Gesundheitswesen 2016; 78(S 01): e97-e102
DOI: 10.1055/s-0042-101157
Originalarbeit
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Pflegerische Versorgungsdefizite in deutschen Krankenhäusern – Ergebnisse einer bundesweiten Befragung von Krankenhaus-Leitungspersonen

Nursing Care Deficits in German Hospitals – Results of a Nationwide Survey of Supervisory Staff in Hospital
A. Reifferscheid
1   Lehrstuhl für Medizinmanagement, Universität Duisburg-Essen, Essen
,
N. Pomorin
1   Lehrstuhl für Medizinmanagement, Universität Duisburg-Essen, Essen
,
J. Wasem
1   Lehrstuhl für Medizinmanagement, Universität Duisburg-Essen, Essen
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Publication Date:
13 May 2016 (online)

Zusammenfassung

Ziel der Studie: Gegenwärtig schreibt fast jedes zweite Krankenhaus Verluste. Aufgrund dieser schwierigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen sind in der Pflege die Personalzahlen zuletzt nicht adäquat an die Fallzahlsteigerungen angepasst worden. Mehrere aktuelle Befragungen von Pflegekräften weisen auf die gestiegenen Arbeitsanforderungen und daraus resultierende Versorgungsdefizite in der Pflege hin. Ziel dieser Studie war es zu untersuchen, ob die Leitungspersonen im Krankenhaus (Pflegedienstleitungen, Chefärzte und Geschäftsführer) aus ihrer jeweiligen Perspektive diese Problematik in vergleichbarer Form bestätigen.

Methodik: Zunächst wurden halbstrukturierte Interviews mit Chefärzten, Pflegedienstleitungen, Geschäftsführern und Trägern geführt. Auf Basis der qualitativen Erkenntnisse wurden berufsgruppenspezifische Fragebögen entwickelt, die im Frühjahr 2014 an knapp 5 000 Leitungspersonen verschickt wurden.

Ergebnisse: Es konnte ein Rücklauf von insgesamt 43% erzielt werden. Alle Leitungspersonen bestätigen einen erheblichen wirtschaftlichen Druck, der sich spürbar auf die Patientenversorgung auswirkt – insbesondere bei der Pflege und der menschlichen Zuwendung werden erhebliche Defizite wahrgenommen. Der Großteil der Pflegedienstleitungen ist der Ansicht, dass dem Pflegepersonal eigentlich nicht genügend Zeit für Verfügung steht, um alle notwendigen Maßnahmen durchzuführen. Als Ursache für die Vorenthaltung von notwendigen Pflegeleistungen ist insbesondere die Personalknappheit zu sehen. Diese unzureichende Personalausstattung ist allerdings nicht nur auf die finanziellen Rahmenbedingungen, sondern auch auf den zunehmend spürbaren Fachkräftemangel in der Pflege zurückzuführen.

Schlussfolgerung: Insgesamt werden von allen Leitungspersonengruppen im pflegerischen Bereich die größten Versorgungsdefizite wahrgenommen. Mit der gegenwärtigen pflegerischen Personalausstattung kann die Erbringung aller erforderlichen Leistungen nach Ansicht der Pflegedirektoren nicht immer gewährleistet werden. Während das Pflegeförderprogramm die Personalsituation kurzfristig leicht entspannen wird, sind mittelfristig andere Instrumente erforderlich.

Abstract

Introduction: Currently, almost every second hospital is in financial deficit. Because of financial restrictions in the nursing profession, the staff has not been adequately adjusted to the increasing case volume. Current studies emphasize the rising workload of nursing staff and the resulting deficits in patient care. The aim of this study was to research whether the supervisory staff (nursing directors, chief physicians and hospital managers) also perceives these problems.

Method: First, semi-structured interviews with chief physicians, nursing directors, hospital managers and hospital owners were conducted. Based on these qualitative insights, occupational group-specific questionnaires were developed. In spring 2014, these were sent to almost 5 000 supervisors.

Results: There was a response rate of 43%. All respondents confirmed considerable economic restrictions related to the patient care – the greatest deficits were perceived concerning nursing care and personal attention given to patients. Moreover, the nursing directors were of the opinion that the nursing staff did not have enough time to perform all the necessary services. In particular, inadequate staffing was seen to be the cause of the rationing of nursing services. However, not only financial constraints but also a shortage of skilled staff increased the likelihood of withholding nursing services.

Conclusion: In sum, all supervisory groups perceived large deficits in nursing care. With the current staff levels, nursing directors can hardly ensure provision of all necessary nursing services. The nurse support program will improve this situation slightly. In the medium term, the implementation of other instruments is necessary.

 
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