Zentralbl Chir 2011; 137(1): 88-90
DOI: 10.1055/s-0030-1262697
Symposiumsbericht

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart ˙ New York

Kontinuierliches intraoperatives Neuromonitoring des N. laryngeus recurrens in der Schilddrüsenchirurgie (CIONM) – Wo stehen wir? Ein Update zum Europäischen Symposium Kontinuierliches Neuromonitoring in der Schilddrüsenchirurgie

Continuous Intraoperative Neuromonitoring of the Recurrent Laryngeal Nerve in Thyroid Surgery (CIONM) – Where are we now? An Update to the European Symposium of Continuous Neuromonitoring in Thyroid SurgeryR. Schneider1 , W. Lamade2 , M. Hermann3 , P. Goretzki4 , W. Timmermann5 , J. Hauss1 , S. Leinung6
  • 1Universitätsklinikum Leipzig, Klinik für Viszeral-, Transplantations-, Thorax- und Gefäßchirurgie, Leipzig, Deutschland
  • 2Robert-Bosch-Krankenhaus, Abteilung Allgemeine Chirurgie und Viszeralchirurgie, Stuttgart, Deutschland
  • 3Kaiserin Elisabeth Spital, Abteilung für Chirurgie, Wien, Österreich
  • 4Städtische Kliniken Neuss, Lukaskrankenhaus GmbH, Chirurgische Klinik I, Neuss, Deutschland
  • 5Allgemeines Krankenhaus, Abteilung Chirurgie und Viszeralchirurgie, Hagen, Deutschland
  • 6Park-Krankenhaus Leipzig, Klinik für Allgemeine Chirurgie und Viszeralchirurgie, Leipzig, Deutschland
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Publication History

Publication Date:
01 March 2011 (online)

Die Ergebnisse beider großer Multizenterstudien zur postoperativen Rekurrenspareserate der „Interdisziplinären Studiengruppe Intraoperatives Neuromonitoring Schilddrüsenchirurgie“ sind Grundlage der Leitlinienforderung der intraoperativen Nervdarstellung sowie des intraoperativen Neuromonitoring (IONM) des N. laryngeus recurrens (NLR) in komplizierten Situationen [1]. 

Seit Ende der 60er-Jahre des 20. Jahrhunderts wurden verschiedene elektrische Nervenidentifizierungshilfen vorgeschlagen, die zur Entwicklung des heute vielfach standardmäßig durchgeführten IONM führten. 

Wünschenswert wäre ein kontinuierliches intraoperatives Neuromonitoring (CIONM), um eine intraoperative Echtzeitüberwachung des NLR zu gewährleisten und die bisher üblichen, überwachungsfreien Intervalle zwischen einzelnen Stimulationen der handgeführten Elektrode zu schließen. Insbesondere bei Schilddrüsenkarzinomen und Rezidivstrumen, wo das Risiko einer Rekurrensparese auf bis zu 25 % erhöht ist, werden von den Autoren Vorteile durch ein dauerhaftes Funktionssignal gesehen [2]. 

Der aktuelle Stand der Forschung war Inhalt des ersten Europäischen Symposiums zum Kontinuierlichen Neuromonitoring in der Schilddrüsenchirurgie im Mai 2010 in Leipzig. 

Über die Einzigartigkeit und Bedeutung dieser Veranstaltung wies der Vorsitzende der Chirurgischen Arbeitsgemeinschaft Endokrinologie (CAEK) T. J. Musholt (Mainz) in seiner Eröffnungsrede hin. 

W. Timmermann (Hagen) und P. E. Goretzki (Neuss) als Vertreter der konventionellen, d. h. diskontinuierlichen Nervenidentifizierungsverfahren (IONM), betonten in ihren Referaten die extrem hohe Zuverlässigkeit eines unverändert intakten IONM-Signals zum Ende der Resektion einer Schilddrüsenseite bei geplantem bilateralen Vorgehen [3]. Die qualitative Auswertung der beiden großen Multizenterstudien zeigt eine Spezifität der Methode von > 98 %. Dies entspricht negativen prädiktiven Werten von 39 vs. 11,6 % für das Auftreten einer passageren vs. permanenten Rekurrensparese (bei verändertem IONM-Signal) mit korrespondierenden positiven prädiktiven Werten von 1,8 vs. 0,3 % für das Auftreten einer passageren vs. permanenten Rekurrensparese (bei unverändert intaktem IONM-Signal) [1]. 

Somit ist auch aktuell bei Signalverlust oder -veränderung die Operationsstrategie zu überdenken und gegebenenfalls zu modifizieren, da sowohl gerätetechnische als auch untersucherabhängige Fehler zu falsch-positiven / falsch-negativen Befunden von IONM-Signal und postoperativem Stimmlippenbefund führen können. 

Als Vorreiter zum CIONM in Deutschland gilt die Arbeitsgruppe von W. Lamadé (Stuttgart), die bereits Mitte der 90er-Jahre einen Doppelballontubus und 2007 eine Vagussonde experimentell und im klinischen Alltag erfolgreich testeten [4]. Materialtechnische Probleme hatten in den 90er Jahren die Einführung des Doppelballontubus in die breite Anwendung verhindert. Die Neuentwicklung einer tripolaren Vaguselektrode von der selben Arbeitsgruppe wurde in Zusammenarbeit mit dem Fraunhofer Institut (St. Ingbert) und Inomed GmbH (Teningen) zur dauerhaften Stimulation des N. vagus erstmals 2007 vorgestellt ([Abb. 1 a]) [5]. Die biokompatible Elektrode wurde so konzipiert, dass sie aufgrund ihrer Geometrie den Nerven vollständig wie einen Schlauch umgibt, jedoch durch die hohe Flexibilität eine Nervenschädigung vermieden wird. Zur spannungsfreien Platzierung der etwa 20 mm langen Elektrode ist eine ebenso lange zirkuläre Dissektion des ipsilateralen N. vagus notwendig. Über ein Mehrkanal-EMG-System erfolgt mittels spezieller Software eine Echtzeitsignalanalyse mit optischer und akustischer EMG-Rückmeldung an den Operateur. Die noch aufwändige Platzierung dieser ersten Sonde wurde bei der in Leipzig vorgestellten Weiterentwicklung einer 5 mm breiten Elektrode grundlegend vereinfacht und ermöglicht eine Applikation innerhalb von Sekunden. Diese neue atraumatische Elektrode lässt sich durch einfachen Zug am Elektrodenkabel extrahieren und bietet damit zusätzliche Sicherheit. 

Abb. 1 Tripolare Elektrodenmodelle zur kontinuierlichen Stimulation des N. vagus im Rahmen des kontinuierlichen intraoperativen Neuromonitorings des N. laryngeus recurrens (CIONM). a Flexible biokompatible Schlauch­elektrode („Stuttgarter Methode“). b Flexible biokompatible Schlaufenelektrode („Wiener Methode“). c Inflexible Anker- oder t-Elektrode („Leipziger Methode“).

Die österreichische Arbeitsgruppe um M. Hermann (Wien) mit ihrer Expertise auf dem Gebiet der Schilddrüsenchirurgie und des CIONM begann Anfang des neuen Jahrtausends in Zusammenarbeit mit Dr. Langer Medical GmbH (Waldkirch) mit der Entwicklung einer kontinuierlich arbeitenden Vaguselektrode. Die anfänglich monopolare Schlaufenelektrode wurde in der 4. Generation zur 5 mm breiten tripolaren hochflexiblen Elektrode modifiziert ([Abb. 1 b]). Nach zirkulärer Präparation des N. vagus wird die Elektrode als Durchzugsschlinge am Nerven angelegt. Zusätzliche Befestigungsfäden sind nicht notwendig. Die optische und akustische Echtzeitsignalanalyse erfolgt ebenfalls über ein Mehrkanal-EMG-System mit spezieller Software. 

Basierend auf der Schlaufenelektrode erfolgte in Kooperation mit dem Institut für Bioprozess- und Analysenmesstechnik (U. Pliquett, Bad Heiligenstadt) und Dr. Langer Medical GmbH die Entwicklung einer 5 mm breiten bi- bzw. tripolaren Ankerelektrode durch die Arbeitsgruppe um S. Leinung (Leipzig) ([Abb. 1 c]) [6]. Aufgrund ihrer Geometrie und Rigidität bedarf es keiner zirkulären Dissektion des N. vagus, sondern nach Unterminierung der zervikalen Gefäße kann die t-förmige Elektrode atraumatisch zwischen Gefäße und N. vagus appliziert werden. Eine zusätzliche Fixierung der Elektrode mit Fadenmaterial entfällt. Die optische und akustische Echtzeitsignalanalyse erfolgt ebenfalls über ein Mehrkanal-EMG-System mit spezieller Software. Zusätzliche Hardware (Vagal nerve stimulation system adapter) erlaubt via Fußtaster die unkomplizierte Benutzung von Vagus- und handgeführter Elektrode. 

Diese drei Elektrodendesigns lassen sich leicht und sicher applizieren und ermöglichen ein kontinuierliches IONM-Signal. Als Ableitelektroden können sowohl die Nadelelektroden als auch die atraumatischen Tubusklebeelektroden Anwendung finden. Die zusätzliche Benutzung der handgeführten bipolaren Stimulationselektrode, die eine direkte Stimulation und Identifizierung des NLR ermöglicht, ist weiterhin möglich. 

Alle drei Arbeitsgruppen berichten von intraoperativen Signalalterationen nach Manipulation des NLR. Typischerweise tritt eine Abnahme der Signalamplitude auf, die sich bei frühzeitigem Unterlassen der Druck- / Zugschädigung teilweise bis vollständig erholt. Entsprechende Phänomene konnte auch tierexperimentell bestätigt werden [7]. Zwei andere, kürzlich publizierte Studien bestätigen Veränderungen der Signalamplitude im Vergleich vor / nach Resektion, jedoch ohne Alteration der Latenzzeiten [8] [9] . Aufgrund des dabei benutzten Versuchsaufbaus mit einer unsicheren Stimulation konnte die Signalamplitude nicht mit einer mechanischen Nervenbelastung korreliert werden und unterscheidet sich somit grundsätzlich von den hier vorgestellten Verfahren. Die Stimulationselektroden müssen so konfiguriert sein, dass sie unabhängig von Umgebungsfaktoren wie der lokalen Veränderung der Leitfähigkeit sind sowie gegen Dislokation und veränderten Nervenabstand während der chirurgischen Manipulation im OP-Gebiet geschützt sind. Nur so kann sichergestellt werden, dass bei konstantem Stimu­lationsstrom immer eine supra­maximale (d. h. komplette) Erregung des Nerven resultiert und Amplitudenveränderungen nur von der Nervenbelastung abhängen. Diese Eigenschaften konnten bei allen drei in Leipzig vorgestellten Elektrodenvarianten bestätigt werden. Die Qualität der Signale ist eine Grundvoraussetzung für ein CIONM und unterscheidet sich damit grundlegend von gescheiterten Versuchen, eine Stimulationssonde lediglich in die Nähe des zu stimulierenden Nerven zu platzieren. 

Es ist nun erstmals möglich, die aktuelle Nervenleitfähigkeit an den Operateur visuell und akustisch rückzumelden. Bisher lässt sich noch kein Grenzwert angeben, ab dem die Restitution der Nervenfunktion beeinträchtigt wäre. Jedoch sind aufgrund der hohen Signalstabilität und einer validen Auswertbarkeit der Daten in Kürze prognostische Faktoren zu erwarten. 

Klinisch relevante vagale Nebenwirkungen, insbesondere kardialer Art, wurden von den Arbeitsgruppen nicht beobachtet. Ebenso wurden durch das CIONM keine Komplikationen verursacht. 

Einigkeit besteht darin, dass das CIONM via Vagusstimulation in seinem derzeitigen Entwicklungsstand den Komfort für den Operateur verbessert hat, insbesondere bei Rezidiv- und Karzinomeingriffen mit ausgedehnten Resektionen. 

Das System des CIONM unterscheidet sich von den bisherigen Nerven-Identifikations-Verfahren durch die Echtzeit-Überwachung des NLR über die gesamte Dauer der chirurgischen Präparation. Es arbei­tet darüber hinaus operateurunabhängig und außerhalb des unmittelbaren OP-Feldes. Bei Bedarf kann der Operateur weiterhin die bisherigen handgeführten Stimulationselektroden zur Unterstützung der NLR-Identifikation verwenden, ohne dabei die Funktion des CIONM zu kompromittieren. Durch das integrierte akustische Feedback kann eine drohende Läsion des NLR erkannt werden. Jedoch bedarf es weiterer Untersuchungen und insbesondere der Signalanalyse des seltenen Ereignisses der Rekurrensparese, um so Schwellwerte höchster Zuverlässigkeit zwischen IONM-Signal und postoperativem Stimmlippenstillstand definieren zu können. 

Literatur

  • 1 Timmermann W, Hamelmann W H, Thomusch O et al. [Effectiveness and results of intraoperative neuromonitoring in thyroid surgery. Statement of the Interdisciplinary Study Group on Intraoperative Neuromonitoring of Thyroid Surgery].  Chirurg. 2004;  75 916-922
  • 2 Dralle H, Sekulla C, Lorenz K et al. Intraoperative monitoring of the recurrent laryngeal nerve in thyroid surgery.  World J Surg. 2008;  32 1358-1366
  • 3 Goretzki P, Schwarz K, Brinkmann J et al. The impact of intraoperative neuromonitoring (IONM) on surgical strategy in bilateral thyroid disease: is it worth the effort?.  World J Surg. 2010;  34 1274-1284
  • 4 Lamadé W, Meyding-Lamadé U, Hund E et al. Transtracheal monitoring of the recurrent laryngeal nerve. Prototype of a new tube.  Chirurg. 1997;  68 193-195
  • 5 Lamadé W, Ulmer C, Seimer A et al. A new system for continuous recurrent laryngeal nerve monitoring.  Minim Invasive Ther Allied Technol. 2007;  16 149-154
  • 6 Schneider R, Przybyl J, Hermann M et al. A new anchor electrode design for continuous neuromonitoring of the recurrent laryngeal nerve by vagal nerve stimulations.  Langenbecks Arch Surg. 2009;  394 903-910
  • 7 Schneider R, Przybyl J, Pliquett U et al. A new vagal anchor electrode for real-time monitoring of the recurrent laryngeal nerve.  Am J Surg. 2010;  199 507-514
  • 8 Jonas J. Kontinuierliches Neuromonitoring des Nervus laryngeus recurrens in der offenen Schilddrüsenchirurgie.  Zentralbl Chir. 2010;  135 273-276
  • 9 Jonas J. Die Beurteilung der Signalveränderungen beim kontinuierlichen Neuromonitoring in der Schilddrüsenchirurgie.  Zentralbl Chir. 2010;  135 262-266

Dr. med. R. Schneider

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