztlichen Nihilismus, es sei hinsichtlich der Prävalenz kardiovaskulärer Risikofaktoren eher eine quantitative Überforderung zu vermuten, die noch durch politisch motivierte ökonomische Zwänge verstärkt würde.

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ASCOT-BPLA-Studie: Welche Antihypertensiva bei Hypertonie?

Mit welchen Antihypertensiva das mit einer Hypertonie einhergehende hohe Risiko am besten zu therapieren ist, untersuchte die ASCOT-BPLA2-Studie. Ziel dieser bisher größten Hypertoniestudie in Europa war es, bei Hypertonikern mit drei oder mehr zusätzlichen kardiovaskulären Risikofaktoren zu prüfen, ob eine Behandlung auf der Basis von Amlodipinbesilat[3] besser vor kardiovaskulären Ereignissen schützt als eine Therapie basierend auf einem Betablocker. Insgesamt 19257 Hypertoniker zwischen 40 und 79 Jahren nahmen an der Studie teil. Die mittlere Behandlungsdauer betrug 5,5 Jahre. Wie Prof. Hermann Haller, Hannover, darstellte, spiegeln sich im Patientenkollektiv die Patienten wider, die auch in der täglichen Praxis behandelt werden. Neben erhöhtem Blutdruck hatten sie mindestens drei weitere kardiovaskuläre Risikofaktoren, wie zum Beispiel ein Alter über 55 Jahre, männliches Geschlecht oder Rauchen. Die Patienten erhielten entweder 5-10 mg Amlodipinbesilat und bei Bedarf zusätzlich den ACE-Hemmer Perindopril, oder 50-100 mg des Betablockers Atenolol, der bei Bedarf mit einem Thiaziddiuretikum kombiniert wurde. Durch Auftitrieren und Kombinieren wurden sowohl in der Atenolol-Gruppe als auch in der Amlodipinbesilat-Gruppe der Blutdruck konsequent auf einen Zielwert von unter 140/90 mmHg (bei Diabetikern unter 130/80 mmHg) gesenkt.

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Ergebnis: Signifikant niedrigere Mortalität in der Amlodipin-Gruppe

In der Amlodipinbesilat-Gruppe konnte sowohl die kardiovaskuläre Mortalität als auch die Gesamtmortalität und Anzahl der kardiovaskulären Zwischenfälle und Schlaganfälle signifikant stärker reduziert werden als in der auf einem Betablocker basierenden Medikation. So war die Inzidenz kardiovaskulärer Todesfälle in der Amlodipinbesilat-Gruppe um 24% und die Gesamtmortalität um 11% niedriger als unter Betablocker. Die Häufigkeit der tödlichen und nicht tödlichen Schlaganfälle war um 23% und die Gesamtzahl aller koronaren Endpunkte um 13% niedriger. Auch die Wahrscheinlichkeit, einen Diabetes mellitus zu entwickeln, war in der Amlodipinbesilat-Gruppe geringer. Aufgrund der signifikant höheren Mortalität in der Gruppe, die mit Atenolol und Thiazid behandelt wurde, war die ASCOT-BPLA-Studie Ende 2004 auf Empfehlung des unabhängigen Steering Komitees vorzeitig beendet worden.

Obwohl die Blutdrucksenkung in beiden Gruppen ähnlich effektiv war, kann die anfänglich raschere Blutdrucksenkung nach Meinung von Prof. Haller angesichts des zeitlichen Verlaufs nicht für den eklatanten Vorteil bezüglich der kardiovaskulären Mortalität verantwortlich gemacht werden. Es spreche viel dafür, dass dieser Unterschied mit Blutdruck unabhängigen Wirkungen von Amlodipinbesilat plus Perindopril erklärt werden kann. Indirekte metabolische Effekte oder direkte Gefäßeffekte seien die wahrscheinlichste Erklärung, die aber noch durch die entsprechende Forschung belegt werden müssen, erklärte Haller.

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Hypertonie-Behandlung: Massenstrategie oder Risikostratifizierung?

Laut Prof. Hans-Michael Steffen aus Köln, ist nach ASCOT eigentlich klar, wie die Hypertonie-Behandlung aussehen muss. Jedoch müsse man für eine definitive Antwort die unterschiedlichsten Strategien berücksichtigen. Bei einem ökonomisch gesteuerten Konzept, wie zum Beispiel in den USA soll durch eine antihypertensive Therapie in breiten Bevölkerungsteilen der Blutdruck gesenkt und damit das Risiko minimiert werden. Einer solchen Massenstrategie stehe ein individuelles Vorgehen gegenüber, das sich an einer Risikostratifizierung orientiert. So kann es nach Steffen beim Diabetiker durchaus sinnvoll sein, schon bei einem fast normalen Blutdruck zu intervenieren. Dagegen könne beim Hypertoniker ohne andere Risikofaktoren drei bis sechs Monate abgewartet werden und auf Allgemeinmaßnahmen gesetzt werden, bevor man medikamentös therapiert. Steffen bestätigte, dass Diuretika zwar die billigsten Antihypertensiva seien, ob sie auch die preiswertesten sind, würde er jedoch bezweifeln. Er sprach sich für eine antihypertensive Kombinationstherapie von Anfang an aus, da dies deutliche Vorteile im Hinblick auf die Compliance habe. Das Ausprobieren von verschiedenen Substanzen in der Monotherapie, um schließlich doch eine Kombinationstherapie zu versuchen, würde von Patienten nicht gut akzeptiert.

Quelle: Presseinformation "Moderne Hypertoniebehandlungen - Möglichkeiten und Realität" und "Ergebnisse der ASCOT-Studie unterstreichen eindrucksvoll den Nutzen einer Blutdruckbehandlung mit Norvasc®, herausgegeben von Pfizer Pharma GmbH, Karlsruhe.

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Literatur

  • 1 Silber S . Böhler S . Glaesmer H . et al . Z Kardiol. 2005;  94: Suppl 1
  • 2 Dahlöf B . Sever S . et al . Lancet. 2005;  366 895-906
  • 3 Poulter NR . Wedel H . Dahlöf B . et al . Lancet. 2005;  366 907-913

1 Diabetes Cardiovascular Risk Evaluation, Targets and Essential Data for Commitment of Treatment

2 Anglo-Scandinavian Cardiac Outcomes Trial - Blood-Pressure Lowering Arm

3 Norvasc®, Pfizer Pharma GmbH

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Literatur

  • 1 Silber S . Böhler S . Glaesmer H . et al . Z Kardiol. 2005;  94: Suppl 1
  • 2 Dahlöf B . Sever S . et al . Lancet. 2005;  366 895-906
  • 3 Poulter NR . Wedel H . Dahlöf B . et al . Lancet. 2005;  366 907-913

1 Diabetes Cardiovascular Risk Evaluation, Targets and Essential Data for Commitment of Treatment

2 Anglo-Scandinavian Cardiac Outcomes Trial - Blood-Pressure Lowering Arm

3 Norvasc®, Pfizer Pharma GmbH