Aktuelle Ernährungsmedizin 2018; 43(06): 479-483
DOI: 10.1055/a-0749-5278
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© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Nicht-Zöliakie-Gluten-/Weizen-Sensitivität (NCGS) – ein bislang nicht definiertes Krankheitsbild mit fehlenden Diagnosekriterien und unbekannter Häufigkeit

Positionspapier der Arbeitsgruppe Nahrungsmittelallergie der Deutschen Gesellschaft für Allergologie und klinische Immunologie (DGAKI)Non-Celiac Gluten/Wheat Sensitivity (NCGS) – a Currently Undefined Disorder Without Validated Diagnostic Criteria and of Unknown PrevalencePosition Statement of the Task Force on Food Allergy of the German Society of Allergology and Clinical Immunology (DGAKI)
Imke Reese
 1   Ernährungsberatung und -therapie Allergologie, München, Deutschland
,
Christiane Schäfer
 2   Allergologische Schwerpunktpraxis, Hamburg, Deutschland
,
Jörg Kleine-Tebbe
 3   Allergie- u. Asthma-Zentrum Westend, Berlin, Deutschland
,
Birgit Ahrens
 4   Paul-Ehrlich-Institut, Fachgebiet Klinische Allergologie, Langen, Deutschland
 5   Klinik für Pädiatrie mit Schwerpunkt Pneumologie und Immunologie, Charité – Universitätsmedizin Berlin, Deutschland
,
Oliver Bachmann
 6   Medizinische Hochschule Hannover, Klinik für Gastroenterologie, Hepatologie und Endokrinologie, Hannover, Deutschland
,
Barbara Ballmer-Weber
 7   Forschung und Lehre Allergologie, Dermatologische Klinik, Universitätsspital Zürich, Schweiz
,
Kirsten Beyer
 5   Klinik für Pädiatrie mit Schwerpunkt Pneumologie und Immunologie, Charité – Universitätsmedizin Berlin, Deutschland
,
Stephan C. Bischoff
 8   Institut für Ernährungsmedizin, Universität Hohenheim, Stuttgart, Deutschland
,
Katharina Blümchen
 9   Klinik für Kinder- und Jugendmedizin, Abteilung Allergologie, Pneumologie und Mukoviszidose, Universitätsklinikum Frankfurt, Frankfurt am Main, Deutschland
,
Sabine Dölle
10   Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie, Charité – Universitätsmedizin Berlin, Deutschland
,
Paul Enck
11   Abteilung für Innere Medizin VI, Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Tübingen, Deutschland
,
Axel Enninger
12   Ärztlicher Direktor Pädiatrie 2, Klinikum Stuttgart – Olgahospital, Zentrum für Kinder-, Jugend- und Frauenmedizin, Stuttgart, Deutschland
,
Isidor Huttegger
13   Pädiatrische Allergologie und Pneumologie, Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde, Paracelsus Medizinische Privatuniversität, Salzburger Landeskliniken, Salzburg, Österreich
,
Sonja Lämmel
14   Deutscher Allergie- und Asthmabund e. V. – DAAB, Mönchengladbach, Deutschland
,
Lars Lange
15   St. Marien-Hospital, Bonn, Deutschland
,
Ute Lepp
16   Praxis Dr. Lepp Lungenheilkunde, Allergologie, Buxtehude, Deutschland
,
Vera Mahler
 4   Paul-Ehrlich-Institut, Fachgebiet Klinische Allergologie, Langen, Deutschland
17   Medizinische Fakultät Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Deutschland
,
Hubert Mönnikes
18   Klinik für Innere Medizin, Martin-Luther-Krankenhaus, Berlin, Deutschland
,
Johann Ockenga
19   Medizinische Klinik m. S. Gastroenterologie, Endokrinologie und Ernährungsmedizin, Klinikum Bremen Mitte, Bremen, Deutschland
,
Barbara Otto
20   Klinikum der Universität München DAM, München, Deutschland
,
Sabine Schnadt
14   Deutscher Allergie- und Asthmabund e. V. – DAAB, Mönchengladbach, Deutschland
,
Zsolt Szepfalusi
21   Univ.-Klinik für Kinder und Jugendheilkunde, Medizinische Universität Wien, Österreich
,
Regina Treudler
22   Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie, Leipziger Interdisziplinäres Centrum für Allergologie, Universitätsmedizin Leipzig, Leipzig, Deutschland
,
Anja Wassmann-Otto
23   Dermatologisches Ambulatorium, Hamburg, Deutschland
,
Torsten Zuberbier
10   Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie, Charité – Universitätsmedizin Berlin, Deutschland
,
Thomas Werfel
24   Medizinische Hochschule Hannover, Klinik für Dermatologie, Allergologie und Venerologie, Abteilung Immundermatologie und experimentelle Allergologie, Hannover, Deutschland
,
Margitta Worm
10   Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie, Charité – Universitätsmedizin Berlin, Deutschland
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Publication History

Publication Date:
10 December 2018 (online)

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Zusammenfassung

In den letzten Jahren häuft sich die Nennung der Nicht-Zöliakie-Gluten-/Weizen-Sensitivität (NCGS, „non celiac gluten sensitivity“) sowohl in den Medien, aber auch in Fachkreisen. Die Existenz und die möglichen verantwortlichen Trigger werden kontrovers diskutiert. Drei internationale Expertentreffen mit Empfehlungen zur NCGS waren nicht unabhängig organisiert und wenig transparent bezüglich potenzieller Interessenkonflikte der Teilnehmer.

Die vorliegende Stellungnahme enthält wichtige Überlegungen aus allergologischer und ernährungsphysiologischer Sicht: (1) Aufgrund häufiger Selbstdiagnosen, unklarer Prävalenz und unbestätigter Ätiologie der NCGS sind validierte Diagnosekriterien und/oder verlässliche Biomarker notwendig. (2) Infolge hoher Nocebo- und häufiger Placebo-Effekte konnte Gluten bislang nicht sicher als Auslöser einer NCGS identifiziert werden. Doppelblinde, placebokontrollierte Provokationen (DBPCFC: double-blind, placebo-controlled food challenge) sind bei Verdacht auf NCGS nur in modifizierter Form (verändertes Verhältnis von Placebo zu Verum) geeignet. (3) Zahlreiche Störgrößen (Confounder) erschweren die Bewertung subjektiver Symptome unter glutenarmer/-freier Kost. Letztere kann je nach Lebensmittelauswahl (z. B. vermehrt Gemüse mit löslichen Ballaststoffen) physiologische Verdauungseffekte bewirken und gastrointestinale Transitzeiten unabhängig vom Glutenverzicht verändern. (4) Streng glutenfreie Kost ist bei einer gesicherten Zöliakie wissenschaftlich begründet und unerlässlich. Bei einem medizinisch unbegründeten Glutenverzicht überwiegen jedoch potenzielle Nachteile und Risiken. (5) Aktuell kann wegen fehlender überzeugender Diagnosekriterien bei Verdacht einer NCGS ausschließlich eine sorgfältige Differenzialdiagnostik empfohlen werden. Hierzu gehören eine sorgfältige Anamnese, einschließlich eines Ernährungs- und Symptomtagebuchs, eine allergologische Diagnostik und ein sicherer Ausschluss einer Zöliakie.

Wir befürworten ein derartiges strukturiertes Vorgehen, da ohne eine medizinisch gesicherte Diagnose die Durchführung einer längeren Glutenkarenz nicht zu empfehlen ist.

Englische Fassung

http://link.springer.com/journal/40629