psychoneuro 2007; 33(12): 540-541
DOI: 10.1055/s-2007-1012570
Blickpunkt

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Interdisziplinäres Expertengremium: Diskussion über Therapiesicherheit - Screening und Monitoring der Depression in der hausärztlichen Praxis bei kardiometabolischen Risikopatienten

Further Information

Publication History

Publication Date:
25 January 2008 (online)

 
Table of Contents

Der Wirkstoff Rimonabant (Acomplia®) ist - zusätzlich zu Diät und Bewegung - zugelassen zur Behandlung adipöser (BMI ≥ 30 kg/m2) oder übergewichtiger Patienten mit einem BMI ≥ 27 kg/m2, die gleichzeitig einen oder mehrere Risikofaktoren wie Typ-2-Diabetes oder eine Dyslipidämie aufweisen. Seit dem Periodic Safety Update (PSUR) der Europäischen Zulassungsbehörde EMEA am 19. Juli 2007, in dem das positive Nutzen-Risiko-Profil von Rimonabant für die vorgesehenen Patientengruppen bestätigt wurde [1], ist die schwere Depression und/oder antidepressive Behandlung als Kontraindikation aufgenommen und bei der Therapieentscheidung zu berücksichtigen.

Anfang November 2007 bestätigte die europäische Kommission die positive Nutzen-Risiko-Analyse der EMEA zu Rimonabant und die Anpassung der Fachinformation. Der Hersteller hat die angepasste Fachinformation zu Rimonabant an die entsprechenden Zielgruppen weitergegeben und die behördlichen Vorgaben umgesetzt. Alle Ärzte wurden darauf hingewiesen, dass Patienten mit einer Depression oder unter antidepressiver Medikation konsequent von einer Rimonabant-Therapie ausgeschlossen werden müssen. In der Neufassung der europäischen Fachinformation sind zudem die Ergebnisse der SERENADE-Studie (siehe Kasten) zum Typ-2-Diabetes berücksichtigt.

#

Die SERENADE-Studie

Es nahmen 278 Typ-2-Diabetiker an der Studie teil, die noch keine antidiabetische Therapie erhalten hatten. In zwei Gruppen erhielten sie entweder Placebo oder 20 mg Rimonabant. Alle Patienten wurden zu einer Änderung ihres Lebensstils angehalten und die Ernährung wurde um täglich 600 kcal reduziert.

  • Nach sechs Monaten war der HbA1c in der Verumgruppe um 0,8% von 7,9% auf 7,1% gesunken, unter Placebo nur um 0,3%.

  • Ein hoher Ausgangs-HbA1c von 8,5% wurde um 1,9% reduziert, unter Placebo um 0,7%.

  • 50,8% der Patienten erreichten in der Verumgruppe einen HbA1c ≤ 7%, in der Placebogruppe nur 35,1%.

  • Die Gewichtsreduktion in der Verumgruppe betrug im Mittel 6,7 kg, in der Placebogruppe 2,7 kg.

  • Der Nüchternblutzucker lag in der Rimonabant-Gruppe um 18 mg/dl niedriger und der Bauchumfang war um 4 cm geringer als in der Placebogruppe.

  • Triglyzeride waren in der Verumgruppe um 52 mg/dl niedriger, das HDL um 4 mg/dl höher als unter Placebo.

  • Adiponektin war signifikant angestiegen und die Insulinresistenz (HOMA-IR) war deutlich geringer.

#

Depressivität realistisch einschätzen

Ein interdisziplinäres Expertengremium aus Grundlagenforschung, Diabetologie und Psychiatrie traf sich in Berlin, um eine Empfehlung zum Screening und Monitoring depressiver Symptome bei Patienten zu erarbeiten, denen in der hausärztlichen Praxis Rimonabant verordnet wird. Sie reagierten damit auch auf eine kürzlich in "The Lancet" veröffentlichte Metaanalyse der vier Zulassungsstudien (RIO-Europe, RIO-Lipids, RIO-North America und RIO-Diabetes), die sich dem Thema Rimonabant und Depression widmet und die Ärzte verstärkt auf potenziell schwerwiegende, unerwünschte psychiatrische Nebenwirkungen einer Rimonabant-Therapie hinweist [2].

Unter den Experten herrschte Konsens darüber, dass zur realistischen Bewertung, ob ein Patient für die Therapie mit Rimonabant geeignet ist, die Symptome einer Depression vom Arzt klar erkannt werden müssen. Dazu benötigt er ein geeignetes, einfach zu handhabendes Screeninginstrument, um die Affektivität seines übergewichtigen, kardiometabolischen Risikopatienten richtig zu erkennen, betonte Prof. Fritz Hohagen, Kiel.

Der Arzt sollte darüberhinaus gewisse Kenntnisse der psychopathologischen Begrifflichkeit haben, damit er die Sicherheit gewinnt, ausschließlich solchen Patienten Rimonabant zu verordnen, die von der Wirkung der Substanz profitieren und alle Patienten auszuschließen, die Zeichen einer Depressivität aufweisen oder mit einer Stimmungsveränderung auf die Substanz reagieren könnten.

Dass es unter Anwendung von Medikamenten zu einer Veränderung der Affektivität kommen könne, sei für einige in der hausärztlichen Praxis häufig verordnete Arzneimittel bekannt. Einer Verunsicherung der Ärzte durch die aktuell publizierten Daten müsse daher durch klare Informationen begegnet werden. Das Expertengremium hielt es für vorrangig, Prädiktoren für Depressivität zu finden, die das Depressionsrisiko Übergewichtiger mit kardiometabolischen Risikofaktoren eindeutig identifizieren.

Nach Prof. Hans-Jürgen Möller, München, sind Depressionen in Deutschland noch immer unterdiagnostiziert und untertherapiert. Tatsächlich werden die meisten Diagnosen zur Depression von Hausärzten gestellt, die auch die Therapie initiieren. "Schwere Depressionen werden leicht erkannt, aber in diesen Fällen steht eine Rimonabant-Verordnung überhaupt nicht zur Diskussion", so Möller. Diagnostische Unsicherheit entstehe bei den weniger eindeutigen Symptomen, wie bei leichten bis mittelschweren oder somatisierten Depressionen. Um Depressivität zu erkennen, ist es aus seiner Sicht sinnvoll, dem Arzt einen einfachen, hochsensitiven Fragebogen und zusätzliche CME-Fortbildungsmaßnahmen zur Verfügung zu stellen, damit er die Depressivität der kardiometabolischen Risikopatienten effektiv screenen und diesen bei einem positiven Befund von der Rimonabant-Therapie ausschließen kann. Die Expertenrunde war sich einig, dass nur einfache und valide Instrumente zur Entscheidungsfindung akzeptiert werden, die den Arzt unterstützen und seinen Praxisalltag nicht verzögern.

#

Psychiatrische Experten befürworten WHO 5

Zoom Image

Nach Prof. Eckart Rüther, München, steht die Sensibilisierung des niedergelassenen Arztes für die Signale einer Depressivität im Vordergrund. Für die Unterstützung bei der Bewertung der Depressivität sind einfache und klare Strategien notwendig. Die Experten waren sich einig, dass hierzu der WHO-5-Fragebogen gut geeignet ist, da erste Zeichen einer depressiven Gestimmtheit leicht erkennbar werden, und gleichzeitig vermieden wird, unspezifische Symptome zu rasch einem depressiven Formenkreis zuzuordnen. Der Test ist praktikabel und hochsensitiv, sodass Risikopatienten für die Therapie mit Rimonabant klar ausgeschlossen werden können. Die Vorteile des WHO-5-Fragebogens liegen in seiner einfachen Handhabung, der Vermeidung spezifischer Fachbegriffe und einem klar definierten Grenzwert für Depression. Insbesondere die nicht stigmatisierende Befragung nach dem Wohlbefinden des Patienten erhöht die Akzeptanz und die Aufmerksamkeit für das Problem der Depression in der Praxis.

Zoom Image

Einigkeit bestand in der Expertenrunde darüber, dass ein Grenzwert von mehr als 14 Punkten im Ergebnis des WHO-5-Fragebogens eine deutliche Richtlinie für oder gegen die Verordnung von Rimonabant definiert. Wird die Arzthelferin in das Adipositas-Management integriert und diesbezüglich geschult, kann sie gemeinsam mit dem Patienten noch vor dem Arztgespräch den WHO-5-Fragebogen ausfüllen.

Damit wird die begrenzte Arzt-Patienten-Zeit geschont. Es mache Sinn, so die Expertengruppe, dieses auch vom Kompetenznetz Depression empfohlene, anerkannte und bewährte Instrument zu verwenden. Ein zusätzlicher Vorteil des WHO-5-Fragebogens sei nach PD Dr. Markus Leweke, Köln, die erzielte Aufmerksamkeit des Patienten für sein körperliches und psychisches Wohlbefinden. Es wurde auch die Möglichkeit diskutiert, den WHO-5-Fragebogen als Monitoringinstrument bei Rimonabant-Patienten einzusetzen, die im Therapieverlauf negative Veränderungen der Stimmung zeigen.

#

Klare Anweisung zum Depressionsscreening

Praxisrichtlinien der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG)

Die aktuellen Praxisleitlinien der DDG liefern Empfehlungen zur Diagnostik der Begleiterkrankungen und Komplikationen bei Diabetikern. In den Richtlinien werden nicht nur das mikro- und makrovaskuläre Gesamtrisiko, die Nieren-, Augen- und Fußkomplikationen genannt, sondern explizit auch die Diagnostik der Depression gefordert: Alle Diabetiker sollten demnach auf das Vorliegen einer Depression untersucht werden und ggf. eine entsprechende Therapie erhalten [3].

#

Das Endocannabinoid-System

Nach Prof. Beat Lutz, Mainz, ist das Endocannabinoid-System an vielen physiologischen Prozessen beteiligt, z.B. an der Gedächtnisverarbeitung, den Emotionen, der Neuroprotektion, dem Essen und der Energiebereitstellung sowie der Bewegung und der Reproduktion. Nach neueren Erkenntnissen kann das Endocannabinoid-System Auswirkungen auf die Stressachse über das Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierensystem, auf die Schmerzempfindung, das Belohnungssystem und die Beteiligung an Entzündungen sowie an der Thermoregulation und den Schlaf haben. Es handelt sich also um ein vielseitiges Signalsystem, so der Experte, welches bei unterschiedlichen Bedürfnissen des Organismus aktiviert werden kann. Adipositas und das viszerale Fettgewebe führen zur Überaktivierung des Systems und CB1-Rezeptor-Antagonisten wie Rimonabant können diese Situation wieder normalisieren.

Dr. Karin Wilbrand/Günther Buck

#

Literatur

  • 01 EMEA-RIMONABANT, Pressemitteilung vom 19. Juli 2007. 
  • 02 Christensen R . et al . Lancet. 2007;  370 (9600) 1706-1713
  • 03 Matthaei S . Häring HU . Behandlung des Diabetes mellitus Typ 2. DDG-Praxisleitlinien.  Diabetologie und Stoffwechsel. 2007;  2 Suppl 2 S173-S177
#

Literatur

  • 01 EMEA-RIMONABANT, Pressemitteilung vom 19. Juli 2007. 
  • 02 Christensen R . et al . Lancet. 2007;  370 (9600) 1706-1713
  • 03 Matthaei S . Häring HU . Behandlung des Diabetes mellitus Typ 2. DDG-Praxisleitlinien.  Diabetologie und Stoffwechsel. 2007;  2 Suppl 2 S173-S177
 
Zoom Image
Zoom Image