Klin Monbl Augenheilkd 2001; 218(4): 201-203
DOI: 10.1055/s-2001-14913
EDITORIAL

Georg Thieme Verlag Stuttgart ·New York

Editorial zur Arbeit „Klinische Erfahrungen mit Mycophenolatmofetil bei der immunsuppressiven Therapie des okulären Pemphigoids” von J. Zurdel, Bilal Aboalchamat, Manfred Zierhut, Nicole Stübiger, Alexander Bialasie et al. in Klin Monatsbl Augenheilkd 2001; 218: 222 - 203

Uwe Pleyer
  • Universitäts-Klinik Charité, Augustenburger Platz 1, 13353 Berlin
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Publication Date:
31 December 2001 (online)

100 Jahre liegt es zurück, dass Franke eine der bisher umfassendsten Zusammenstellungen von über 100 Patienten mit „essentieller Bindehautschrumpfung” präsentierte. Darin schilderte er bereits die typischen, bis zur Erblindung führenden Verläufe mit Symblepharonbildung, trockenem Auge, Hornhautvaskularisation und Keratinisierung, aber auch eine begleitende Hautbeteiligung [6]. Pathogenese und Therapie dieser Erkrankung blieben zu dieser Zeit völlig ungeklärt.

50 Jahre nach Frankes zusammenfassender Darstellung gelang es dem Dermatologen Lever [7], einen wesentlichen Beitrag zum Verständnis und zur Differenzierung der großen Gruppe blasenbildender Erkrankungen an Haut und Mukosa zu leisten. Als ein wichtiges Korrelat blasenbildender Erkrankungen wies er Veränderungen im Bereich der Basalmembran mit Ablagerungen von Immunglobulinen nach. Nach dem Verteilungsmuster in der Immunfluoreszenzmikroskopie konnte das facettenreiche Spektrum blasenbildender Hauterkrankungen differenziert und neben dem „klassischen” Pemphigus eine Gruppe von ähnlichen Krankheitsbildern, den „Pemphigoiden”, unterschieden werden. Für Patienten mit primär okulärer Beteiligung hat sich daraufhin der Begriff des „vernarbenden okulären Pemphigoids” abgeleitet, unbenommen der Tatsache, dass sich bei 10 - 30 % dieser Patienten auch Haut- und Mundschleimhautveränderungen zeigen [3]. Kortikosteroide, die zu dieser Zeit als Therapeutika gerade Einzug hielten, konnten die bis dato infauste Prognose der Patienten mit Pemphigus dramatisch verbessern, für das okuläre Pemphigoid wurden sie nur zögerlich eingesetzt, ohne die Langzeitprognose der Patienten wesentlich zu beeinflussen.

Heute, weitere 50 Jahre später, sind die Veränderungen im Bereich der Basalmembran weiter differenziert worden. Dabei bestätigen sich die Hinweise auf eine autoimmunologische Genese der Erkrankung. Das verantwortliche Antigen als Bindungsstelle für die Antikörperreaktion ist für das okuläre Pemphigoid zwar weiterhin nicht eindeutig charakterisiert. Als ein aussichtsreicher Kandidat gilt jedoch „Epilegrin”, das von Fibroblasten sezerniert wird und als ein Ligand für spezifische Integrine dient. Die Destruktion von Epilegrin, das physiologischerweise an das basale Stroma bindet, führt zur typischen Blasenbildung [1]. Erhärtet wird dieser Hinweis dadurch, dass spezifische Antikörper gegen Integrine der Basalmembran, die zur Adhäsion von Epithelzellen an der Basalmembran notwendig sind, nachgewiesen werden konnten [2]. Folge der basalmembranständigen Antikörperbindung ist eine Kaskade entzündlicher Vorgänge, die zum klinischen Erscheinungsbild bei diesen Patienten führen. Die Aktivierung von Komplementproteinen führt zu Gefäßdilatation und erhöhter Gefäßpermeabilität. Zusätzlich werden neutrophile Granulozyten, Makrophagen und Mastzellen in das subepitheliale Gewebe rekrutiert. Sekretionsprodukte dieser Zellen, insbesondere die fibrosewirksamen Zytokine TGF-β und PDGF können im akuten Stadium in der Bindehaut nachgewiesen werden und sind wichtige Mediatoren für die Progression der Bindehautschrumpfung [4]. Die Bedeutung von T-Lymphozyten im Bindehautinfiltrat ist dagegen nicht eindeutig zu beurteilen. Sie könnten jedoch für immunregulatorische Defekte wichtig sein, die eine Bildung von Autoantikörpern durch B-Lymphozyten an der Basalmembran zur Folge haben. Viele Aspekte des OCP sind jedoch weiter ungeklärt geblieben, dies betrifft u.a. die Frage des Tropismus, d. h. weshalb bei den Patienten einzelne Organe bevorzugt betroffen sind. Ein wichtiger, bisher ebenfalls nicht geklärter Befund, ist die Rolle einer lokalen Schädigung als Folge längerfristiger (Glaukom) Therapie. Es ist bemerkenswert, dass sich beim „medikamentös induzierten okulären Pemphigoid” klinisch und auch immunhistologisch ein identisches Bild präsentiert. Die weiterhin unklare Pathogene und das facettenreiche klinische Erscheinungsbild erklären, dass auch heute keine zielgerichtete kausale Therapie möglich ist.

Es ist daher sehr zu begrüßen, dass sich Zurdel u. Mitarb. dem Problem der Therapie des okulären Pemphigoids widmen. Sie legen ihre Beobachtung an 5 Patienten vor, die mit dem Immunsuppressivum Mycophenolatmofetil behandelt und über ein Jahr nachbeobachtet werden konnten. Alle Patienten waren bereits zuvor mit Steroiden, Antimetaboliten oder Cyclosporin A therapiert worden. Bei allen betroffenen Augen konnte eine Stabilisierung der Befunde erreicht werden, kein Patient wies eine Progression der Bindehautverkürzung auf.

Bemerkenswert ist der Verlauf der ersten, 31-jährigen Patientin in dieser Serie. Sie unterscheidet sich nicht nur aufgrund des Lebensalters, sondern auch durch den rasch progredienten Verlauf vor MMF-Therapie. Von den Autoren wird daher zu Recht zunächst die Diagnose des okulären vernarbenden Pemphigoids in Zweifel gezogen und die Differenzialdiagnose eines „IgA-Syndroms” erwogen. Durch das Fehlen einer IgA-Bande an der Basalmembran und weiterer dermatologischer Manifestationen kann dies weitgehend ausgeschlossen werden. Zur Progression bei dieser Patientin können die vorangegangenen chirurgischen Eingriffe beigetragen haben. Dies ist sicherlich auch für Patient 3 anzunehmen, der nach Symblepharolyse eine deutliche Progression mit „massiver Symplepharonbildung” und Hornhautperforation mit Iristamponade entwickelte. Dies unterstreicht die Problematik auch minimaler Eingriffe (beispielsweise der diagnostischen Bindehautbiopsie), die zur Aktivierung der Progression beitragen können.

Aufgrund des komplexen Krankheitsbildes überrascht es nicht, dass nur wenige (unkontrollierte) Untersuchungen zur Behandlung des okulären vernarbenden Pemphigoids existieren. Studien zur Behandlung des okulären vernarbenden Pemphigoids weisen ihre spezifischen Probleme auf, die von den Autoren in der vorliegenden Arbeit gut gelöst wurden.

Bereits die Frage, wann mit der Behandlung begonnen werden soll, ist schwierig zu beantworten. In den Frühstadien (I und II) kann über längere Zeit keine Progression des Krankheitsbildes auftreten und damit eine Therapie mit den Risiken unerwünschter Wirkungen nicht indiziert sein. Die Autoren haben sich daher zu Recht auf Patienten, die ein Stadium 3 erreicht hatten und aktive entzündliche Veränderungen aufwiesen, als Einschlusskriterium geeinigt.

Auch die Beurteilungskriterien für den Verlauf der Erkrankung können Schwierigkeiten bereiten. Da sich Veränderungen u. U. nur sehr diskret und verzögert zeigen, ist es wichtig die Verläufe sehr differenziert zu dokumentieren. Dazu haben sich standardisierte Fotografien mit festgelegter Blickrichtung, wie in der vorliegenden Arbeit verwendet, oder Zeichnungen bewährt. Auf eine vorbildliche Skizzierung zur Befunddokumentation (Moorfields Eye Hospital) sei hier ausdrücklich hingewiesen [5]. Die spaltlampenmikroskopische Beurteilung durch den Untersucher und Skizzen des Befundes können der Fotografie bei der Beurteilung diskreter Veränderungen durchaus überlegen sein.

Mit Mycophenolat Mofetil (MMF) wählen die Autoren einen bewährten Wirkstoff, der für die Indikation beim OCP durch den Wirkansatz gut geeignet erscheint. Als selektiver Inhibitor der Inosin-Monophosphat-Dehydrogenase hemmt MMF die Synthese der Guanosin-Nukleotide, insbesondere in den B- und T-Lymphozyten. Dabei werden hauptsächlich die Antikörpersynthese, Lymphozytenproliferation und Leukozyten-Endothelinteraktion supprimiert. Gerade durch die Unterdrückung einer Antikörperbildung kann ein wichtiger Schritt in der Pathophysiologie der Erkrankung unterbrochen werden. Unerwünschte Wirkungen die gerade bei älteren Patienten mit geschädigten Organfunktionen die Pharmakotherapie einschränken, wurden in dieser Studie nicht beobachtet. Gegenüber den bisherigen Therapeutika (Cylophosphamid, Azathioprin) ein wesentlicher Aspekt.

Dennoch muss auf eine Reihe von einschränkenden Gesichtspunkten in dieser Studie hingewiesen werden. Ein wesentliches Problem jeder Therapie des okulären Pemphigoids ist der sehr variable Verlauf bei individuellen Patienten. Wie von den Autoren eingeräumt wird, ist dazu die Beurteilung über einen längeren Zeitverlauf wichtige Voraussetzung, um die positiven Erfahrungen mit MMF zu erhärten. Die Tatsache, dass die Verläufe beider Augen beim gleichen Patienten differieren können (Pat. 3), weist darauf hin.

Auch die Risiken unerwünschter Wirkungen können, wie von anderen Wirkstoffen gut bekannt, zeitabhängig eintreten und müssen weiter verfolgt werden. Bisherige Erfahrungen bei der Langzeittherapie von Transplantationspatienten mit MMF weisen ein geringes Schädigungsrisiko aus. Jedoch handelt es sich bei dieser Patientengruppe um überwiegend junge Patienten. Ein weiterer, bisher nicht geklärter Punkt ist die Frage der Therapiedauer. Bisherige Beobachtungen beim OCP zeigen, dass eine Therapiekarenz zur Exazerbation führen können und eine Progression der Veränderungen eintritt; eine Langzeittherapie wird somit häufig notwendig [9].

Die Autoren planen, die vorliegende Pilotstudie durch eine Multizenteruntersuchung fortzuführen, was sehr zu begrüßen ist. Ziel dieser Studie muss es sein, an einer größeren Zahl von Patienten mit definierten Befunden und einem klaren Studiendesign (und unter Einschluss einer Kontrollgruppe) die grundsätzliche Wirksamkeit der Therapie zu belegen.

Neue, auch chirurgische Ansätze sind in Zukunft, insbesondere mit der Transplantation von Hornhautepithelvorläuferzellen („Stammzellen”) hoffnungsvoll, jedoch noch nicht fest etabliert [11]. Da es sich beim OCP in der Regel um eine beidseitige Erkrankung handelt, ist eine autologe Stammzelltransplantation kaum möglich. Sofern eine allogene Transplantation erwogen wird, ist eine immunsuppressive Behandlung notwendig. Auch für diese Indikation könnte sich MMF als ein interessanter Wirkstoff erweisen.

Zusammengenommen könnte Mycophenolatmofetil eine Therapieoption zu Cyclophosphamid und Azathioprin als bislang gebräuchlichste Therapeutika darstellen. Die Autoren können ermutigt werden, sich dieser herausfordernden Problematik zu stellen und sollen über ihre Erfahrungen wieder berichten.

Literatur

  • 01 Allbritton  J I, Nousari  H C, Anhalt  G. Anti-epiligrin (laminin 5) cicatricial pemphigoid.  Br J Dermatol. 1997;  137: 992-996.
  • 02 Chan  R Y, Bhol  K, Tesavibul  N, Letko  E, Simmons  R K, Foster  C S, Ahmed  A R. The role of antibody to human β4 integrin in conjunctival basement membrane separation:possible in vitro model for ocular cicatricial pemphigoid.  Invest Ophthalmol Vis Sci. 1999;  40: 2283-2290.
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  • 05 Elder  M J, Bernauer  W. Monitoring of activity and progression in cicatrising conjunctivitis. In: Bernauer W, Dart JKG, Elder MJ (eds.) Cicatrising conjunctivitis. Dev Ophthalmol. Karger, Basel; 1997: pp 111-122.
  • 06 Franke  E. Pemphigus und die essentielle Schrumpfung der Bindehaut des Auges (1900). Zitiert in: Elder MJ. The immunology of ocular cicatricial pemphigoid. Oculodermal Diseases. Pleyer U, Hartmann Chr, Sterry W (eds.). Aeolus Press, Buren, Niederlande; 1997: p 223-239.
  • 07 Lever  W F. Pemphigus.  Medicine. 1953;  32: 1-123.
  • 08 Mondino  B J, Hovanesian  J A, Pleyer  U. Bullous diseases of the skin and mucous membranes. In: Duane's Clinical Ophthalmology. (Tasman W, Jaeger, EA). Lippincott, Raven, Philadelphia; 1999: pp. 1-10, 4/12.
  • 09 Neumann  R, Tauber  J, Foster  C S. Remission and recurrence after withdrawal of therapy for ocular cicatricial pemphigoid.  Ophthalmology. 1991;  98: 858-862.
  • 10 Pleyer  U, Bruckner-Tuderman  L, Friedmann  A, Hartmann  C, Simon  J, Sterry  W. The immunology of bullous oculo-muco-cutaneos disorders.  Immunol today. 1996;  17: 111-113.
  • 11 Tsai  R JF, Li  L M, Chen  J K. Reconstruction of damaged corneas by transplantation of autologous limbal epithelial cells.  N Eng J Med. 2000;  343: 86-93.