Klin Monbl Augenheilkd 2022; 239(12): 1483-1488
DOI: 10.1055/a-1699-2679
Klinische Studie

Einfluss von biometrischen Daten auf die Planung der Augenmuskeloperation

Article in several languages: deutsch | English
1   Ophthalmology, Vienna Institute for Research in Ocular Surgery (VIROS), Hanusch-Krankenhaus, Wien, Österreich
2   Department of Ophthalmology and Optometry, Kepler University Hospital GmbH, Johannes Kepler University Linz, Österreich
,
Katharina Malek
1   Ophthalmology, Vienna Institute for Research in Ocular Surgery (VIROS), Hanusch-Krankenhaus, Wien, Österreich
,
Thomas Kaltofen
3   Research Institute für Symbolic Computation – Software GmbH, Hagenberg, Österreich
,
Siegfried Priglinger
4   Institut Integriert Studieren, Johannes Kepler University Linz, Österreich
,
Siegmund Priglinger
4   Institut Integriert Studieren, Johannes Kepler University Linz, Österreich
,
Annette Harrer
1   Ophthalmology, Vienna Institute for Research in Ocular Surgery (VIROS), Hanusch-Krankenhaus, Wien, Österreich
,
Oliver Findl
1   Ophthalmology, Vienna Institute for Research in Ocular Surgery (VIROS), Hanusch-Krankenhaus, Wien, Österreich
,
Gerhard Partik
1   Ophthalmology, Vienna Institute for Research in Ocular Surgery (VIROS), Hanusch-Krankenhaus, Wien, Österreich
› Author Affiliations
 

Zusammenfassung

Hintergrund Evaluierung des Einflusses von biometrischen Daten (Augenlänge, Vorderkammertiefe) auf die Planung der Augenmuskeloperation mithilfe einer Simulationssoftware und „Partial-least-Squares-Regression“.

Material und Methoden In diese retrospektive Studie wurden Patienten/-innen eingeschlossen, bei denen auf einem Auge eine Augenmuskeloperation an einem oder beiden horizontalen Augenmuskeln stattgefunden hatte. Zusätzlich wurde eine optische Biometrie durchgeführt und der Schielwinkel in der Ferne vor und nach der Augenmuskeloperation gemessen. Im nächsten Schritt wurde die Operation mittels Simulationsprogramm (See++, RISC, Österreich) mit und ohne axiale Augenlänge simuliert und mit der tatsächlichen OP-Strecke verglichen. Im letzten Schritt wurde dann der Einfluss verschiedener anatomischer Parameter des operierten Auges auf den postoperativen Schielwinkel untersucht. Dafür wurde zuerst eine Partial-least-Squares-Regression (variable importance of projection, VIP) und danach ein Boot-Strapping-Verfahren verwendet.

Ergebnisse Insgesamt wurden 97 Patienten/-innen in die Studie eingeschlossen, und 92 Datensätze konnten analysiert werden. In allen Fällen wurde der Schielwinkel um mindestens 25% reduziert und in 60% konnte eine Reduktion von mindestens 75% erreicht werden. Die Berücksichtigung der Augenlänge verbesserte die Simulation geringfügig (0,3 mm Änderung der Operationsstrecke, Standardabweichung: 1,65 mm). Ein relevanter Einfluss konnte für die Faktoren präoperativer Schielwinkel (VIP: 1,8), gefolgt von Vorderkammertiefe (VIP: 1,0) und Alter (VIP: 0,9) gezeigt werden. Signifikant höher war er, verglichen zu einzelnen Parametern, bei der Ratio Vorderkammertiefe/Augenlänge.

Schlussfolgerung Das verwendete Simulationsmodell konnte zeigen, dass die Verwendung der axialen Augenlänge zu einer geringen Verbesserung der Planung der Augenmuskeloperation führt. Einen größeren Einfluss hatte allerdings die Berücksichtigung der Ratio Vorderkammertiefe/Augenlänge.


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Hintergrund

Bei der Augenmuskeloperation horizontaler Augenmuskeln, ob eines Muskels oder kombiniert, wird grundsätzlich ein präoperativ bestehender Schielwinkel durch die Augenmuskeloperation („Modifikation der Augenmuskeln“) soweit korrigiert, dass möglichst die Orthoposition erreicht wird. Die Summe der Drehmomente von Agonisten und Antagonisten (z. B. M. rectus medialis, M. rectus lateralis) heben sich auf. Die Blickbewegungen sind dann innerhalb der bestehenden Rollstrecken konkomitant [1], [2]. Das verwendete See++-Augenmodell (Seekid-Software: RISC Software GmbH, Hagenberg, Österreich) ist ein biomechanisches Augenmodell, das zu einem grundlegenden Verständnis der biologischen Strukturen führen, eine mechanische Analyse und das Verständnis von Augenbewegungen ermöglichen soll [3].

Eine Variable, die bei allen Berechnungsmodellen wie „Orbit“ und „See++“ Verwendung findet, ist der präoperative Schielwinkel. In den meisten Fällen wird ein fixes Verhältnis von präoperativem Schielwinkel und benötigter OP-Strecke angenommen (Dosis-Wirkungs-Beziehung) [4], [5].

Viele erfahrene Chirurgen/-innen ergänzen diese linearen Vorhersagemodelle empirisch. Diese eigenen Erfahrungen, wie z. B. Einschätzung der Elastizität des Gewebes (z. B. bei Re-Operationen), Augenlänge [6], [7], [8] und andere Faktoren, können im biomechanischen Augenmodell Seekid abgebildet, variabel verändert und getestet werden.

Ziel unserer Studie war es, den präoperativ gemessenen Schielwinkel (Pathologie) und biometrische Daten des Auges zu simulieren und anschließend die Augenmuskeloperation (Summe von Rücklagerung und Faltung bzw. Resektion [in mm]) ebenfalls nachzubilden und mit den klinischen Ergebnissen zu vergleichen.


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Methoden

Bei dieser retrospektiven Studie wurden Patienten/-innen eingeschlossen, bei denen auf einem Auge eine Augenmuskeloperation an einem oder beiden horizontalen Augenmuskeln stattgefunden hatte. Einschlusskriterien waren das Vorhandensein einer präoperativen optischen Biometrie (IOLMaster500, Carl Zeiss Meditec AG, Deutschland) und der prä- und postoperative (8 Wochen) Schielwinkel in der Ferne. Ausschlusskriterien waren eine Operation beider Augen, eine Operation von anderen Augenmuskeln außer den horizontalen und eine vorangegangene Augenmuskeloperation. Da diese Studie retrospektiv durchgeführt wurde, wurde die Planung der Operation nach dem „surgeonʼs-choice“-Prinzip durchgeführt. Dafür wurde als Ausgangspunkt die folgende fixe Dosis-Wirkungs-Beziehung verwendet: 1 mm Rücklagerung reduziert den Schielwinkel um 2°, 1 mm Faltung reduziert den Schielwinkel um 3°. Allerdings stand es dem Chirurgen frei, aufgrund seiner Erfahrung und der bekannten Augenlänge die Dosis anzupassen.

Alle Simulationen wurden retrospektiv durchgeführt. Der Schielwinkel wurde sowohl vor als auch nach der Operation mit dem wechselseitigen oder einseitigen Prismen-Cover-Test durchgeführt, je nachdem, ob ein manifestes oder latentes Schielen vorlag.

Alle Daten wurden anonymisiert in ein Excel File (Microsoft for Mac, Version 16.43, Microsoft, USA+Xlstat-plug-in) übertragen und die optischen Biometriedaten wurden als Batch-Export/Import hinzugefügt. Im nächsten Schritt wurden alle Daten in das Seekid-Programm eingespielt.

Für die Auswertung wurde immer die gesamte OP-Strecke verwendet, um auch den Effekt von 2 operierten Augenmuskeln darstellen zu können. Es wurde immer im 1. Schritt die Pathologie und dann die Augenmuskeloperation simuliert:

  1. Simulation der laut Seekid optimalen OP-Strecke ohne Kenntnis des postoperativen Schielwinkels (T. K.)

    • Ohne Berücksichtigung der Augenlänge (bzw. des zugeordneten Muskelradius). Dabei wird ein Standardwert für den axialen Bulbusradius von 11,994 mm verwendet.

    • mit Berücksichtigung der Augenlänge

  2. Simulation der tatsächlichen OP-Strecke

    • „surgeons choice“ – feste Dosis-Wirkungs-Beziehung mit empirischen Werten (G. P.)

  3. Optimierung der Vorhersage mittels Partial-least-Squares-Regression

Seekid (See++-Software)

Diese Software wurde in Linz entwickelt (RISC Software GmbH, Hagenberg, Österreich) und erlaubt eine computergestützte Planung der Augenmuskeloperation durch die digitale Adaptation von konventionellen Ophthalmotropen nach Ruete, Donder oder Wundt. Die Software zeigt ein biomechanisches 3-D-Modell des Auges, das durch die Simulation von OP-Strecken beeinflusst werden kann und wurde bereits evaluiert [9]. Seekid [2] erlaubt durch Eingabe des axialen Augendurchmessers, auch die Muskelradien anzupassen (der M. rectus medialis hat einen um ca. 1,093 mm größeren Muskelradius bezogen auf die Augenlänge und der M.-rectus-lateralis-Muskelradius entspricht etwa der axialen Augenlänge).


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Statistik

Für die deskriptive Analyse wurde der Mittelwert und die Standardabweichung angegeben. Die Vorhersagemodelle basieren auf Partial-least-Squares-Regression, da diese Form der Regression Problemen, wie dem Overfitting und Interaktionen zwischen Variablen, besser vorbeugen kann und auch nichtlineare Rückschlüsse zulässt. Die Validierung der Regression wurde dann mittels Boot-Strapping-Methode durchgeführt. Beide Verfahren wurden andernorts im Detail beschrieben [10], [11]. Für die Vorhersagepower des Regressionsmodells wird die „variable importance for projection“ (VIP) angegeben. Ein Wert über 0,8 durchschnittliche Abweichung deutet auf eine hohe Vorhersagepower hin.


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Ergebnisse

Präoperativer Schielwinkel

Von 97 primär eingeschlossenen Patienten mussten 5 exkludiert werden, da der präoperative Schielwinkel zu groß war und eine Simulation mit Seekid nur bis 30° möglich ist. Die folgenden Daten beziehen sich auf die verbleibenden 92 Patienten/-innen. Das Durchschnittsalter betrug 30,2 Jahre (6 – 78 Jahre) und 41 Personen waren weiblich (44,6%), 51 männlich (55,4%). Bei 38 Patienten/-innen wurde das rechte Auge operiert und bei 54 Patienten/-innen das linke Auge. Die durchschnittliche Augenlänge des operierten Auges war 23,40 mm (SD: 1,50), [Tab. 1].

Tab. 1 Deskriptive Daten der Patientenkohorte.

Mittelwert (Standardabweichung)

Minimum–Maximum

Augenlänge (mm)

23,40 (1,49)

20,65 – 29,34

Vorderkammertiefe (mm)

3,41 (0,44)

2,07 – 4,48

Hornhautradien (mm)

7,72 (0,30)

7,00 – 8,57

Weiß-zu-Weiß (mm)

12,14 (0,44)

10,85 – 13,48

Der präoperative Schielwinkel war in 41 Fällen (44,6%) konvergent und in 51 Fällen (55,4%) divergent. Zwischen primärem Strabismus oder dekompensierter Heterophorie wurde in dieser Studie nicht unterschieden.

Alle Operationen wurden vom selben erfahrenen Schielchirurgen (G. P.) durchgeführt. [Tab. 2] zeigt die Häufigkeiten der durchgeführten Operationen. In den meisten Fällen wurde eine kombinierte Operation von Rücklagerung und Faltung durchgeführt (n = 78; 84,8%).

Tab. 2 Anzahl an Rücklagerungen und Faltungen und kombinierter OPs mit operierten Muskeln.

Rücklagerung

Faltung

kombinierte OP

M. rectus lateralis

1

2

78

M. rectus medialis

8

3


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Postoperativer Schielwinkel und Prädiktionsmodelle

Die durchschnittliche Reduktion des Schielwinkels betrug 21,0 Prismendioptrien (PD) mit einer Standardabweichung von 8,5 PD. Dies entspricht einer Reduktion von 76,0% (Standardabweichung: 17,4%). In keinem Fall war die Reduktion weniger als 25%, und in knapp 60% der Fälle konnte eine Reduktion von mindestens 75% erreicht werden ([Abb. 1]). In einem Fall wurde eine Überkorrektur von über 10 PD aufgezeichnet und in 3 Fällen eine Überkorrektur von unter 10 PD. Zwischen konvergentem und divergentem Schielwinkel lag kein signifikanter Unterschied bez. des OP-Erfolges vor (p = 0,31).

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Abb. 1 Reduktion des Schielwinkels durch die Augenmuskeloperation in %.

Eine Korrelation zwischen postoperativem Schielwinkel und der Augenlänge war gering (r2 = 0,002). Die Korrelation zwischen postoperativem Schielwinkel und der Vorderkammertiefe war zwar 5-mal so hoch, aber dennoch gering (r2 = 0,010).

Die verschiedenen Modelle zeigten bezogen auf die OP-Strecke keine signifikanten Unterschiede. Zwischen der tatsächlichen OP-Strecke und der simulierten OP-Strecke ohne Berücksichtigung der Augenlänge zeigte sich eine durchschnittliche Abweichung von insgesamt 0,30 mm (SD: 1,65). Diese durchschnittliche Abweichung wurde auf unter die Hälfte reduziert (0,14 mm, SD: 1,71), wenn die Augenlänge im Modell berücksichtigt wurde ([Abb. 2]). Eine ähnliche durchschnittliche Abweichung wurde auch beim Vergleich der beiden simulierten OP-Strecken (mit vs. ohne Augenlänge) gefunden (0,16 mm, SD: 0,56). Der Einfluss der Augenlänge bei der Planung war bei konvergentem Strabismus 1,6-mal größer als bei divergentem Strabismus.

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Abb. 2 Vergleich echte OP-Strecke (x-Achse) und simulierte OP-Strecke (y-Achse) in mm. Kreise = ohne Berücksichtigung der Augenlänge, Dreiecke = mit Berücksichtigung der Augenlänge.

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Regressionsmodell

In einem ersten Modell wurden die folgenden erklärenden Variablen inkludiert: präoperativer Schielwinkel (SW) in der Ferne (°), Augenlänge (AL, mm) inkl. ACD, Vorderkammertiefe (ACD, mm), Weiß-zu-Weiß-Distanz (mm) und mittlerer Hornhautradius (mm). Ein relevanter Einfluss konnte für die Faktoren präoperativer Schielwinkel (variable importance of projection; VIP: 1,8), gefolgt von ACD (VIP: 1,0) und Alter (VIP: 0,9) gezeigt werden ([Abb. 3]). Bei allen 3 Faktoren zeigte das Boot-Strapping-Modell eine Signifikanz. Obwohl die Augenlänge keinen signifikanten Einfluss zeigte (VIP: 0,6), wurde sie im Folgemodell inkludiert. Das resultierende Modell zeigte eine gute Vorhersage des postoperativen Schielwinkels, allerdings war auch hier der Faktor Augenlänge nicht signifikant:

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Abb. 3 Partial-least-Squares-Regressionsmodell (PLSR, links) und Boot Strapping (rechts) zur Vorhersage des postoperativen Schielwinkels. Beim PLSR-Modell ist ein VIP von mindestens 0,8 als relevant einzustufen. Den größten Einfluss hatte der präoperative Schielwinkel gefolgt von der Vorderkammertiefe. acd_op = Vorderkammertiefe präoperativ in mm; al_op = Augenlänge präoperativ in mm; präOP_angle_grad_abs = präoperativer Schielwinkel in der Ferne in Grad; r_mean = mittlerer Hornhautradius in mm; wtw_op = Weiß-zu-Weiß-Abstand präoperativ in mm

SWpostOP = − 7,0 + 0,4*SWpräOP − 2,4*ACD + 0,6*Alter + 0,5*AL

Bei der Analyse zeigte sich ein synergistischer Effekt zwischen der Augenlänge und der Vorderkammertiefe. Bei der Simulation verschiedener Effekte konnte gezeigt werden, dass die Ratio ACD/AL mit einer deutlich besseren Vorhersage des postoperativen Schielwinkels einhergeht, als ACD oder AL allein ([Abb. 4 a] und [4 b]).

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Abb. 4a Partial-least-Squares-Regressionsmodell zur Vorhersage des postoperativen Schielwinkels inkl. der Vorderkammertiefe-Augenlängen-Ratio (ACD/AL). Den größten Einfluss hatte der präoperative Schielwinkel gefolgt von der Vorderkammertiefe-Augenlängen-Ratio. In diesem Modell zeigt sich auch, dass die Ratio einen größeren Effekt hat als die Vorderkammer allein. acd_op = Vorderkammertiefe präoperativ in mm; al_op = Augenlänge präoperativ in mm; präOP_angle_grad… = präoperativer Schielwinkel in der Ferne in Grad; ratio_ACD/AL = Ratio Vorderkammertiefe/Augenlänge in mm. b Korrelation tatsächlicher postoperativer Schielwinkel (y-Achse) und mit Partial-least-Squares-Regressionsmodell simulierter Schielwinkel inkl. Berücksichtigung der Ratio Vorderkammertiefe/Augenlänge (x-Achse). Die gebogenen Linien repräsentieren das 95%-Konfidenzintervall.

SWpostOP = 7,9 + 0,05*Alter + 0,33*SWpräOP − 70,6*ACD/AL


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Diskussion

Diese Studie zeigt, dass die Berücksichtigung biometrischer Daten bei der Planung einer Augenmuskeloperation die Vorhersage des postoperativen Schielwinkels signifikant verbessern kann. Zusätzlich scheint die Augenlänge zwar ein relevanter, nicht aber der optimale Parameter zu sein, um eine solche Optimierung durchzuführen, und es scheint, dass die Ratio Vorderkammertiefe/Augenlänge besser geeignet ist. Warum die Nutzung der Ratio Vorderkammertiefe/Augenlänge relevant ist, kann dieses Manuskript nicht beantworten. Eine Vermutung ist, dass diese Ratio eine genauere Beschreibung des Bulbusdurchmessers (bzw. deren Differenz) nasal zu temporal ermöglicht.

Die Berücksichtigung der Augenlänge wurde bereits in anderen Studien untersucht [6], [7]. So konnten Beisse et al. [7] in einer randomisierten Studie zeigen, dass vor allem hyperope Patienten mit einer Refraktion von mindestens + 2,0 dpt von dieser Korrektur profitieren. In dieser Studie haben Patienten mit konvergentem Schielwinkel von der Berücksichtigung der Augenlänge mehr profitiert als Patienten mit divergentem Schielwinkel. Ähnliche Ergebnisse zeigten Kushner et al. [12]. In derselben Studie wurde eine inverse Korrelation zwischen Augenlänge und Berechnung des postoperativen Schielwinkels gefunden, allerdings war diese Korrelation vor allem bei divergenten Strabismen geringer als für konvergente Strabismen. Dies wurde auch in einer Arbeit von Broniarczyk-Loba et al. [13] bestätigt. In dieser Studie wurde eine hohe Korrelation zwischen Augenlänge und postoperativem Schielwinkel für konvergente Strabismen gefunden, nicht aber für divergente Strabismen. Auch Gräf et al. [8] haben eine hohe Korrelation für konvergente, nicht aber für divergente Strabismen gefunden und die Empfehlung ausgesprochen, dass die Bulbuslänge zumindest dann berücksichtigt werden sollte, wenn die Gesamt-OP-Strecke 10,0 mm oder mehr beträgt.

Keinen relevanten Einfluss der Augenlänge auf den (berechneten) postoperativen Schielwinkel fanden Kushner et al. [14], womit die Autoren einer eigenen älteren Studie widersprechen. Obwohl in dieser Studie eine Korrelation des Effektes der Operation und der Augenlänge bestätigt wurde (je kürzer das Auge, umso größer der Effekt), so konnte kein Modell erstellt werden, bei dem die Berücksichtigung der Augenlänge tatsächlich eine bessere Berechnung der OP-Strecke ermöglichte.

Generell ist für die Augenmuskeloperation der Bulbusdurchmesser (in Frontalebene) relevanter als die axiale Augenlänge. So wird auch bei der in dieser Studie verwendeten Software (See++) der Bulbusdurchmesser (resultierend aus einer linearen Funktion der Augenlänge) eingegeben. Kim et al. konnten allerdings zeigen, dass der Bulbusdurchmesser nicht allein von der Augenlänge abgeleitet werden kann und es wird die folgende Berechnung vorgeschlagen: BD = AL * π/4 – Hornhautdurchmesser/2 [15].

Auch dieses Berechnungsmodell stößt allerdings an seine Grenzen, da nur ein geringer Zusammenhang zwischen Hornhautdurchmesser und Bulbusdurchmesser zu bestehen scheint [16].


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Zusammenfassung

Unseres Wissens ist dies die erste Studie, die zeigt, dass andere biometrische Faktoren außer der Augenlänge für die Berechnung der OP-Strecke relevant sind. Im See++-Augenmodell [2] sind biometrische Daten inkludiert und können bei der Simulation variabel genutzt werden. Entsprechend diesen Eingaben werden die jeweiligen Muskelradien, Pulley-Parameter etc. bei Eingabe des axialen Bulbusradius mitjustiert. Eventuell könnte Seekid in Zukunft um den Faktor Ratio Vorderkammertiefe/Augenlänge erweitert werden, wie es der „Operationsgenerator“ der Software ermöglicht. Zusätzlich konnte gezeigt werden, dass nichtlineare Regressionsverfahren hilfreich sind, um die optimale OP-Strecke vorherzusagen und dass dafür eine digitale Ophthalmotropen-Software notwendig ist. Die relevanten Komponenten dazu müssen allerdings auch von einem erfahrenen Strabologen selektiert werden. So wurde in dieser Studie auch deutlich, dass nur die empirische Optimierung eines erfahrenen Chirurgen zu ähnlich guten Ergebnissen führt. Limitierung dieser Studie war die Exklusion sehr hoher Schielwinkel. Erfahrene Schielchirurgen scheinen den Effekt der Augenlänge oft empirisch gut in die Dosierung der OP-Gesamtstrecke einfließen lassen [5], [8] und kommen so zu einem ähnlichen Ergebnis wie eine Berechnungssoftware.


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Interessenkonflikt/Conflict of Interest

Herr Kaltofen, Prof. Priglinger und Dr. Priglinger waren/sind bei der Entwicklung des See++-Simulationsprogramms involviert. Prof. Findl und Priv.-Doz. Hirnschall haben keine relevanten Interessenkonflikte diese Arbeit betreffend, sind allerdings an anderen Projekten beteiligt. Dr. Harrer und Dr. Partik und Frau Malek, B. Sc., haben kein finanzielles Interesse zu deklarieren./Mr. Kaltofen, Professor Priglinger and Dr. Priglinger were/are currently involved in developing the See++ simulation program. Professor Findl and PD Hirnschall have no conflicts of interest relevant to this study, although they are also involved in other projects. Dr. Harrer, Dr. Partik, and Ms. Malek, BSc have no financial interests to declare.

  • Literatur/References

  • 1 Kaufmann H, Steffen H. Strabismus. 4. Aufl.. Stuttgart, New York: Thieme; 2012
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Korrespondenzadresse/Correspondence

Dr. Gerhard Partik
Ophthalmology
Vienna Institute for Research in Ocular Surgery
Heinrich-Collin-Straße 30
1140 Wien
Österreich   
Phone: + 43 1 91 02 18 46 11   
Fax: + 43 1 91 02 18 46 19   

Publication History

Received: 12 May 2021

Accepted: 15 November 2021

Article published online:
23 March 2022

© 2022. Thieme. All rights reserved.

Georg Thieme Verlag KG
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany

  • Literatur/References

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Abb. 1 Reduktion des Schielwinkels durch die Augenmuskeloperation in %.
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Abb. 2 Vergleich echte OP-Strecke (x-Achse) und simulierte OP-Strecke (y-Achse) in mm. Kreise = ohne Berücksichtigung der Augenlänge, Dreiecke = mit Berücksichtigung der Augenlänge.
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Abb. 3 Partial-least-Squares-Regressionsmodell (PLSR, links) und Boot Strapping (rechts) zur Vorhersage des postoperativen Schielwinkels. Beim PLSR-Modell ist ein VIP von mindestens 0,8 als relevant einzustufen. Den größten Einfluss hatte der präoperative Schielwinkel gefolgt von der Vorderkammertiefe. acd_op = Vorderkammertiefe präoperativ in mm; al_op = Augenlänge präoperativ in mm; präOP_angle_grad_abs = präoperativer Schielwinkel in der Ferne in Grad; r_mean = mittlerer Hornhautradius in mm; wtw_op = Weiß-zu-Weiß-Abstand präoperativ in mm
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Abb. 4a Partial-least-Squares-Regressionsmodell zur Vorhersage des postoperativen Schielwinkels inkl. der Vorderkammertiefe-Augenlängen-Ratio (ACD/AL). Den größten Einfluss hatte der präoperative Schielwinkel gefolgt von der Vorderkammertiefe-Augenlängen-Ratio. In diesem Modell zeigt sich auch, dass die Ratio einen größeren Effekt hat als die Vorderkammer allein. acd_op = Vorderkammertiefe präoperativ in mm; al_op = Augenlänge präoperativ in mm; präOP_angle_grad… = präoperativer Schielwinkel in der Ferne in Grad; ratio_ACD/AL = Ratio Vorderkammertiefe/Augenlänge in mm. b Korrelation tatsächlicher postoperativer Schielwinkel (y-Achse) und mit Partial-least-Squares-Regressionsmodell simulierter Schielwinkel inkl. Berücksichtigung der Ratio Vorderkammertiefe/Augenlänge (x-Achse). Die gebogenen Linien repräsentieren das 95%-Konfidenzintervall.
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Fig. 1 Angle of deviation reduction due to strabismus surgery in %.
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Fig. 2 Comparison between actual incision length (x-axis) and simulated incision length (y-axis) in mm. Circle = eye length not taken into account, triangle = eye length taken into account.
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Fig. 3 Partial least squares regression model (PLSR, left) and bootstrapping (right) used to predict the postoperative angle of deviation. Under the PLSR model, a VIP of at least 0.8 is classed as relevant. The factor that had the largest influence was the preoperative angle of deviation, followed by anterior chamber depth. acd_op = preoperative anterior chamber depth in mm; el_op = preoperative eye length in mm; preOP_angle_grad_abs = preoperative angle of deviation measured at distance in degrees; r_mean = mean corneal radius in mm; wtw_op = preoperative white-to-white distance in mm.
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Fig. 4a Partial least squares regression model used to predict the postoperative angle of deviation, including the anterior chamber depth/eye length ratio (ACD/EL). The factor with the greatest influence was the preoperative angle of deviation, followed by the anterior chamber depth/eye length ratio. This model shows that the ratio has a greater effect than anterior chamber depth on its own. acd_op = preoperative anterior chamber depth in mm; al_op = preoperative eye length in mm; preOP_angle_grad… = preoperative angle of deviation measured at distance; ratio_ACD/EL = anterior chamber depth/eye length ratio in mm. b Correlation between actual postoperative angle of deviation (y-axis) and the angle of deviation simulated using the partial least squares regression model, taking into account the anterior chamber depth/eye length ratio (x-axis). The curved lines represent the 95% confidence interval.