Gesundheitsökonomie & Qualitätsmanagement 2018; 23(04): 183-184
DOI: 10.1055/a-0661-6911
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Leserbrief – Kommentar zum Beitrag „Kern MA, von Depka N, Schackert C et al. Enzymatic burn wound debridement with NexoBrid ®: Cost simulations and investigations on cost efficiency. Gesundh ökon Qual manag 2018; 23: 21–28 “

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Publication Date:
23 August 2018 (online)

Sehr geehrte Damen und Herren,

das Produkt NexoBrid® ist derzeit nicht sichtbar im G-DRG-System reflektiert, z. B. durch ein Zusatzentgelt. Der pharmazeutische Unternehmer und seine Mitstreiter versuchen, erkennbar an zahlreichen Eingaben beim InEK und DIMDI, diesen gefühlten Makel zu beheben. Ein weiterer Akt in diesem Prozess ist der o. g. Artikel.

Der OPS-Antrag für NexoBrid® für 2017, einsehbar beim DIMDI, postuliert durchgängige massive Einsparung beim Einsatz des Produktes, gegenüber der Handarbeit eines Chirurgen. Es fällt schwer zu verstehen, warum später ein Zusatzentgelt beantragt wird, für eine Maßnahme die grundsätzlich die stationären Kosten senkt. Der vorliegende Artikel sieht die Kostenergebnisse etwas differenzierter.

Grundlage der klinischen Ergebnisse und zeitlichen Einsparungen ist die Rosenberg-Studie, NexoBrid® gegen Standardversorgung. Heute beinhaltet der Standard laut Modell in Deutschland unter anderem regelhaft eine Deckung mit Suprathel®, soweit korrekt. Ein Blick in ClinicalTrials.gov zeigt aber, dass die Rosenberg-Studie in den USA im Jahr 2005 begonnen wurde. Suprathel® war aber 2005 noch nicht einmal erfunden. Mag sein, dass NexoBrid® klinisch 2005 gegenüber dem USA-Therapiestandard allerhand Verbandswechsel etc. sparen konnte. Jeder Verbrennungsmediziner wird konstatieren, dass Verbrennungsmedizin in den USA sehr anders abläuft als in Deutschland und vor allem, dass es in den letzten 13 Jahren massive Fortschritte gegeben hat. Auf der Kostenseite wird der Vergleich mit deutschen Standards 2018 durchgeführt. Das Modell setzt also uralte klinische US-Äpfel mit den neuesten hiesigen Kosten-Birnen gleich und kommt so zu abenteuerlichen Ergebnissen.

Die maximale Einsparung durch Nexobrid® von 5315 Euro ist laut Kern et al. möglich bei einem TBSA von 1 % (einem Prozent). Ein unsinniges Ergebnis. Die mit weitem Abstand höchste Inzidenz dieser Verbrennungen ist bei Kindern von 1–4 Jahren (und hier auch meist durch Verbrühung). Dort entspricht ein TBSA von 1 % etwa einer Wunde mit einer Seitenlänge von 1–2 cm. Wo dort überhaupt Gesamtkosten oder DRG-Erlöse bei einer solchen (oft ambulant versorgten) Wunde von über 5000 Euro entstehen sollen, ist eine genauso absurde Frage, wie das Modellergebnis hier „im Durchschnitt“ über 5000 Euro pro Wunde einsparen zu wollen. Nebenbei: Das gesamte potenziell eingesparte Suprathel® kostet in diesem Setting etwa 3–4 Euro.

An weiteren Ungereimtheiten fallen auf:

  1. Die Aussage von Kern et al., die 20–59-jährigen Patienten machten 59,5 % der stationären Verbrennungspatienten aus, ist falsch. Gut die Hälfte der Fälle von stationären Versorgungen von Verbrennungen sind Kinder, die genannte Altersgruppe liegt bei max. einem Drittel.

  2. Die G-DRG-Berechnungen von Kern et al. lassen die Y01Z aus. Diese DRG unterliegt der krankenhausindividuellen Vereinbarung auf Ortsebene. Die Ergebnisse sind nicht öffentlich zugänglich. Bekannt ist die Gesamtzahl der Y01Z auf Bundesebene und einzelne Verhandlungsergebnisse. Daraus lässt sich folgern, dass die Schätzung der stationären Kosten im Artikel grob falsch ist, da die kostenintensivste DRG nicht einbezogen wurde. Noch gröber unrichtig ist die Schätzung des durchschnittlichen Aufwands pro Verbrennungs-DRG, da hier ebenfalls die mit weitem Abstand höchst bewertete DRG ausgespart wurde. Da die Y01Z in vielen Fällen nicht pauschaliert, sondern tagesgleich abbildet, ergeben sich weitere schwerwiegende Verzerrungen im Gesamtergebnis.

  3. Kern et al. postulieren die grundsätzliche Versorgung in einem Verbrennungszentrum. Das ist unrichtig. Ungefähr 50 % der zweitgradigen Verbrennungen werden nicht in Zenten versorgt, dazu wurde zuletzt mehrfach publiziert. Gerade die benannte Wunde, die zu angeblich maximaler Einsparung durch NexoBrid® führt, mit 1 % TBSA muss vermutlich nicht regelhaft in ein im Mittel 50 km entferntes Zentrum überstellt werden. Das macht auch schon mal der Hausarzt oder ein Chirurg ambulant in der Notaufnahme.

  4. In der Diskussion postulieren Kern et al., dass einfache Verbrennungen für Krankenhäuser profitabel seien, während schwere Verbrennungen unterfinanziert wären. Woher diese Erkenntnis stammt, bleibt im Dunklen. Da die schweren Verbrennungen in Deutschland nicht über das DRG-System finanziert werden, sondern auf Ortsebene verhandelt werden und diese Ergebnisse unbekannt sind, ist diese Aussage unhaltbar. Auch könnte ein Verhandlungsergebnis auf Ortsebene für tagesgleiche Vergütung vom InEK nicht beeinflusst werden, insbesondere nicht durch Zusatzentgelte.

  5. Ohne genauere Zahlen zu nennen, halten Kern et al. die Verbrennungsmedizin für generell unterfinanziert. Ohne Kenntnis der Abrechnungen für Hochkostenfälle der Zentren ist das eine mutige Aussage. Obendrein legt man Behandlungsusancen des Jahres 2005 zugrunde und multipliziert diese mit den Kosten des Jahres 2018. Selbst wenn man die Abrechnungen kennen würde, käme man methodisch auf kein Ergebnis, dass diese Aussage rechtfertigt. Es scheint auch das ökonomische Prinzip der DRG nicht verstanden worden zu sein. Vereinfacht gesagt: Das InEK sammelt die Kosten und macht daraus Entgelte. Eine generelle Unterfinanzierung für ein abgeschlossenes Fachgebiet mit eigener MDC ist dann schwierig zu konstruieren.

Die gesamte Arbeit hat schwere Sachmängel. Die Aussagen entbehren allesamt einer seriösen Grundlage. Am unverständlichsten ist aber folgende Logik: Die Arbeit kommt zu durchschnittlichen Einsparungen durch NexoBrid® von 3800 Euro pro Patient (bei TBSA von 5 %). Nehmen wir an, das wäre korrekt. Warum sollte das InEK für ein Verfahren, das dem Krankenhaus diesen Betrag im Durchschnitt einspart ein Zusatzentgelt vergeben und das Verfahren zusätzlich vergüten? Es ist nicht die gesetzliche Aufgabe des InEK, Sparanreiz-Subventionen auszuloben. Eine Verbrennung mit 5 % TBSA kommt bei schwersten Fällen in die Y03C oder Y62A mit etwa 4500 Euro Vergütung. Sollte dann das ZE für Nexobrid® 3800 Euro betragen und die DRG ohne NexoBrid® noch 700 Euro? Die üblichen Fälle kommen in die Y62A/B mit etwa 2800 Euro Vergütung. Es ist wohl unmittelbar einsichtig, dass die durchschnittlichen Kosten in einem solchen Fall kaum von 2800 Euro auf -1000 Euro (minus eintausend) gesenkt werden können. Sei es darum: Wenn eine neue Methode zu generellen Einsparungen führt, dann ist die Einführung eine Entscheidung der Krankenhäuser und kein Fall für das InEK und erst recht nicht für ein Zusatzentgelt.

Dr. med. Steffen Wahler
Facharzt für Innere Medizin/Diabetologe DDG
Friedrich-Kirsten-Str. 40
22391 Hamburg