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DOI: 10.1055/a-2571-3357
Update der WHO-Leitlinie zur Diagnostik, medikamentösen Prophylaxe und Behandlung von Influenza
WHO clinical practice guidelines for influenza: an updateZusammenfassung
Hintergrund
An der akuten Atemwegsinfektion Influenza erkranken jährlich über eine Milliarde Menschen weltweit. Die Erkrankung wird von Mensch zu Mensch über die Luft, kontaminierte Hände oder Gegenstände übertragen. Zur Behandlung von Patient*innen sowie zur Prophylaxe exponierter Personen stehen antivirale und immunmodulatorische Medikamente zur Verfügung, zur Diagnose der Influenza reverse Transkriptions-Polymerase-Kettenreaktion (RT-PCR), Nukleinsäure-Amplifikationstests (NAATs) und Schnelltests. Ziel. Das Ziel dieser Leitlinie der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist es, Empfehlungen zur Diagnostik und medikamentösen Behandlung beziehungsweise Prophylaxe von Influenza zur Verfügung zu stellen.
Methode
Das Update dieser Leitlinie wurde nach den Standards für vertrauenswürdige Leitlinien durchgeführt. Die Empfehlungen basieren auf systematischen Übersichtsarbeiten zur Sicherheit und Wirksamkeit dieser Behandlungen. Berücksichtigt wurden das Ausmaß von Nutzen und Schaden von Behandlungen, die Vertrauenswürdigkeit der Evidenz, sowie die Bedürfnisse von Gesundheitsfachleuten und Patient*innen.
Ergebnisse
Bei nicht schwer verlaufender Influenza gibt es eine bedingte Empfehlung für den Einsatz von Baloxavir, wenn das Risiko für einen schweren weiteren Krankheitsverlauf hoch ist. Bei einem entsprechend geringen Risiko sind antivirale Medikamente nicht empfohlen. Eine starke Empfehlung gibt es auch gegen den Einsatz von Antibiotika, wenn eine bakterielle Co-Infektion unwahrscheinlich ist. Bei schwerer Influenza wird Oseltamivir bedingt empfohlen. Nicht empfohlen werden Peramivir und Zanamivir sowie Makrolid-Antibiotika (bei Fehlen einer Co-Infektion), mTOR-Inhibitoren, Plasmatherapie und Kortikosteroide. Zur Vorbeugung bei asymptomatischen Personen, die saisonalen Influenzaviren ausgesetzt waren und im Krankheitsfall ein hohes Risiko für eine stationäre Behandlung hätten, wird eine bedingte Empfehlung für Baloxavir und Oseltamivir ausgesprochen. Bei zoonotischer Influenza werden neben Baloxavir und Oseltamivir auch Laninamivir und Zanamivir bedingt empfohlen, unabhängig vom individuellen Risiko. Zur Diagnostik wird bei Verdacht auf Influenza der Einsatz des NAAT oder des digitalen Immunoassays (DIA) empfohlen, bei Verdacht auf schwere Influenza die Verwendung des Nukleinsäure-Amplifikationstests (NAAT).
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Abstract
Background
Every year, more than one billion people around the world are infected with influenza, an acute infection of the respiratory tract. Influenza spreads from person to person through air, contaminated hands or objects. Antiviral and immunomodulatory drugs are available for treatment of patients and prophylaxis of exposed persons. Reverse transcription polymerase chain reaction (RT-PCR), nucleic acid amplification tests (NAATs) and rapid tests are available for the diagnosis of influenza. Objective The aim of this World Health Organization (WHO) guideline is to provide recommendations for the diagnosis, drug treatment and prophylaxis of influenza.
Method
This updated guideline has been developed in accordance with standards for trustworthy guidelines. The recommendations are based on systematic reviews on safety and effectiveness. They take into account the magnitude of benefits and harms of treatments, the reliability of the evidence, and the needs of patients and healthcare professionals.
Results
For non-severe influenza, there is a conditional recommendation to use baloxavir if the risk of severe illness is high. Antivirals are not recommended if the risk is low. There is also a strong recommendation against the use of antibiotics if bacterial co-infection is unlikely. Oseltamivir is conditionally recommended for severe influenza. Not recommended are peramivir and zanamivir, as well as macrolide antibiotics (in the absence of co-infection), mTOR inhibitors and plasma therapy, and corticosteroids. Baloxavir and oseltamivir are conditionally recommended for prophylaxis in asymptomatic persons who have been exposed to seasonal influenza viruses and would be at very high risk of becoming hospitalised. For zoonotic influenza, laninamivir and zanamivir are also conditionally recommended in addition to baloxavir and oseltamivir, regardless of individual risk. For diagnosis, the use of NAAT or digital immunoassay (DIA) for suspected non-severe influenza and nucleic acid amplification test (NAAT) for suspected severe influenza is recommended.
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Der nachfolgende Text fasst die Leitlinie „Clinical practice guidelines for influenza“ der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zusammen [1]. Die Übersetzung und Zusammenfassung erfolgte durch ein Team des WHO Collaborating Centre am Department für Evidenzbasierte Medizin und Evaluation der Universität für Weiterbildung Krems in Österreich.
Hintergrund
Influenza ist eine akute Virusinfektion der Atemwege und wird durch Influenzaviren verursacht. Influenza kann saisonal auftreten oder pandemisch. Saisonale Influenza führt weltweit zu etwa 1 Milliarde Fällen jährlich, mit etwa 290 000 bis 650 000 Todesfällen [2] [3]. Pandemisch auftretende Influenza kann in manchen Fällen zu weit höheren Erkrankungs- und Sterblichkeitsraten führen. Denn gegen neuartige pandemische Influenza-A-Viren ist der größte Teil der Weltbevölkerung nicht immun.
Obwohl vier Arten von Influenzaviren bekannt sind (Typen A, B, C und D), spielen nur die saisonalen Typen A und B für den Menschen weltweit eine relevante Rolle [4]. Nur von Influenzaviren des Typs A ist bekannt, dass sie in der Vergangenheit Pandemien verursacht haben [2].
Influenzaviren vom Typ A und B werden leicht von Mensch zu Mensch übertragen. Das passiert über infektiöse Partikel, die über die Luft übertragen werden, wenn eine infizierte Person hustet oder niest. Die Partikel gelangen dann auf Bindehaut, Mund, Nase oder Rachenschleimhaut einer anderen empfänglichen Person. Darüber hinaus ist auch eine Übertragung über die Hände oder kontaminierte Gegenstände möglich [5]. Menschen können sporadisch auch mit neuartigen Influenza-A-Viren tierischen Ursprungs (zoonotische Influenza) infiziert werden [6]. Diese Viren sind allerdings nicht in der Lage, sich dauerhaft unter Menschen zu verbreiten.
Eine Influenza kann schwer oder weniger schwer verlaufen. Eine nicht schwer verlaufende Influenza ist durch Symptome wie plötzlich auftretenden Husten, Kopf-, Muskel- und Gelenkschmerzen, starke Erschöpfung, Halsschmerzen und Schnupfen gekennzeichnet. Die meisten Menschen erholen sich innerhalb einer Woche, ohne dass ärztliche Hilfe in Anspruch genommen wird.
Das Influenzavirus kann aber auch zu schweren Erkrankungen wie Sepsis, septischer Schock, schwere Lungenentzündung, akutes Atemnotsyndrom (ARDS), Multiorganversagen, Verschlimmerung chronischer Erkrankungen, oder Tod führen. Diese Erkrankungen erfordern normalerweise eine stationäre Behandlung, Sauerstoffgabe, mechanische Beatmung und/oder Vasopressoren. Patient*innen mit neuartiger Influenza A, oder mit unklarem Risiko für eine schwere Erkrankung sollten als schwere Influenza eingestuft werden, auch wenn sie die Kriterien ansonsten nicht erfüllen.
Die klinische Diagnose der Influenza ist aufgrund der unspezifischen und je nach Virustyp variierenden Symptome herausfordernd. Goldstandard für die Influenza-Diagnostik ist die reverse Transkriptions-Polymerase-Kettenreaktion (RT-PCR). Raschere Ergebnisse können jedoch Schnelltests liefern, wie z. B. Influenza-Schnelltests (RIDTs), digitale Immunoassays (DIAs) und schnelle Nukleinsäure-Amplifikationstests (NAATs oder molekulare Assays).
Die etablierte Virostatika Oseltamivir (oral), Laninamivir und Zanamivir (inhalativ) und Peramivir (intravenös) sind wirksam gegen alle derzeit zirkulierenden saisonalen Influenza-A- und -B-Viren sowie zoonotische Influenza-A-Viren. Zusätzlich ist Baloxavir, ein neueres Virostatikum, in einigen Ländern für die frühzeitige Behandlung von Patient*innen mit unkomplizierter Influenza zugelassen [7].
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Zielsetzung, Umfang und Methoden
Diese Leitlinie ist ein Update der WHO-Leitlinie zum klinischen Management von schwerwiegenden Krankheiten verursacht durch Influenza Viren [Guidelines for the clinical management of severe illness from influenza virus infections], veröffentlicht 2022 [8]. Sie enthält neue Empfehlungen zur Behandlung mit antiviralen Medikamenten und Immunmodulatoren bei nicht schwer und schwer verlaufender Influenza sowie zur Prophylaxe bei Personen, die Influenzaviren ausgesetzt waren. Die Empfehlungen basieren auf systematischen Übersichtsarbeiten zur Sicherheit und Wirksamkeit dieser Behandlungen.
Außerdem enthält diese Leitlinie Empfehlungen zur besten diagnostischen Strategie bei Verdacht auf Influenza. Schwere Influenza-Erkrankungen erfordern neben antiviraler und immunmodulatorischer Therapie eine optimale unterstützende Therapie, wie z. B. Sauerstoffgabe und -überwachung oder Unterstützung der Atmung. Empfehlungen zur optimalen unterstützenden Therapie für schwer erkrankte Patient*innen gehören allerdings nicht zum Umfang dieser Leitlinie.
Die Entwicklung dieser Leitlinien folgt den Standards für vertrauenswürdige Leitlinien [1] [9] [10] [11]. Bei ihren Empfehlungen berücksichtigte die Leitlinienentwicklungsgruppe das Ausmaß von Nutzen und Schaden von Behandlungen, die Vertrauenswürdigkeit der Evidenz, sowie die Bedürfnisse der Interessengruppen – allen voran der Patient*innen.
Diese Leitlinie wurde mit finanzieller Unterstützung des Office of Global Affairs, United States Department of Health and Human Services, entwickelt.
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Empfehlungen
Die WHO spricht gesondert Empfehlungen für die Behandlung schwerer und nicht schwer verlaufender Influenza aus sowie zur Prävention und zu Teststrategien.
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1. Nicht schwer verlaufende Influenza
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bedingte Empfehlung für Baloxavir wenn ein hohes Risiko für einen schweren weiteren Krankheitsverlauf besteht;
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bedingte Empfehlung gegen Baloxavir wenn ein geringes Risiko für einen schweren weiteren Krankheitsverlauf besteht;
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bedingte Empfehlung gegen Laninamivir, Peramivir und Umifenovir
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starke Empfehlung gegen Oseltamivir, Zanamivir und Favipiravir
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starke Empfehlung gegen den Einsatz von Antibiotika bei geringer Wahrscheinlichkeit einer bakteriellen Co-Infektion.
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2. Schwere Influenza (einschließlich Infektionen mit neuartiger Influenza A, die mit einer hohen Sterblichkeitsrate oder einem unbekannten Risiko einer schweren Erkrankung verbunden sind)
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bedingte Empfehlung für Oseltamivir
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bedingte Empfehlung gegen Peramivir und Zanamivir
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3. Ergänzende Behandlung bei schwerer Influenza
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bedingte Empfehlung gegen den Einsatz von Makroliden bei Patient*innen ohne bakterielle Co-Infektion;
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bedingte Empfehlung gegen den Einsatz von Plasmatherapie
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bedingte Empfehlung gegen den Einsatz von mTOR-Inhibitoren
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bedingte Empfehlung gegen den Einsatz von Kortikosteroiden
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4. Prävention bei Personen mit Exposition gegenüber dem saisonalen Influenzavirus, aber ohne Infektion
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bedingte Empfehlung für Baloxavir und Oseltamivir bei asymptomatischen Personen mit sehr hohem Risiko für eine stationäre Behandlung im Erkrankungsfall
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bedingte Empfehlung gegen Laninamivir und Zanamivir bei asymptomatischen Personen ohne sehr hohes Risiko für eine stationäre Behandlung im Erkrankungsfall
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5. Prävention bei Personen mit Kontakt zu zoonotischen Influenzaviren, aber ohne Infektion
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bedingte Empfehlung für Baloxavir, Oseltamivir, Laninamivir und Zanamivir
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6. Teststrategien bei Verdacht auf saisonale Influenza
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bedingte Empfehlung für den Einsatz des NAAT bei Patient*innen mit Verdacht auf schwere Influenza
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bedingte Empfehlung für den Einsatz des digitalen Immunoassays (DIA) oder des NAAT bei Patient*innen mit Verdacht auf nicht schwer verlaufende Influenza.
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Interessenkonflikt
Die Autorinnen/Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
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Literatur
- 1 World Health Organization. WHO handbook for guideline development. 2014 [Available from: https://apps.who.int/iris/bitstream/handle/10665/145714/9789241548960_eng.pdf.]
- 2 World Health Organization. Influenza (Seasonal) Key Facts 2023 [Available from: https://www.who.int/news-room/fact-sheets/detail/influenza-(seasonal)]
- 3 Iuliano AD, Roguski KM, Chang HH. et al. Estimates of global seasonal influenza-associated respiratory mortality: a modelling study. Lancet. 2018; 391: 1285-300
- 4 Matsuzaki Y, Katsushima N, Nagai Y. et al. Clinical features of influenza C virus infection in children. Journal of Infectious Diseases 2006; 193: 1229-1235
- 5 World Health Organization. Infection prevention and control of epidemic-and pandemic-prone acute respiratory infections in health care. 2014 [Available from: https://iris.who.int/bitstream/handle/10665/112656/9789241507134_eng.pdf?sequence=1.]
- 6 World Health Organization. Influenza (Avian and other zoonotic) Key Facts 2023 [Available from: https://www.who.int/news-room/fact-sheets/detail/influenza-(avian-and-other-zoonotic)]
- 7 Hayden FG, Sugaya N, Hirotsu N. et al. Baloxavir Marboxil for Uncomplicated Influenza in Adults and Adolescents. New England Journal of Medicine 2018; 379: 913-923
- 8 World Health Organization. Guidelines for the clinical management of severe illness from influenza virus infections. 2022 [Available from: https://iris.who.int/bitstream/handle/10665/352453/9789240040816-eng.pdf.]
- 9 Steinberg EGS, Wolman DM, Mancher M. et al. Clinical practice guidelines we can trust. National Academies Press; 2011
- 10 Guyatt GH, Oxman AD, Schünemann HJ. et al. GRADE guidelines: a new series of articles in the Journal of Clinical Epidemiology. Journal of Clinical Epidemiology 2011; 64: 380-382
- 11 Guyatt G, Oxman AD, Akl EA. et al. GRADE guidelines: 1. Introduction-GRADE evidence profiles and summary of findings tables. Journal of Clinical Epidemiology 2011; 64: 383-394
Korrespondenzadresse
Publication History
Received: 16 January 2025
Accepted: 01 April 2025
Accepted Manuscript online:
01 April 2025
Article published online:
16 May 2025
© 2025. Thieme. All rights reserved.
Georg Thieme Verlag KG
Oswald-Hesse-Straße 50, 70469 Stuttgart, Germany
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Literatur
- 1 World Health Organization. WHO handbook for guideline development. 2014 [Available from: https://apps.who.int/iris/bitstream/handle/10665/145714/9789241548960_eng.pdf.]
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- 4 Matsuzaki Y, Katsushima N, Nagai Y. et al. Clinical features of influenza C virus infection in children. Journal of Infectious Diseases 2006; 193: 1229-1235
- 5 World Health Organization. Infection prevention and control of epidemic-and pandemic-prone acute respiratory infections in health care. 2014 [Available from: https://iris.who.int/bitstream/handle/10665/112656/9789241507134_eng.pdf?sequence=1.]
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- 7 Hayden FG, Sugaya N, Hirotsu N. et al. Baloxavir Marboxil for Uncomplicated Influenza in Adults and Adolescents. New England Journal of Medicine 2018; 379: 913-923
- 8 World Health Organization. Guidelines for the clinical management of severe illness from influenza virus infections. 2022 [Available from: https://iris.who.int/bitstream/handle/10665/352453/9789240040816-eng.pdf.]
- 9 Steinberg EGS, Wolman DM, Mancher M. et al. Clinical practice guidelines we can trust. National Academies Press; 2011
- 10 Guyatt GH, Oxman AD, Schünemann HJ. et al. GRADE guidelines: a new series of articles in the Journal of Clinical Epidemiology. Journal of Clinical Epidemiology 2011; 64: 380-382
- 11 Guyatt G, Oxman AD, Akl EA. et al. GRADE guidelines: 1. Introduction-GRADE evidence profiles and summary of findings tables. Journal of Clinical Epidemiology 2011; 64: 383-394