Pneumologie 2020; 74(07): 448-455
DOI: 10.1055/a-1107-4616
Originalarbeit

Der Verlauf des E-Zigarettenkonsums im Jugendalter: Eine Kohortenstudie über 18 Monate

The Course of E-Cigarette Use in Adolescence: A Cohort Study over 18 Months
R. Hanewinkel
1   Institut für Therapie- und Gesundheitsforschung, IFT-Nord gGmbH, Kiel
,
B. Isensee
1   Institut für Therapie- und Gesundheitsforschung, IFT-Nord gGmbH, Kiel
,
A.-K. Seidel
1   Institut für Therapie- und Gesundheitsforschung, IFT-Nord gGmbH, Kiel
,
M. Goecke
2   Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, BZgA, Köln
,
M. Morgenstern
1   Institut für Therapie- und Gesundheitsforschung, IFT-Nord gGmbH, Kiel
› Institutsangaben
Gefördert von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit.
 

Zusammenfassung

Ziel Deskription des E-Zigarettenkonsums Jugendlicher über die Zeit.

Methode 261 Jugendliche aus Nordrhein-Westfalen, die E-Zigaretten mindestens einmal monatlich konsumiert hatten (mittleres Alter: 14,9 Jahre; 33,5 % weiblich), nahmen 2017 und 2019 an einer Fragebogenstudie teil.

Ergebnisse 2017 berichteten 84 Jugendliche (32,2 %) ausschließlichen E-Zigarettenkonsum (Single User), 177 Jugendliche wurden als Dual User eingestuft (67,8 %), da sie zusätzlich zur E-Zigarette ein Tabakprodukt (konventionelle Zigarette und/oder Shisha) konsumierten. Im Beobachtungs­zeitraum von 18 Monaten stellten insgesamt 83 Jugendliche (31,8 %) den Konsum von Nikotinprodukten ein. Dual User stellten den Nikotinkonsum seltener ein als Single User (N = 39 bzw. 22,0 % vs. N = 44 bzw. 52,4 %, p < 0,001). 7 Single User (8,3 %) veränderten ihr Verhalten nicht, 11 begannen ausschließlich Tabak zu konsumieren (13,1 %), weitere 22 (26,2 %) wechselten zum Dual Use. 78 Dual User (44,1 %) veränderten ihr Verhalten nicht, 57 (32,1 %) wechselten zum ausschließlichen Tabakkonsum, 3 (1,7 %) konsumierten ausschließ­lich E-Zigaretten. Zusammengenommen nutzten von den verbliebenen 178 konsumierenden Jugendlichen am Ende der Studie 10 (5,6 %) ausschließlich E-Zigaretten, während 168 (94,4 %) Tabak rauchten oder Dual Use betrieben.

Schlussfolgerungen Mehr als zwei Drittel aller jugendlichen E-Zigarettenkonsumenten und über drei Viertel der Dual User konsumierte auch 18 Monate später Nikotinprodukte. Unter den verblieben Konsumenten zeigte sich ein seltenerer Verbleib oder Umstieg auf den Single Use, statt­dessen ein häufigerer reiner Tabakkonsum oder Dual Use.


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Abstract

Aim Description of adolescent e-cigarette use over time.

Method In 2017 and 2019, 261 adolescents from North Rhine-Westphalia who had used e-cigarettes at least once a month (mean age: 14.9 years; 33.5 % female) took part in a questionnaire study.

Results In 2017, 84 adolescents (32.2 %) reported exclusive e-cigarette use (single users), 177 adolescents were classified as dual users (67.8 %) because they consumed a tobacco product (conventional cigarette and/or hookah) in addition to e-cigarettes. During the observation period of 18 months, 83 adolescents (31.8 %) quit nicotine products altogether. Dual users quit nicotine less often than single users (N = 39 or 22.0 % vs. N = 44 or 52.4 %, p < 0.001). Seven single users (8.3 %) did not change their behavior, 11 began to use tobacco exclusively (13.1 %), another 22 (26.2 %) started dual use. Seventy-eight dual users (44.1 %) did not change their behavior, 57 (32.1 %) switched to tobacco use only, 3 dual users (1.7 %) stopped tobacco use, but continued to use e-cigarettes. Taken together, at the end of the study, 10 (5.6 %) of the remaining 178 adolescents consumed only e-cigarettes, while 168 (94.4 %) smoked tobacco or were dual-users.

Conclusions More than two thirds of all young e-cigarette users and more than three quarters of dual users also used nicotine products 18 months later. The remaining consumers showed a less frequent stay or switch to single use, instead a more frequent use of tobacco or dual use.


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Einleitung

Die Adoleszenz ist eine formative Phase im Lebenslauf, in der wesentliche Verhaltensmuster gefestigt und oft auch die Grundsteine für das spätere Gesundheitsverhalten gelegt werden [1] [2]. Eine epidemiologische Untersuchung wesentlicher Risikoverhaltensweisen Jugend­licher in 195 Staaten über den Zeitraum von 1990 – 2016 zeigt einen erfreulichen Trend zum Nie-Rauchen im Jugendalter auf [3]. Dieser Trend ist auch in Deutschland beobachtbar. Nach der KiGGS-Studie des Robert-Koch-Instituts rauchten 2003 – 2006 noch 21,4 % der 11- bis 17-Jährigen. Eine Dekade später waren „nur“ noch 7,2 % dieser Altersgruppe zu den Rauchern zu zählen [4]. Dieser Trend hat sich in den letzten Jahren noch fortgesetzt, sodass ein historisches Tief des Rauchens im Jugendalter in Deutschland festgestellt werden kann [5].

Verschiedene verhältnis- und verhaltenspräventive Maßnahmen zur Verhütung des Rauchens, die ab dem Jahr 2000 in Deutschland umgesetzt wurden, haben wahrscheinlich in der Kombination diesen Präventionserfolg auf der Populationsebene ermöglicht [6]. Zu diesem Maßnahmenbündel sind 5 Tabaksteuererhöhungen zwischen 2002 und 2005 zu zählen [7], die Nichtraucherschutzgesetze im Bund und in den Ländern ab 2007 [8], die Einschränkung der Verfügbarkeit von Tabakprodukten über die Anhebung des legalen Bezugsalters auf 18 Jahre und die Umrüstung der Zigarettenautomaten [9], das Verbot der Tabakwerbung in den Printmedien, die Einführung bildgestützter Warnhinweise [10] sowie die flächendeckende Umsetzung evidenzbasierter, schulbasierter Aufklärungsprogramme wie des Nichtraucherwettbewerbs „Be Smart – Don’t Start“ [11].

Seit einigen Jahren kommen neue Nikotinprodukte, allen voran E-Zigaretten und Tabak­erhitzer, auf den Markt. Die Industrie bewirbt diese Produkte mit der Aussage, sie seien gesundheitlich weit weniger bedenklich als herkömmliche Zigaretten. Damit werden die E-Produkte auch interessant für Jugendliche [12] [13]. Epidemiologische Erhebungen zeigen zwar, dass der Konsum konventioneller Zigaretten im Jugendalter kontinuierlich zurückgeht, aber gleichzeitig, dass E-Zigaretten und E-Shishas in dieser Altersgruppe zunehmend an Bedeutung gewinnen [14] [15]. Mehr als 2 Dutzend Kohortenstudien aus Nord-, Mittel­amerika, Asien und Europa legen zudem die Schlussfolgerung nahe, dass der vorherige E-Zigarettenkonsum im Jugendalter als Risikofaktor für den späteren Umstieg auf konventionelle Zigaretten angesehen werden kann, darunter auch 2 Studien mit Kohorten aus Deutschland [16] [17].

Über den natürlichen Verlauf des E-Zigarettenkonsums ist wenig bekannt. Über 12 Monate hinweg wurde eine US-amerikanische Kohorte von 2932 erwachsenen E-Zigarettenkonsumenten beobachtet. Die Verläufe des Konsums waren höchst variabel, aber lediglich 420 Nutzer (14 %) waren nach einem Jahr komplett nikotinfrei [18]. Eine weitere Studie rekrutierte 173 E-Zigarettennutzer im Alter von 13 – 18 Jahren und verfolgte sie über ein Jahr. Auch für diese Kohorte zeigte sich, dass der weitaus überwiegende Teil (80,3 %) E-Zigaretten auch ein Jahr später konsumierte und der gleichzeitige Gebrauch von E-Zigaretten und konventionellen Zigaretten von 14,5 % auf 29,8 % anstieg [19].

Studien zur Deskription des natürlichen Verlaufs der Nutzung von E-Zigaretten sind uns für Kohorten, die in Deutschland rekrutiert wurden, nicht bekannt. Dieser Artikel verfolgt das Ziel, den Verlauf des E-Zigarettenkonsums Jugendlicher in Deutschland zu beschreiben.


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Methode

Rekrutierung der Stichprobe

Im November/Dezember 2017 sowie 18 Monate später zwischen April und Juni 2019 nahm eine Kohorte Jugendlicher aus Nordrhein-Westfalen (NRW) an einer Fragebogenstudie teil. Die Stichprobe wurde im Rahmen einer Studie zur Evaluation des Alkoholpräventions­programms „Klar bleiben. Feiern ohne Alkoholrausch“ [15] rekrutiert. Als Studienregion wurden die Kreise und Städte Herford, Lippe, Minden-Lübbecke, Höxter, Paderborn, Gütersloh, Bielefeld, Hochsauerlandkreis, Rhein-Erft-Kreis, Köln, Leverkusen, Rheinisch-Bergischer Kreis, Oberbergischer Kreis, Rhein-Sieg-Kreis, Aachen (Stadt und Kreis), Düren, Heinsberg, Bonn, Euskirchen, Siegen-Wittgenstein, Olpe, Hagen, Unna, Ennepe-Ruhr-Kreis, Märkischer Kreis, Soest, Hamm, Warendorf sowie Coesfeld ausgewählt, sodass sowohl ländliche als auch städtische und großstädtische Regionen vertreten waren.

Eingeladen wurden alle 1111 Schulen mit Sekundarstufe I aus den genannten Kreisen. Bei der Einladung wurden die Schulen über alle Aspekte der Studie (Zweck der Studie; Anzahl, Art und Inhalt der Befragungen; Datenschutz und Freiwilligkeit; Aufwandsentschädigungen) informiert. 74 Schulen mit 323 Klassen und 8172 Schülerinnen und Schülern der Klassen­stufen 9, 10, 11 und 12 erklärten sich bereit, an der Untersuchung teilzunehmen. Befragt werden konnten zum ersten Messzeitpunkt insgesamt 6084 Schülerinnen und Schüler, aus 74 Schulen, von denen 609 (10,2 %) angaben, mindestens einmal im Monat E-Zigaretten zu konsumieren. Diese bilden die Grundgesamtheit der vorliegenden Studie. 18 Monate später konnten Daten von 261 Schülerinnen und Schülern mit mindestens monatlichem E-Ziga­retten-Konsum zur Baseline aus 60 Schulen erneut erhoben werden. Dies entspricht einer Wiedererreichungsquote von 42,9 %.

Das Vorhaben wurde durch die Ethikkommission der Deutschen Gesellschaft für Psychologie geprüft und als ethisch unbedenklich bewertet (AZ RH 072017). In NRW sieht das Schul­gesetz vor, dass jede Schule allein über eine Teilnahme an einer wissenschaftlichen Unter­suchung entscheiden kann, sodass ein Genehmigungsverfahren durch die zuständige Kultusbehörde nicht erforderlich war. Die Studie wurde im Deutschen Register Klinischer Studien registriert (DRKS00013273).


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Erhebungsprozedur und Datenschutz

Das schriftliche Einverständnis der Schülerinnen und Schüler sowie ihrer Eltern zur Teilnahme an der Studie wurde vorab durch die Lehrkräfte eingeholt. Zu diesem Zweck erhielten die Lehrkräfte für alle Schülerinnen und Schüler ein Informations- und Genehmigungsblatt. Befragt wurden ausschließlich Jugendliche, bei denen sowohl sie selbst als auch ihre Eltern sich schriftlich mit der Datenerhebung einverstanden erklärt hatten. Die Genehmigungen verwahrte die verantwortliche Lehrkraft über die gesamte Laufzeit der Studie.

Die Befragungen erfolgten mittels pseudonymisierter paper-pencil-Fragebogen im Klassenverband unter Aufsicht einer Lehrkraft. Die Zuordnung der Daten aus den beiden Befra­gungswellen erfolgte über einen Code, den die Schülerinnen und Schüler aus unveränder­lichen persönlichen Daten (z. B. dritter Buchstabe des Vornamens) eigenständig zu Beginn der Befragungen erstellten. Alle erforderlichen Unterlagen (Studieninformation und -genehmigungen, Fragebögen, Instruktionen) wurden den Schulen postalisch zugesandt, und diese sandten die ausgefüllten Bögen in einem vorfrankierten Umschlag wieder zurück.

Für die Beteiligung an der Studie erhielten die Lehrkräfte einen Buchgutschein in Höhe von 25 Euro pro Befragung und die Klassen eine Aufwandsentschädigung von 50 Euro.


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Studienvariablen

Konsum verschiedener Nikotinprodukte

Der Konsum von Nikotinprodukten wurde wie folgt erfasst: „Wie häufig tust du derzeit die folgenden Dinge?“ Zigarette rauchen/Shisha/Wasserpfeife rauchen/E-Zigarette/E-Shisha dampfen. Antwortkategorien waren jeweils: gar nicht/seltener als einmal im Monat/mindestens einmal im Monat/etwa einmal pro Woche/mehrmals pro Woche/(fast) täglich. Jugendliche, die angaben, mindestens einmal im Monat eine E-Zigarette bzw. E-Shisha zu dampfen, wurden als aktuelle E-Zigarettenkonsumenten klassifiziert. Jugendliche, die angaben, mindestens einmal im Monat eine (konventionelle) Zigarette und/oder Shisha zu rauchen, wurden als aktuelle Tabak-Konsumenten klassifiziert. Jugendliche, die aktuell ausschließlich E-Zigaretten konsumierten, wurden als Singe User bezeichnet, während Jugendliche, die angaben, aktuell sowohl E-Zigaretten als auch Tabak zu konsumieren, als Dual User klassifiziert wurden. Diejenigen Jugendlichen, die zum zweiten Messzeitpunkt angaben, aktuell weder E-Zigaretten noch Tabak zu konsumieren, wurden als Aussteiger aus dem Nikotinkonsum klassifiziert.


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Soziodemografische Merkmale und Kovariaten

Neben Alter, Geschlecht und besuchter Schulart (Gymnasium/Realschule/Hauptschule/Gesamtschule) wurde der Migrationshintergrund über die Frage „Welche Sprachen werden bei Dir zu Hause gesprochen?“ (irgendeine andere als deutsch = Migrationshintergrund) erfasst. Darüber hinaus wurde das Persönlichkeitsmerkmal „Sensation Seeking“ (individuelle Risikobereitschaft) mit der 2-Item-Version des SSS-V14 [20] erhoben („Wie oft machst Du gefährliche Sachen, um Spaß zu haben?“, „Wie oft machst Du aufregende Sachen, auch wenn Sie gefährlich sind?“), bei der Schülerinnen und Schüler auf einer 5-stufigen Likert-Skala eine Antwort auswählen konnten („Überhaupt nicht“, „Gelegentlich“, „Manchmal“, „Oft“, „Sehr oft“), Cronbachs alpha = 0.86.

Der Einfluss des Freundeskreises wurde wie folgt erfasst: „Wie viele deiner Freunde tun folgende Dinge?“ Zigarette rauchen/Shisha/Wasserpfeife rauchen/E-Zigarette/E-Shisha dampfen. Antwortkategorien waren jeweils: keine/wenige/einige/die meisten/alle. Für die statistische Analyse wurden 2 Kategorien gebildet: keine Freunde, die konsumieren, vs. alle anderen Antwortalternativen.

Der aktuelle Alkoholkonsum wurde wie folgt erfasst: „Wie häufig trinkst du zur Zeit Alkohol?“ Antwortkategorien waren jeweils: gar nicht/seltener als einmal im Monat/mindestens einmal im Monat/etwa einmal pro Woche/mehrmals pro Woche/(fast) täglich. Jugendliche, die angaben, mindestens einmal im Monat Alkohol zu konsumieren, wurden als aktuelle Alkohol-Konsumenten klassifiziert.


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Statistische Analyse

Alle Datenanalysen wurden mit dem Statistikprogramm Stata durchgeführt (Version 15.1). Um Unterschiede zwischen nach der Baseline erreichten und nicht erreichten Jugendlichen zu überprüfen (Attritionsanalyse), wurden Chi-Quadrat- und t-Tests durchgeführt. Chi-Quadrat-Tests wurden auch herangezogen, um zu prüfen, welche der erhobenen Studien­variablen mit dem Einstellen des Nikotinkonsums kovariieren.


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Ergebnisse

Stichprobenbeschreibung und Attritionsanalyse

[Tab. 1] beschreibt die ursprüngliche Stichprobe sowie die Jugendlichen, die 18 Monate später entweder nicht mehr oder wieder erreicht werden konnten. Die nicht erreichten Schülerinnen und Schüler hatten im Vergleich zu den Jugendlichen, die 18 Monate später wieder erreicht werden konnten, mehr Freunde, die Tabak konsumierten (95,3 % vs. 89,7 %), waren älter (im Mittel 15,5 Jahre vs. 14,9 Jahre), hatten häufiger einen Migrationshintergrund (41,3 % vs. 31,9 %) und besuchten häufiger nicht das Gymnasium (88,8 % vs. 70,7 %).

Tab. 1

Charakteristik der Analysestichprobe und Attritionsanalyse.

Variable

Baseline
N = 609 Jugendliche mit mindestens monatlichem E-Zigarettenkonsum

18 Monate später erreicht
N = 261

18 Monate später
nicht erreicht
N = 348

p

Aktueller Tabakkonsum (% mind. monatlich)

38,1

34,1

41,0

0,081

E-Zigarettenkonsum im Freundeskreis (% > keine)

96,3

95,8

96,8

0,505

Tabakkonsum im Freundeskreis (% > keine)

92,9

89,7

95,3

0,009

Aktueller Alkoholkonsum (% mind. monatlich)

66,2

67,6

65,1

0,531

Alter in Jahren (M [SD])

15,2 (1,02)

14,9 (0,97)

15,5 (0,99)

0,000

Geschlecht (% weiblich)

30,9

33,5

29,0

0,237

Migrationshintergrund (% ja)

37,3

31,9

41,3

0,018

Schulart (% kein Gymnasium)

81,0

70,7

88,8

0,000

Sensation Seeking[1]

0,77

0,75

0,79

0,589

M = Mittelwert

SD = Standardabweichung

R = Spannweite

1 standardisierte Skala (M = 0, SD = 1): Skalenwert < 0 = geringere Risikofreude, Skalenwert über 0 = größere Risikofreude



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Veränderungen des E-Zigaretten- und Tabakkonsums über die Zeit

Die Analysestichprobe für die weiteren Auswertungen sind die 261 Jugendlichen mit Daten zur Baseline und Follow-up-Erhebung. [Abb. 1] veranschaulicht grafisch, dass 18 Monate nach der Eingangsbefragung 83 von 261 jugendlichen E-Zigarettenkonsumenten (31,8 %) weder konventionelle oder E-Zigaretten noch Shisha konsumierten. Die überwiegende Mehrheit von 178 Jugendlichen (68,8 %) konsumierte 18 Monate nach der Baseline-Erhebung mindestens ein Nikotinprodukt.

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Abb. 1 Vereinfachter Verlauf des E-Zigarettenkonsums über den Beobachtungszeitraum von 18 Monaten.aktueller Konsum = Konsum mindestens einmal im Monat

Von den 261 jugendlichen E-Zigarettenkonsumenten hatten in der ersten Befragung 84 (32,2 %) nur E-Zigaretten konsumiert, 177 (67,8 %) neben den E-Zigaretten auch konventionelle Zigaretten oder Shisha. Im Beobachtungszeitraum stellten insgesamt 83 Jugendliche (31,8 %) den Konsum von Nikotinprodukten ganz ein. Diese Quote war bei den Dual Usern mit 22,0 % (39 von 177 Dual Usern) deutlich niedriger als bei den Single Usern (52,4 % bzw. N = 44). Von den Single Usern begannen 11 (13,1 %) ausschließlich Tabak zu konsumieren, weitere 22 (26,2 %) begannen neben ihrem E-Zigarettenkonsum zusätzlich Tabak zu konsumieren, entwickelten sich somit zu Dual Usern. Zusammengenommen begannen 33 (39,3 %) der ursprünglichen Single User zusätzlich oder ausschließlich Tabak zu konsumieren, 7 Jugendliche (8,3 %) blieben Single User.

78 Dual User (44,1 %) veränderten ihr Verhalten nicht, 57 (32,2 %) gaben den E-Zigarettenkonsum auf, konsumierten aber weiterhin Tabak. Zusammengenommen blieben 135 Dual User (76,3 %) beim ausschließlichen oder zusätzlichen Tabakkonsum, 3 Dual User (1,7 %) stellten den Tabakkonsum ein, konsumierten aber weiterhin E-Zigaretten.

Von den am Ende der Studie 178 konsumierenden Jugendliche konsumierten somit 10 (5,6 %) ausschließlich E-Zigaretten, während 168 (94,4 %) Tabak rauchten oder Dual Use betrieben.

[Abb. 2] veranschaulicht diese Untersuchungsergebnisse grafisch.

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Abb. 2 Differenzierter Verlauf des E-Zigarettenkonsums über den Beobachtungszeitraum von 18 Monaten.aktueller Konsum = Konsum mindestens einmal im Monat

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Vorhersage des Ausstiegs aus dem Nikotinkonsum

Vergleicht man die Jugendlichen, die über die 18 Monate den Nikotinkonsum ganz ein­stellten (N = 83), mit den weiterhin konsumierenden (N = 178), so zeigte sich ein signifikant häufigerer kompletter Ausstieg, wenn sie zur Baseline Single User waren (52,4 % vs. 22,0 %), keine Freunde hatten, die E-Zigaretten konsumierten (63,4 % vs. 30,5 %) und wenn sie nicht zu den aktuellen Alkoholkonsumenten (42,4 % vs. 26,9 %) zu zählen waren. Nicht mit dem Einstellen des Nikotinkonsums im Zusammenhang standen das Alter, das Geschlecht, die Anzahl von Freunden, die Tabak konsumierten, der Migrationshintergrund, die besuchte Schulart oder das Persönlichkeitsmerkmal Sensation Seeking. Diese Zusammenhänge werden in [Tab. 2] dargestellt.

Tab. 2

Zusammenhang zwischen Studienvariablen zur Baseline und dem Ausstieg aus dem Nikotinkonsum innerhalb des 18-monatigen Beobachtungszeitraums.

Studienvariable zur Baseline

% Ausstieg

chi2(df)

p

Dual Use

  • Ja

22,0

24,2 (1)

< 0,001

  • Nein

52,4

E-Zigarettenkonsum im Freundeskreis

  • Ja

30,5

5,3 (1)

0,021

  • Nein (keine)

63,4

Tabakkonsum im Freundeskreis

  • Ja

29,9

3,7 (1)

0,054

  • Nein (keine)

48,2

Monatlicher Alkoholkonsum

  • Ja

26,9

6,3 (1)

0,012

  • Nein

42,4

Alter

  • 13 – 15

31,9

0,0 (1)

0,968

  • 16 – 18

31,6

Geschlecht

  • Männlich

28,7

2,3 (1)

0,133

  • Weiblich

37,9

Migrationshintergrund

  • Ja

28,7

2,6 (1)

0,110

  • Nein

38,6

Schulart Gymnasium

  • Ja

30,3

0,1 (1)

0,732

  • Nein

32,4

Hohes Sensation Seeking

  • Ja

26,8

1,9 (1)

0,172

  • Nein

35,0

chi2 = Wert des chi2-Tests

df = Freiheitsgrad

p = Signifikanzniveau


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Diskussion

261 Jugendliche aus dem Bundesland Nordrhein-Westfalen, die mindestens monatlich E-Zigaretten konsumierten, wurden über 18 Monate beobachtet. Nur eine Minderheit der Jugendlichen stellte den Nikotinkonsum ganz ein, aber mehr als zwei Drittel konsumierte auch 18 Monate später weiterhin Nikotin. Insbesondere Dual User zeigten sich insofern änderungsresistent, als dass mehr als drei Viertel dieser größten Untergruppe weiterhin Nikotin in unterschiedlichen Applikationsformen konsumierten. Ein Unterschied von über 30 Prozentpunkten zwischen Single und Dual Usern im Hinblick auf den gesundheitlich primär bedeutsamen Endpunkt der Studie, den Verzicht auf Nikotin nach 18 Monaten, ist nicht nur statistisch, sondern klinisch bedeutsam.

Die Untersuchungsergebnisse legen die Schlussfolgerung nahe, dass E-Zigarettenkonsum im Jugendalter wahrscheinlich nicht als einmaliges Probier-, sondern als Konsumverhalten mit der Tendenz zur Verstetigung angesehen werden muss. Definiert man den Tabakkonsum alleine oder zusätzlich zum E-Zigarettenkonsum als negatives Ergebnis, ist festzustellen, dass dieses negative Ergebnis bei deutlich über 90 % der verbliebenen Konsumenten eintrat.

Über zwei Drittel der Stichprobe waren Dual User. Dual Use ist nicht nur im Jugendalter das weitaus häufigste Verhaltensmuster der E-Zigarettennutzer, sondern zeigt sich auch in bevölkerungsrepräsentativen Untersuchungen der deutschen Bevölkerung insgesamt. Die methodisch sehr gut gemachte „Deutsche Befragung zum Rauchverhalten (DEBRA-Studie)“ belegt bspw., dass drei Viertel (74,5 %) aller aktuellen E-Zigarettennutzer in Deutschland gleichzeitig Tabak rauchen [21].

E-Zigaretten sind zu kurz auf dem Markt, um seriös mittel- und langfristige Auswirkungen auf die Gesundheit abschätzen zu können. Eine populäre Annahme ist, dass E-Zigaretten eine Schadensminimierungsfunktion im Vergleich zur Tabakzigarette haben könnten, wenn Raucher ganz auf die E-Zigarette umsteigen [22]. Die vorliegenden Untersuchungsergebnisse legen nahe, dass Single Use im Jugendalter nicht nur das seltenere Verhaltensmuster ist, sondern im Laufe des Beobachtungszeitraums eine nicht unerhebliche Anzahl Single User zusätzlich zur E-Zigarette begann, auch Tabak zu konsumieren. Ist aber Dual Use das mit Abstand häufigste Konsummuster, sind positive Gesundheitsaspekte des E-Zigaretten­konsums nicht zu erwarten, vielmehr ist zu befürchten, dass Dual User ihr individuelles Gesundheitsrisiko noch erhöhen. Für diese Vermutung sprechen erste repräsentative Daten zur Verbreitung von Atemwegserkrankungen im Erwachsenenalter in den USA.

Eine Querschnittsuntersuchung rekrutierte 705 159 Personen, die sowohl zu Tabak- und E-Zigarettenkonsum als auch zur Lungengesundheit befragt wurden. 53 702 (7,6 %) der Befragten berichteten, dass chronische Bronchitis, Emphysem oder COPD bei ihnen diagnos­tiziert worden sei. Es zeigte sich, dass die Wahrscheinlichkeit einer Atemwegserkrankung für aktuelle Dual User unter allen Gruppen des Nikotinkonsums am höchsten war [23].

Methodisch deutlich aussagekräftiger als Querschnittsuntersuchungen sind Kohorten­studien. Eine erste longitudinale Untersuchung beobachtete 26 646 US-Amerikaner, die bei der ersten Befragungswelle noch keine Atemwegserkrankungen hatten, über 2 Jahre [24]. Aktuelle E-Zigarettennutzer hatten verglichen mit Nicht-Konsumenten auch bei Kontrolle des ehemaligen und aktuellen Tabakkonsums ein adjustiertes Odds Ratio (aOR) von 1,29 (95 %-KI: 1,03 – 1,61), im Beobachtungszeit eine Atemwegserkrankung zu entwickeln, bei Rauchern von Tabakzigaretten lag das adjustierte Chancenverhältnis bei 2,56 (95 %-KI: 1,92 bis 3,41). Für Personen, die sowohl E-Zigaretten als auch Tabakzigaretten benutzten, betrug die aOR allerdings 3,04 (95 %-KI: 2,21 – 4,17).

Derartige Untersuchungen liegen für das Jugendalter noch nicht vor, aber diese Studie weist darauf hin, dass Dual Use schon im Jugendalter häufiger vorkommt als Single Use, was unter gesundheitlichen Gesichtspunkten durchaus zur Besorgnis Anlass gibt.

Aus epidemiologischen Untersuchungen ist hinlänglich bekannt, dass der frühe Beginn des Nikotinkonsums die Wahrscheinlichkeit erhöht, auch in späteren Lebensjahren weiterhin zu rauchen [25]. Ferner kann Nikotin die Gehirnentwicklung beeinflussen und toxische Substanzen, die über E-Zigaretten emittiert werden, können auch die Entwicklung der Atemwegsorgane negativ beeinflussen [26] [27]. Diese Gründe sprechen dafür, Jugendliche nachhaltig vor den Gefahren des E-Zigarettenkonsums zu schützen. Neben verhältnis­präventiven Maßnahmen wie einem Werbeverbot für E-Zigaretten, einer Besteuerung analog zu Tabakzigaretten sowie strikten Zugangsregularien sollten auch verhaltens­präventive Maßnahmen im Sinne einer Aufklärung über die Risiken des E-Zigarettenkonsums und die Förderung einer diesbezüglichen Risikokompetenz im Jugendalter umgesetzt werden, um die aktuell historisch niedrigen Raucherquoten unter Jugendlichen zu stabilisieren.

Limitationen

Die Daten wurden nur in Teilen eines Bundeslandes – Nordrhein-Westfalen – erhoben, was die Generalisierbarkeit auf das gesamte Bundesland und andere Bundesländer infrage stellt. Der lange Beobachtungszeitraum von 18 Monaten führte zu einem Verlust von Probanden über die Zeit, wobei insbesondere Schülerinnen und Schüler mit einem hohen Risikoprofil aus der Stichprobe herausfielen. Seltener erreicht werden konnten Schülerinnen und Schüler, die älter waren, kein Gymnasium besuchten, mehr Freunde hatten, die Tabak konsumierten und einen Migrationshintergrund aufwiesen. Der Verlust der Nicht-Gymnasiasten über die Zeit lässt sich zum Teil auch dadurch erklären, dass ein Teil der 10.-Klässler zum zweiten Messzeitpunkt die Schule bereits verlassen hatte, um eine Ausbildung zu beginnen.

Von Fragebogendaten ist bekannt, dass sie durch systematische Antworttendenzen ver­fälscht sein können, wie bspw. die Tendenz zu sozial erwünschten Antworten. Auch wurde nicht erhoben, welche Art von Liquids – mit oder ohne Nikotin – die Jugendlichen konsumierten. Allerdings gaben nach einer repräsentativen Erhebung von 3000 Personen im Alter von 14 – 45 Jahren 4 von 5 Personen mit E-Zigarettenerfahrung an, nikotinhaltige Liquids verwandt zu haben [28]. Bei regelmäßiger Nutzung dürfte diese Zahl noch höher sein.


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Fazit

Mehr als zwei Drittel aller E-Zigarettennutzer im Jugendalter konsumierten 18 Monate später weiterhin E-Zigaretten und/oder Tabak. Insbesondere die weitaus größte Untergruppe der jugendlichen E-Zigarettennutzer mit parallelem Tabakkonsum, die Dual User, stellte selten den Nikotinkonsum ein. Bei vielen jugendlichen E-Zigarettenkonsumenten handelte es sich somit offensichtlich nicht um einmaliges Probier-, sondern um Konsumverhalten mit der Tendenz zur Verstetigung. Geht man davon aus, dass der Tabakkonsum alleine oder zusätzlich zum E-Zigarettenkonsum als negatives Ergebnis einzustufen ist, trat dieses negative Ergebnis bei deutlich über 90 % der verbliebenen Konsumenten ein.


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Interessenkonflikt

Die Autorinnen/Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Widmung

Dieser Beitrag ist Prof. Dr. med. Robert Loddenkemper gewidmet. Er hat sich über Jahrzehnte auf nationaler und internationaler Ebene wirkmächtig für das Nichtrauchen eingesetzt.


Korrespondenzadresse

Prof. Dr. Reiner Hanewinkel
Institut für Therapie- und Gesundheitsforschung, IFT-Nord gGmbH
Harmsstr. 2
24114 Kiel

Publikationsverlauf

Eingereicht: 29. Januar 2020

Angenommen: 26. März 2020

Artikel online veröffentlicht:
22. April 2020

© Georg Thieme Verlag KG
Stuttgart · New York


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Abb. 1 Vereinfachter Verlauf des E-Zigarettenkonsums über den Beobachtungszeitraum von 18 Monaten.aktueller Konsum = Konsum mindestens einmal im Monat
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Abb. 2 Differenzierter Verlauf des E-Zigarettenkonsums über den Beobachtungszeitraum von 18 Monaten.aktueller Konsum = Konsum mindestens einmal im Monat