Zeitschrift für Palliativmedizin 2004; 5(1): 13-18
DOI: 10.1055/s-2003-814873
Originalarbeit
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Patientenverfügungen und Rahmenbedingungen für Entscheidungen am Lebensende in Deutschland

Praktische, standesrechtliche und berufspolitische Konsequenzen der jüngsten Entscheidung des BundesgerichtshofsAdvance Directives and End-of-Life Decisions in GermanyThe Far-Reaching Consequences of the Latest Supreme Court Verdict on the „Luebeckian Case”M.  Strätling1, 2 , B.  Sedemund-Adib1 , P.  Schmucker1, 2
  • 1Klinik für Anaesthesiologie, Universität zu Lübeck, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Lübeck, Interdisziplinärer Forschungsschwerpunkt „Ethik, Recht, Geschichte und Didaktik im Spektrum der klinischen Medizin” (Direktor: Prof. Dr. med. Peter Schmucker)
  • 2Akademie für Ethik in der Medizin, Göttingen
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Publication Date:
14 April 2004 (online)

Zusammenfassung

Die Autoren analysieren die Konsequenzen der jüngsten „Sterbehilfe-Entscheidung” des Bundesgerichtshofs (BGH) zum so genannten „Lübecker Fall”. Dabei weisen sie darauf hin, dass dieser höchstrichterliche Beschluss eine Reihe praktischer Konsequenzen nach sich zieht. Diese dürften zukünftig die ärztliche Entscheidungsfindung bei Therapiebegrenzungen nachhaltig beeinflussen. Nicht weniger folgenreich für die Deutsche Ärzteschaft insgesamt sind jedoch die standesrechtlichen und berufspolitischen Implikationen des Richterspruchs. So wird insbesondere die Deutsche Bundesärztekammer nicht umhin kommen, in eine erneute Leitliniendebatte um ihre „Grundsätze … zur ärztlichen Sterbebegleitung” einzutreten. Auch eine Reihe weiterer Leitlinien sind unverzüglich der Rechtsfortbildung anzupassen. Schließlich steht zu erwarten, dass an den medizinischen Fakultäten und Krankenhäusern der Stellenwert von Ethik und Recht in der Lehre und in der praxisbezogenen Beratung weiter zunehmen wird. Da es sich hier v. a. um die Wahrnehmung ärztlicher Aufträge handelt, sind hier ebenfalls grundsätzliche Richtungsentscheidungen notwendig: Es ist zu klären, welches Anforderungsprofil zukünftig an die verantwortlichen Vertreter des Faches „Ethik in der Medizin” zu stellen ist. Klärungsbedürftig ist darüber hinaus, wie solchen inhaltlichen Ansprüchen im Bereich der ärztlichen Aus- und Weiterbildung, der Forschung und der klinischen Beratung auch strukturell und organisatorisch Genüge geleistet werden kann [30] [31] [32].

Abstract

The authors discuss the consequences of the latest Supreme Court decision on ethical and legal aspects of advance directives and medical end-of-life decisions in Germany. These include, that especially the German Chamber of Physicians (Bundesärztekammer) will have to change its official guidelines on these issues. Also most universities and hospitals will have to reassess many of their policies concerning joint decision-making processes in healthcare towards the end of life and the implementation of ethics and law in medical research, education and counselling.

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Dr. med. Meinolfus Strätling

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