Die Wirbelsäule 2023; 07(01): 14-15
DOI: 10.1055/a-1980-6570
Leitlinien

Zusammenfassung der S3 Leitlinie „Rückenschmerz bei Kindern und Jugendlichen“

Summary of the S3 guidelines "Back pain in children and adolescents"
Florian Geiger
1   Wirbelsäulen- und Skoliosezentrum, Hessing Stiftung, Augsburg
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Bei Rückenschmerzen denken die meisten zunächst an Erwachsene mit degenerativen Veränderungen. Treten Rückenschmerzen bei Kindern auf, werden diese oft bagatellisiert oder mit „Wachstumsschmerzen“ erklärt. Dabei ist die Prävalenz von Rückenschmerzen vor allem im Jugendalter nicht unerheblich. Wird sie bei Kindern unter 10 Jahren noch mit 4% angegeben, so steigt die Wahrscheinlichkeit eines Arztkontaktes wegen Rückenschmerzen zwischen dem 13. und 15 Lebensjahr auf 31% bei Jungen und 36% bei Mädchen. Rückenschmerzen bei Heranwachsenden stellen damit ein Problem dar, das vielen Ärzten begegnen wird. Die Ursachen können dabei andere sein, als man es von den Leitlinien zum Thema Kreuzschmerzen bei Erwachsenen kennt. Diesem Problem hat sich die Arbeitsgruppe von Prof. Frosch unter Mitarbeit von 14 Fachgesellschaften und Interessenvertretungen angenommen. Herausgekommen ist eine sehr systematische Aufarbeitung aller spezifischen und nicht-spezifischen Ursachen von Kreuzschmerzen im Kindesalter. Diese wurden sowohl in einer Langversion als auch einer Kurzversion sowie einer Patientenleitlinie auf der Webseite der AWMF veröffentlicht [1], die alle sehr gut lesbar sind und die ich jedem, der sich mit diesem Thema beschäftigt ans Herz legen kann. Für den Interessierten wurde dies noch ergänzt durch einen Evidenzbericht, in dem alle zitierten Artikel systematisch beschrieben und ausgewertet wurden, so dass jede einzelne Empfehlung gut nachvollziehbar ist. Da sehr viele internationale Studien ausgewertet wurden und die Erkenntnisse auch auf andere Länder übertragbar sind, wurden die Kernaussagen zur Ätiologie und Diagnostik einerseits und Therapie andererseits in zwei englischsprachigen Artikeln in „Children“ publiziert [2] [3].

Genau wie bei Erwachsenen wird zwischen spezifischen und nicht spezifischen Rückenschmerzen unterschieden. Aufgabe des Erstbehandlers, also des Familien- oder Kinderarztes, ist es, spezifische Ursachen für Rückenschmerzen zu erkennen. Neben den von Erwachsenen bekannten red-flags wie Fraktur, Tumor oder Entzündungen, können das im Kindesalter auch angeborene Fehlbildungen, neuromuskuläre, rheumatische, hämatologische oder andere abdominelle Erkrankungen sein. Gerade die red flags sind oft nicht einfach zu erkennen, da Stürze und Unfälle sowie Infektionskrankheiten häufig sind und bei Kindern andere Neubildungen auftreten als bei Erwachsenen. Daher ist eine dezidierte Ganzkörperuntersuchung unverzichtbar und vor allem unter 10-Jährigen mit Rückenschmerzen sollte besondere Aufmerksamkeit entgegengebracht werden.

Unter den häufigen orthopädisch relevanten Veränderungen der Wirbelsäule können neben kongenitalen Fehlbildungen die Spondylolysen und die Adoleszentenkyphose (M. Scheuermann) zu Rückenschmerzen führen. Für die idiopathische Skoliose ist dies unklar- zwar treten Rückenschmerzen gehäuft auf, jedoch sind diese in der Vergleichsgruppe (Mädchen, Pubertät, veränderte Körperwahrnehmung) ebenfalls erhöht, so dass man davon ausgehen muss, dass die Skoliose per se keine Schmerzursache ist.

Ein großer Teil der Beschwerden wird als nicht-spezifisch eingestuft. Risikofaktoren sind hierfür neben dem Alter und weiblichen Geschlecht vor allem psychosoziale Faktoren (Lebenszufriedenheit, Angst, geringer Selbstwert), aber auch Schlafstörungen, Rauchen und das Vorhandensein von Rückenschmerzen in der Familie. Sport, außer Leistungssport, Größe, Gewicht, Muskelkraft, Freizeitverhalten und Schulranzengewicht haben hingegen keinen Einfluss auf die Prävalenz von Rückenschmerzen. Die psychosozialen Faktoren erhöhen auch die Gefahr der Chronifizierung von Rückenschmerzen und verschlechtern die Prognose. Daher ist es wichtig auf diese auch schon im Wachstumsalter einzugehen. Es ist ein Trugschluss, dass Kinder keine solche Probleme hätten.

In der Diagnostik gelten ähnliche Empfehlungen wie bei den Erwachsenen, die in einem sehr anschaulichen Diagnosealgorithmus dargestellt wurden. Eine Bildgebung sollte nur bei klinischem Verdacht auf eine spezifische Ursache durchgeführt werden. Die Entscheidung für ein Röntgenbild oder MRT sollte vom klinischen Befund abhängig gemacht werden. Der Strahlenschutz, aber auch die Machbarkeit (ruhig liegen im MRT) müssen natürlich berücksichtigt werden.

Die Therapie erfolgt bei spezifischen Rückenschmerzen abhängig von den Ursachen. Bei nicht-spezifischen Rückenschmerzen ist das Ziel, dass normale Alltagsaktivitäten wieder aufgenommen werden sollen. Hierzu können Sport und aktivierende Physiotherapie helfen, für manuelle Therapie fand sich keine Evidenz. Bei chronischen Schmerzen soll frühzeitig eine Verhaltenstherapie und bei starker Beeinträchtigung eine multimodale Schmerztherapie erwogen werden, nicht jedoch der Einsatz von Analgetika. Sehr wichtig in der Prävention sind Edukation, Anleitung zu regelmäßigen Bewegungsübungen und regelmäßiger sportlicher Betätigung. Dies steht im Gegensatz zum häufig geäußerten Wunsch nach Schulsportbefreiung.

Da eine endgültige Einteilung in spezifische und nicht-spezifische Ursachen oft nicht beim Erstkontakt möglich ist, sind regelmäßige Verlaufskontrollen wichtig, um die Diagnostik und Therapie jeweils anzupassen und die bisherige Diagnose zu hinterfragen.

Das hohe Niveau dieser S3-Leitline ist sicher auch bedingt durch die kollegiale Atmosphäre, in der sie erarbeitet wurde. Herausgekommen ist eine sehr lesbare und praxisrelevante Leitlinie, bei dem alle Empfehlungen gut nachvollziehbar dargestellt und jeweils durch Evidenz belegt wurden. Ich hoffe, dass sie die ihr gebührende Verbreitung findet und dazu beiträgt, dass Jugendliche mit Rückenschmerzen ernst genommen und systematisch behandelt werden.



Publication History

Article published online:
27 February 2023

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