Schlüsselwörter
Corona - Gesundheitsförderung - Digitalisierung - Experteninterviews - Sportvereine
- Sport
Key words
Corona - health promotion - digitization - expert interviews - sport clubs - sport
Einleitung
Mit über 27,5 Mio. Mitgliedern, organisiert in fast 90 000 Vereinen, repräsentieren
Sportvereine einen elementaren Bestandteil des Breitensports in Deutschland [1]. Durch ihr vielfältiges Bewegungs- und Sportangebot erfüllen sie dabei wichtige
Funktionen aus der Perspektive der öffentlichen Gesundheitsförderung (Public Health)
[2]. Traditionell stehen in den Sportvereinen klassische wettkampforientierte Sportarten
im Mittelpunkt. Gesellschaftliche Veränderungen wie der demografische Wandel führen
jedoch zu einer Neuausrichtung bzw. Ausdifferenzierung des Angebots in den Vereinen
[3]. Beispielsweise gewinnen Sportangebote mit spezifischem Gesundheitsbezug in den
Vereinen zunehmend an Bedeutung. Bereits knapp jeder dritte Verein hat gesundheitssportliche
Angebote, und etwa 10% der deutschen Sportvereine verfügen über Präventions- und Rehabilitationskurse
[4].
Entsprechend vielfältig sind die positiven Gesundheitserwartungen, die mit sportlichen
Aktivitäten im Verein verknüpft sind. Die Wirkung auf physische Ressourcen wie Kraft,
Ausdauer und Koordination sowie psychische Ressourcen wie Stimmung und Wohlbefinden
kann bei einer entsprechenden maßvollen und zielgerichteten Ausgestaltung der sportlichen
Aktivitäten als unstrittig angesehen werden [5]. Somit kann die aktive Mitgliedschaft im Sportverein dazu beitragen, den unerwünschten
Folgen eingeschränkter oder auch fehlender Bewegungserfahrungen entgegenzuwirken [6]
[7]. Zudem können gemeinsame sportlichen Aktivitäten ein Zugehörigkeitsgefühl vermitteln
sowie Menschen unterschiedlicher Herkunft und unterschiedlichen Alters zusammenführen
[4]
[8]
[9]. Somit bieten Sportvereine bei einer entsprechend methodisch-didaktischen Gestaltung
des Trainings das Potenzial, zur Gesundheitsförderung bei verschiedenen Zielgruppen
beizutragen. Sie sind darum ein wichtiger Partner bei Projekten der gemeindenahen
Gesundheitsförderung (vgl. z. B. [10]
[11]).
Die zunehmende Verbreitung des Coronavirus (SARS-CoV-2) und die damit einhergehenden
Eindämmungsmaßnahmen hatten jedoch auch auf die Sportvereine umfangreiche Auswirkungen.
In Deutschland wurden strenge Kontaktbeschränkungen eingeführt, die den Aufenthalt
im Freien nur alleine oder in Anwesenheit von Personen des gleichen Hausstands gestatteten
[12], zudem wurde das öffentliche Leben weitgehend stillgelegt. Davon betroffen war auch
der Betrieb öffentlicher und privater Sportanlagen, darunter Sportstätten und Schwimmbäder,
deren Schließung Mitte März 2020 angeordnet wurde [13]. Erst Mitte Mai wurde die schrittweise Wiederöffnung von Angeboten im Breitensport
gestattet, jedoch unter strengen Vorgaben zur Einhaltung der Abstandsbestimmungen
[14]. Ein geregelter Trainingsbetrieb und der damit verbundene soziale Austausch der
Mitglieder im Verein war also für lange Zeit nicht möglich. Auch gegenwärtig ist Breitensport
nur unter Einhaltung strenger Hygienekonzepte möglich und die aktuellen Pandemie-Entwicklungen
lassen befürchten, dass bestehende Einschränkungen sogar noch weiter verschärft werden
können.
Vor diesem Hintergrund befasst sich die vorliegende Studie mit den Konsequenzen, die
sich daraus für den Vereinsbetrieb und für die Angebotsstruktur der Vereine ergeben
haben. Folgende Fragestellungen stehen im Mittelpunkt:
-
Welche Veränderungen ergaben sich aufgrund der Corona-bedingten Einschränkungen für
das Bewegungs- und Sportangebot der Vereine?
-
Wie haben die Mitglieder auf das veränderte Bewegungs- und Sportangebot reagiert?
-
Wie gehen die Vereine mittel- und langfristig mit den Corona-bedingten Einschränkungen
um?
Methodik
Die Studie fand im Rahmen des BMBF-geförderten Forschungsprojektes ACTION for men
(A4M) statt, als Teil des Forschungsverbundes Capital4Health. A4M untersucht, inwieweit
Akteure auf kommunaler Ebene, v. a. Sportvereine, in die Planung und Implementierung
von lokalen Maßnahmen zur Bewegungsförderung eingebunden werden können. Für die hier
vorgestellte Erhebung wurde ein qualitatives Studiendesign gewählt. Es fanden 15 leitfadengestützte
Experteninterviews [15] mit Vertretungen aus der Vorstandschaft (n=9) sowie Mitarbeitenden (n=6) in 15 Sportvereinen
statt (14 Männer, 1 Frau). Die Vereine wurden in 2 bayerischen Regierungsbezirken
rekrutiert. So wurde sichergestellt, dass die Vereine von einheitlichen landesweiten
Einschränkungsmaßnahmen betroffen waren. Gleichzeitig sollte ein möglichst breites
Spektrum von Sportangeboten (von reinen Einsparten-Vereinen (n=7) wie z. B. Skiverein
oder Schwimmverein über Mehrspartenvereine (n=7) mit zertifizierten Gesundheitssportkursen
bis hin zu Kampfsportvereinen) abgedeckt werden. Die Rekrutierung der Interviewpartner
erfolgte durch persönliche Kontakte des Forschungsteams sowie die direkte Kontaktaufnahme
mit lokalen Sportvereinen. Es wurden 18 Sportvereine angesprochen, 15 sagten die Teilnahme
zu. Interessierte Personen erhielten ein Informationsblatt und willigten schriftlich
in die Studienteilnahme ein. Sie wurden weitergehend informiert, dass die Studienteilnahme
zu jedem Zeitpunkt und ohne Angabe von Gründen widerrufen werden kann. Für A4M liegt
ein positives Votum der Ethikkommission der Universität Bayreuth vor (Az. O 1305/1
- GB).
Der Interviewleitfaden adressierte folgende 3 Themenbereiche:
-
Veränderungen im Sportangebot der Vereine.
-
Resonanz der Vereinsmitglieder auf das veränderte Sportangebot.
-
(Langfristige) Potenziale und Grenzen der Veränderungen im Sportangebot.
Der Interviewleitfaden wurde im Rahmen eines Pre-Tests auf Verständlichkeit hin überprüft
und anschließend geringfügig adaptiert. Die Interviewdurchführung erfolgte telefonisch
zwischen April und Mai 2020. Die Interviews dauerten zwischen 15 und 50 Minuten, wurden
aufgezeichnet und wörtlich transkribiert. Die Datenauswertung erfolgte mit dem Programm
ATLAS.ti. 8.1. Dazu wurden zufällig ausgewählte Interviews (etwa 25% des Materials)
von 2 Autoren (MK, HS) unabhängig voneinander kodiert und zentrale Themenbereiche
unter Anwendung einer induktiven Vorgehensweise identifiziert. Wiederkehrende thematische
Aspekte wurden geclustert und im Rahmen eines iterativen Prozesses in der Forschungsgruppe
hinsichtlich der Relevanz für die aufgestellten Fragen analysiert und zusammengeführt
[16].
Ergebnisse
Die Mitglieder unterstützten die Vereine auch während der Aussetzung des Trainings-
und Wettkampfbetriebs
Der Großteil der Interviewten berichtet, die Mitglieder hätten „verständnisvoll“, „mit großer Akzeptanz“ auf die Aussetzung des Trainings- und Wettkampfbetriebs reagiert. Vereinzelt sei
es mit anhaltender Dauer des Lockdowns zu steigender Ungeduld und stärkerem Unmut
gekommen.
[Die Reaktion war] neutral bis positiv. Die haben es alle verstanden, waren halt ein
bisschen betrübt, weil sie gerne Sport machen wollen. Das ist halt eine Lebensaufgabe,
[der Verein] ist Familie für viele (IP05, Vertreter Kampfsportverein).
Dementsprechend sei es nur vereinzelt zu Kündigungen bzw. Rückzahlungsforderungen
gekommen. Begründet wurde das auch damit, dass die Vereine als solche auch als gesellschaftlich
relevante Institutionen gesehen würden, die es auch in schwierigen Zeiten zu unterstützen
gelte.
Ich habe angeboten, den Beitrag zu halbieren, was aber die meisten Mitglieder sogar
abgelehnt haben, und [sie] gesagt haben: „Ja nee!“, dass sie quasi wollen, dass es
weiterbesteht und [sie] weiter …den vollen Beitrag zahlen werden (IP01, Vertreter
Kampfsportverein).
Wir haben jetzt noch keine Austritte, …aber sollte das länger dauern, kann das schon
aufkommen, dass man sagt: „Wofür zahle ich hier die Beiträge?“. …Wobei wir natürlich
kein Fitnessstudio sind, was nur gegen Training einen Eintritt …hat, sondern wir sind
auch ein gesellschaftlicher Verein, der ein Vereinsleben führt. Man sieht das hoffentlich
auch von diesem Aspekt her (IP04, Vorstandsmitglied Judo- und Karateclub).
Vereine entwickeln oftmals ein breites Spektrum an z.T. interaktiven digitalen Kursangeboten,
deren dauerhaftes Potenzial allerdings skeptisch betrachtet wird
Knapp 2/3 der Vereine haben während der Phase der Vereinsschließung digitale Trainingsformen
entwickelt, um ihren Mitgliedern weiterhin ein Bewegungs- und Sportangebot zu unterbreiten.
Dabei lassen sich 3 Angebotstypen unterscheiden: das Livestreaming von digitalen Trainingsangeboten,
das digitale Zusenden von schriftlichen Trainingseinheiten sowie die Erstellung von
Videos, die zeitunabhängig von Mitgliedern angeschaut werden können.
Es hat Abteilungen gegeben, die z. B. ein Cybertraining anbieten. So wie z. B. die
Fußball-Abteilung. Da haben manche Mannschaften … Onlinemeetings, wo der Trainer …
Sport macht oder was vorgibt und alle Spieler machen das nach... z. B. Stabi-Programm
(IP15, Vertreter Mehrspartenverein).
Das einzige, was wir momentan anbieten, ist ein virtuelles Training für unsere Spieler
… die Spieler bekommen Übungen, Laufeinheiten, Krafteinheiten zugemailt, zugewhatsappt,
damit sie einen gewissen Fitnessgrad behalten (IP03, Vorstandsmitglied Handballsportverein).
Ich habe das in der Kindersportschule so gemacht, dass wir wöchentlich ein kleines
Video machen von den Übungsleitern. ... Das Video besteht immer aus einem turnerischen
Element und einem koordinativen Element… das stellen wir auf Facebook, es können alle
anschauen, …so ein Hometraining, wo es die Kinder dann zuhause ausprobieren können
(IP15, Vertreter Mehrspartenverein).
Vereinzelt wurde versucht, über die virtuellen Plattformen auch den Kontakt und Austausch
in den jeweiligen Gruppen zu erreichen. Dazu konnten Mitglieder Videos von sich selber
für andere hochladen. Gerade bei Kindern wurden darüber hinaus zusätzliche Anstrengungen
unternommen, um sie zur Nutzung der digitalen Formate zu motivieren.
Es gibt von der ersten Männermannschaft und ersten Damenmannschaft über Instagram
so ein paar witzige Videos, die sie reinstellen, damit man visuell in Kontakt bleibt
… posten, wie sie irgendwelche Übungen in einer witzigen Verkleidung ausführen (IP03,
Vorstandsmitglied Handballsportverein).
[Ein] paar Trainer von Jugendmannschaften [machen] immer so Challenges … die Kinder
müssen aufgezeichnet werden und [das Video] dem Trainer schicken, dann wird’s bewertet
mit Punkten, und dann … wird das ausgewertet und gibt’s kleine Überraschung…, dass
der Ansporn noch ansteigt (IP02, Vorstandsmitglied Mehrspartenverein).
Bei den Angeboten virtueller Trainings lässt sich kein eindeutiger Trend zwischen
Ein- und Mehrspartenvereinen erkennen. Von vielen Befragten wurde berichtet, dass
die digitalen Sportangebote in Eigeninitiative von einzelnen Übungsleiterinnen und
Übungsleitern erstellt und nicht systematisch vom Vorstand aus geplant und beauftragt
wurden.
[Bereitstellung virtueller Angebote] … waren Eigeninitiativen der Abteilungen, die
sich überlegt haben: „wie können wir an unsere Mitglieder ran?“ … da ist unser Verein
zu groß, zu vielfältig, dass [wir] das überblicken können vom Vorstand (IP14, Vorstandsmitglied
Mehrspartenverein).
In einzelnen Vereinen wurde der Zugang zu den digitalen Sportangeboten öffentlich
zugänglich gemacht, um damit das eigene Angebot auch bei Nicht-Vereinsmitgliedern
bekannt zu machen.
Der Link … steht bei uns auf der Homepage, da kann sich im Prinzip jeder anmelden.
Wir haben es … öffentlich [gemacht], da machen wir keinen Unterschied… Ist ja für
uns nicht mehr Aufwand … Ist auch eine Werbung sozusagen (IP11, Vorstandsmitglied
Skiclub).
Trotzdem wird von der Mehrheit der befragten Personen beschrieben, dass die digitalen
Bewegungs- und Sportangebote das persönliche Training nicht (dauerhaft) ersetzen könnten.
Dafür wurden unterschiedliche Gründe genannt, die in nachfolgender [Tab. 1] weiter ausgeführt werden.
Tab. 1 Begründungen, warum digitale Sportangebote das persönliche Training nicht (dauerhaft)
ersetzen können.
Begründung
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Beispielzitate
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Die Teilnehmenden würden insbesondere in Mannschaftssportarten den Kontakt mit anderen
mögen und bräuchten den Gemeinschaftsaspekt beim Sport.
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Die Menschen, die Handball spielen, haben 3 Grundeigenschaften. 1. Sie wollen einen
Ball. 2. Sie suchen Körperkontakt. 3. Sie suchen die Gemeinschaft. Und das ist [mit
Videos] alles nicht durchführbar. Natürlich schaut man sich jetzt auch mal Videos
an … aber der junge Mensch, der Handball spielt, braucht den Ball, den Kontakt und
die Gemeinschaft. Und das geht virtuell nicht. Auf Dauer, auf gar keinen Fall (IP03,
Vorstandsmitglied Handballsportverein).
Wenn man Mannschaftssportarten nimmt, [ist das] überhaupt nicht sinnvoll, das [digital]
zu machen, weil ich eben auf Mannschaftstraining angewiesen bin. … Da geht’s in den
meisten Fällen darum, dass die zusammenkommen wollen, miteinander sprechen … Also
dass da das Zusammensein eher wichtiger ist (IP14, Vorstandsmitglied Mehrspartenverein).
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Manche Sportarten ließen sich nur in spezifischen Sportstätten lernen und praktizieren,
oder nur in Gruppen, v. a. Kontakt- oder Mannschaftssport.
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Aber jetzt theoretisch schwimmen lernen oder zu schwimmen, das macht keinen Sinn (IP08,
Vorstandsmitglied Schwimmverein).
Das Spiel miteinander, auch die Zweikämpfe, auch gewisse Spielkombinationen, das kann
man so halt nicht trainieren. Da kann man individuell trainieren, Technik, Dribbelverhalten,
Koordination, Ausdauer, aber das Spiel an sich, das kann man halt auch nur gemeinsam
am Platz trainieren (IP07, Vertreter Mehrspartenverein).
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Manche Sportarten würden die persönliche Anleitung, direkte Kontrolle und Korrektur
vom Trainer benötigen.
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Im normalen Training [kann] ich …mich neben einem Einzelnen hinstellen und … zeigen,
was er besser machen kann. Ich kann den berühren, ich kann dem seine Hand führen,
seinen Fuß mal halten usw., und das kann ich online nicht (IP01, Vertreter Kampfsportverein).
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Insbesondere Kinder ließen sich im persönlichen Kontakt und Spiel besser an den Sport
heranführen.
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In der Kindersportschule ist es so, wir leben von dem Kontakt mit den Kindern. Dass
man den Kindern das vermittelt, dass man die in die Sportarten einführt … Das ist
auf jeden Fall nicht möglich in der Kindersportschule, dass man das online weitermacht
(IP15, Vertreter Mehrspartenverein).
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Bei manchen Vereinsmitgliedern könnte unzureichendes IT-Verständnis die Teilnahme
an digitalen Sportangeboten erschweren.
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In dem Präventions-Bereich [sind] viele Ältere, wo ich nicht glaube, dass uns die
alle digital folgen können. Dass das vielleicht der ein oder andere gut 70-jährige
schafft, hier über Skype … teilzunehmen, aber ich glaube, die Mehrheit von diesen
Teilnehmern wird wohl nicht in der Lage sein, das technisch mit hinzubringen (IP08,
Vorstandsmitglied Schwimmverein).
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Es könnten sich technische und datenschutzrechtliche Probleme ergeben.
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Mit WhatsApp ganz schwierig. WhatsApp ruckelt, WhatsApp nimmt viel Speicher in Anspruch
auf dem Handy (IP07, Vertreter Mehrspartenverein). Die …Möglichkeit wäre ja, einfach das normale Training zu streamen, aber da hat man
das Problem mit Datenschutz. Dass einige Mitglieder natürlich nicht wollen, dass sie
vielleicht beim Training online beobachtet werden usw. Deswegen glaube ich eher nicht,
dass ich das machen werde (IP01, Vertreter Kampfsportverein).
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Wenige Vereinsvertreter berichten, dass die Bereitstellung ihres Online-Angebots zukünftig
beibehalten und z.T. ausgebaut werden soll, um neue Mitglieder zu gewinnen, bzw. um
wettbewerbsfähig zu bleiben.
[Das digitale Angebot für die Zukunft beizubehalten], kann ich mir grundsätzlich vorstellen,
das müsste man aber besprechen … auch mit den Trainern, ob sie das aufrechterhalten
wollen…Ich würde sagen, dass wir über diese Online-Trainingsangebote neue Mitglieder
finden. … Das sehe ich auch als Werbung für uns (IP11, Vorstandsmitglied Skiclub).
Resonanz der Vereinsmitglieder auf das veränderte Sportangebot
Resonanz der Vereinsmitglieder auf das veränderte Sportangebot
Die Befragten berichten überwiegend positiv von der Nutzung der bereitgestellten digitalen
Formate, können aber das Ausmaß der Teilnahme an den Online-Kursangeboten insgesamt
nur schwer beurteilen. Bei den Live-Angeboten wird beobachtet, dass z. T. weniger,
z. T. aber auch mehr Personen trainieren als bei den Präsenzformaten. Dabei lässt
sich bezüglich der Gruppen, die laut der Befragten bevorzugt die digitalen Formate
nutzten, kein Muster oder kein einheitlicher Trend erkennen.
[Akzeptanz ist] relativ spärlich. Das Mitmachen ist ungefähr ein Drittel von den Leuten,
die sonst in einem normalen Training sind … Was man so hört: „Alles wird digital und
Generation Y“, die haben an den Trainings nicht teilgenommen, sondern das waren dann
eher ...die Älteren irgendwo zwischen 35, 40 (IP01, Vertreter Kampfsportverein).
[Nutzer der Online-Angebote] … das sind lustigerweise wesentlich mehr als die, die
normalerweise ins Hallentraining kommen zu uns. Da sind auch Teilnehmer aus befreundeten
anderen Vereinen dabei (IP11, Vorstandsmitglied Skiclub).
Wobei im regulären Hallentraining noch mehr Ältere dabei sind, da haben wir eine
spezielle Gruppe, wo eben der Altersdurchschnitt sehr hoch ist. (IP 11, Vorstandsmitglied
Skiverein)
Von [den] Videos würde ich sagen, dass wahrscheinlich rund die Hälfte der Mitglieder
diese Trainings gemacht hat, von den Kindern v. a. Bei den Erwachsenen viel weniger
(IP01, Vertreter Kampfsportverein).
Vereine entwickeln aufwendige und flexible Konzepte, um den Trainingsbetrieb schrittweise
wieder starten zu können
Die Erarbeitung von Konzepten zur Wiederaufnahme des Sportbetriebs erfordert einerseits
die Auseinandersetzung mit gesetzlichen Vorgaben, Empfehlungen von Fachverbänden und
dem Bayrischen Landes-Sportverband e.V. (BLSV), Dachorganisation des Vereinssports
in Bayern, sowie andererseits kreative Ideen, die ein kontaktfreies Training ermöglichen.
Es werden verschiedene Planungsszenarien und Sicherheitskonzepte erarbeitet. Erschwerend
kommt hinzu, dass sich die Vorgaben ständig ändern würden.
Ich hab jetzt schon einige Zeit verbracht mit Studieren von Vorschlägen von Fachverbänden,
vom BLSV, gesetzlichen Vorgaben, um irgendwie zu einem stimmigen Konzept zu kommen,
wie wir es umsetzen können, ohne gegen Hygiene oder sonstige Vorschriften zu verstoßen
(IP14, Vorstandsmitglied Mehrspartenverein).
Dass man ganz gezielt nur die Trainingsinhalte trainieren lässt, wo keine Nähe vorhanden
ist, also keine Zweikampfübungen, … nur das trainieren, wo wir keine Berührung mit
Haut, mit Spucken, Tröpfcheninfektion, …dass über die Distanz sichergestellt werden
kann, dass keine Übertragung stattfindet. Und da gibt es ganz, ganz viele Übungen,
die man machen kann. Von Ballkontrolle, Ballgefühl kann man in fünf Reihen parallel
nebeneinander ausführen lassen, ohne dass die Kinder nah bei einander sind. Wir haben
vier Fußballplätze, … die Kinder wären weit genug auseinander (IP07, Vertreter Mehrspartenverein).
Diskussion
Die Corona-bedingten Einschränkungen im Sportvereinsbetrieb haben gemäß der befragten
Personen nicht zu einem bedeutsamen Mitgliederrückgang geführt. Vielmehr würden die
Vereinsmitglieder die Sportvereine als wichtige gesellschaftliche Institution unterstützen
wollen. Außerdem wurden laut den Interviews umfangreiche Aktivitäten entwickelt, um
den Mitgliedern dennoch ein geregeltes Sportangebot (z. B. in digitaler Form) zu unterbreiten
sowie Kontakt und Austausch zwischen den Mitgliedern zu fördern. In welchem Umfang
und in welcher Form alternative Angebote entwickelt wurden, hing dabei in erster Linie
von der Eigeninitiative einzelner Übungsleiterinnen und Übungsleiter ab. Die Nutzung
von digitalen Angeboten durch die Mitglieder scheint sich von der Nutzung der realen
Kurse zu unterscheiden. Aus den Interview-Antworten lässt sich schließen, dass damit
verschiedene Zielgruppen unterschiedlich gut erreicht wurden. Es hat sich hier aber
kein einheitliches Muster bei den befragten Vereinen gezeigt. Während vereinzelt Vereinsvertreter
planen, digitale Angebote v. a. zur Mitgliederwerbung auch langfristig fortzuführen,
sehen die meisten Befragten das längerfristige Potential skeptisch. Insbesondere der
Gemeinschaftsaspekt und der körperliche Kontakt, z. B. bei Mannschaftssportarten und
bei der Anleitung durch die Übungsleiterinnen und Überleiter, wären essentielle Elemente
des Sports, die im digitalen Format fehlen würden. Schließlich wurden erhebliche Anstrengungen
berichtet, um der Dynamik der Pandemie Rechnung zu tragen und die Bewegungsangebote
schrittweise den sich ändernden Distanz- und Schutzgeboten anzupassen.
Vergleich mit anderen Studien
Bisherige Publikationen zum Thema befassen sich in erster Linie damit, wie auch unter
Pandemiebedingungen (professionelle) Sportwettkämpfe und -veranstaltungen wieder durchgeführt
werden können (vgl. z. B. [17]
[18] . Nach unserer besten Kenntnis wurden die Auswirkungen der Eindämmungsmaßnahmen
auf Anbieter im Breitensport und damit auf Public Health bislang weltweit noch nicht
untersucht.
Stärken und Limitationen
Es handelt sich um die erste Studie, in der die COVID-19-bedingten Konsequenzen für
Sportvereine erfasst wurden. Die Ergebnisse dieser explorativen Studie in einer Stichprobe
von 15 Sportvereinen können nicht als repräsentativ für die Gesamtheit der Sportvereine
gewertet werden. Das ist jedoch auch nicht der Anspruch qualitativer Datenerhebungen.
Vielmehr geht es darum, das Spektrum möglicher Veränderungen und sozialer Prozesse
auszuloten und Zusammenhänge zu verstehen. Durch die bewusste Einbeziehung verschiedener
Sportvereinsarten, insbesondere von Ein- und Mehrspartenvereinen mit verschiedenen
Sportarten, wurden unterschiedliche mögliche Einflussfaktoren berücksichtigt. Es handelt
sich allerdings um eine Studie in einem Bundesland (Bayern); die Veränderungen können
in anderen Bundesländern unterschiedlich ausfallen. Es zeigte sich zudem, dass die
Nutzung der digitalen Angebote durch Vereinsmitglieder von den Befragten oft nur geschätzt
werden konnte, da die Nutzungshäufigkeit nicht regelhaft erfasst wurde; diese Daten
wären durch Mitgliederbefragungen besser zu erfassen. Dennoch erscheint es wichtig,
die Eindrücke der Befragten zu erfassen, da sie für deren Bewertung (und ggf. Fortführung)
digitaler Angebote wichtig sind.
Implikationen für Politik und Praxis
Die Ergebnisse zeigen, dass Sportvereine für viele Mitglieder eine Institution darstellen,
mit der sie sich identifizieren und die sie auch dann unterstützen, wenn es vorübergehend
zu Angebotseinschränkungen kommt. Die Vereine haben darüber hinaus schnell und flexibel
auf die neuen Vorgaben reagiert und sich bemüht, den Mitgliedern alternative (digitale)
Bewegungs- und Sportangebote zu unterbreiten. Diese Befunde unterstreichen die Bedeutung
von Sportvereinen für den Breitensport und auch für die bevölkerungsbezogene Bewegungsförderung
während der COVID-19 Pandemie. Studien deuten darauf hin, dass es während des Lockdowns
zu einem Rückgang der körperlichen Aktivität bei vielen Menschen kam (vgl. z. B. [19]
[20]
[21]), wenngleich die Ergebnisse nicht eindeutig sind [22]. Aus den Interviews wurde darüber hinaus deutlich, dass Sportvereine von den Mitgliedern
insbesondere auch als soziale und gemeinschaftsfördernde Institution geschätzt werden.
Dementsprechend ist es bis zum Zeitpunkt der Interviews auch kaum zu Kündigungen oder
Beitragsrückforderungen gekommen. Naturgemäß konnte der Wunsch nach Kontakt und Gemeinschaft
bei bestehenden sozialen Distanzmaßnahmen nicht vollumfänglich erfüllt werden. Doch
die Verantwortlichen haben kreative Wege gefunden, über interaktive und spielerisch-kompetitive
Elemente die Bindung und das Gemeinschaftsgefühl aufrechtzuerhalten. Die Vereine können
damit auch einen Beitrag zur psychosozialen Gesundheitsförderung leisten und negativen
Entwicklungen, wie sie während der Corona-bedingten Einschränkungen aufgetreten sind
[23], vorbeugen. Der Stellenwert der Vereine als wichtiger Kooperationspartner für lokale
Gesundheitsförderungsmaßnahmen bleibt damit – gerade auch unter den Rahmenbedingungen
einer Pandemie – ungebrochen hoch.
Trotz der grundsätzlich positiven Erfahrungen zeigte sich die Mehrheit der Befragten
skeptisch, was das Potenzial digitaler Angebote für das zukünftige Vereinsprogramm
betrifft. Hierzu erscheint zusätzliche Forschung notwendig, da aus den Interviews
auch deutlich wurde, dass durch die digitalen Angebote teilweise andere bzw. neue
Zielgruppen angesprochen wurden. Darüber hinaus lehnten viele ältere Personen aufgrund
eines Infektionsrisikos die Teilnahmen an realen Kursen ab [24]. Möglicherweise bietet die Kombination von digitalen mit realen Angeboten die Möglichkeit,
verschiedene Bevölkerungsgruppen anzusprechen und somit soziale Ungleichheiten beim
Zugang zu Bewegungs- und Gesundheitsförderung zu reduzieren [25]
[26]. Zukünftige Studien sollten daher stärker die Nutzung und Akzeptanz digitaler Sportangebote
unter Vereinsmitgliedern erfassen. Des Weiteren sollten Wissensaustauschprozesse [27] zwischen den Vereinen untereinander sowie mit Public-Health-Experten und Expertinnen
zu besonders erfolgreichen digitalen Formaten und/oder Trainingskonzepten initiiert
werden, um den Vereinen eine effizientere Umsetzung digitaler Angebote zu ermöglichen.
Schließlich sollte in zukünftigen Studien untersucht werden, in welcher Form das Infektionsrisiko
und die Auswirkungen einer Covid-19 Infektion im Vereinssport (Quarantäne-Anordnung)
die Teilnahmebereitschaft und Wiederaufnahme von Bewegungs- und Sportangeboten in
Präsenzform beeinflussen.