Sprache · Stimme · Gehör 2010; 34(3): 117-118
DOI: 10.1055/s-0030-1267408
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Stimmheilkunde II – Stimmübungstherapie - Erste Schritte in China

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Publication Date:
01 October 2010 (online)

 

In China gibt es zwar eine Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, aber keine medizinische Stimm- und Sprachheilkunde. Dies bedeutet beispielsweise, dass man zwar Stimmlippenknötchen entfernen, aber eine zugrundeliegende neuromuskuläre Fehlfunktion nicht beseitigen kann. Das soll sich nun endlich ändern. Eur Arch Otorhinolaryngol 2010; 267: 101–105

In einer Hals-Nasen-Ohren-Klinik in Peking haben Duan et al. ein Stimmtraining entwickelt, das weltweit anerkannte – aber bisher nicht ausreichend validierte – Bausteine enthält: eine Erziehung in Stimmhygiene (einmalig 60min), eine Gruppenübungstherapie (einmal wöchentlich für 4 Wochen), ein häusliches Training der erlernten Übungen (täglich 4 Wochen lang) und eine Transfermaßnahme. Die Übungen umfassen uns wohl bekannte Inhalte: die physiologische Bauchatmung, Entspannung der Schultergürtelmuskulatur sowie der Abbau einer neuromuskulären Hyperfunktion im Kehlkopf und in den Resonanzräumen, speziell auch mit Absenkung des Kehlkopfes (vielleicht ähnlich der Kehlkopffederung nach Fernau-Horn oder der Übungen von Pahn) und Weitung des Pharynx (vielleicht Gähnübungen). Die Transfermaßnahme besteht in täglichen Erinnerungen über eine Mobiltelefon-SMS (Sorry: das sich hier vielleicht anbietende Wort "Handy" ist Pseudo-Englisch und klingt darüberhinaus auch lächerlich – es kommt mir nicht über die Lippen!) Insgesamt also ein wirklich "pfiffiges" Konzept. Dieses speziell zu evaluieren macht durchaus Sinn, denn die überwiegend für indogermanische Sprachen entwickelten Übungen mussten in das in hohem Maße "vokalisch" und "prosodisch" beladene Mandarin-Chinesische übertragen werden. Es handelt sich also wirklich nicht nur um ein "neues", sondern auch "neuartiges" Übungskonzept, für das die englische Sprache die schönen Begriffe "new" und "novel" bereit hält, wobei in der Publikation nicht mit diesen Begriffen geprahlt wird.

Das neuartige Konzept wurde an Mittelschullehrern aus Peking ausprobiert, bei denen man über mehr als 3 Monate Heiserkeiten, Stimmermüdungen und Schmerzen im Hals beim Sprechen feststellte. Die Grundgesamtheit wurden in 2 Gruppen randomisiert: 24 Lehrer – davon 3 Männer und 21 Frauen – in die Behandlungsgruppe und 12 in die Kontrollgruppe. Vor und nach der Behandlungsserie wurden der Voice-Handicap-Index (VHI), die Tonhaltedauer und diverse akustische Heiserkeitsparameter (unter Verwendung des bekannten Multi-Dimensional-Voice-Programm MDVP der Firma Kay Elemetrics) ermittelt und in einem prä-post-Vergleich statistisch ausgewertet.

Das Ergebnis war ermutigend: In der Therapiegruppe besserten sich der VHI von 29±19 Punkten auf 12±14 Punkten mit p<0,05, in der Kontrollgruppe hingegen änderte sich der VHI nicht (19±17 vs. 22±14). Die Tonhaltedauer verbesserte sich in der Therapiegruppe signifikant von 15±6s auf 22±6s, in der Kontrollgruppe blieb sie nahezu gleich bei ca. 15±7s. Das Rausch-Signal-Verhältnis sank (d.h. verbesserte) sich in der Therapiegruppe von 0,122±0,019 auf 0,114±0,012. In der Kontrollgruppe blieb es etwa gleich bei ca. 0,118±0,021. Diese Ergebnisse führen zur Schlussfolgerung, dass die Therapiemaßnahme wahrscheinlich wirksam ist. Änderungen von Jitter, Shimmer und vielen anderen Messwerten, die das MDVP "ausspuckt", waren in beiden Gruppen ohne Signifikanz.

Die Studie weist jedoch einige Schwächen auf. Zunächst ist unklar, ob die Rekrutierung der Patienten repräsentativ ist. Wie wurden Heiserkeiten, Stimmermüdungen und Schmerzen im Hals quantifiziert und vom Normalen abgegrenzt, d.h. welche Untersuchungen oder Fragebogentests wurden durchgeführt? Warum enthielt die Studiengruppe doppelt so viel Probanden wie die Kontrollgruppe? Andernfalls hätte man doch nicht nur einen prä-post-Vergleich, sondern auch einen Gruppenvergleich anstellen können. Warum trug man nicht Sorge dafür, dass nicht 2 der 3 teilnehmenden Männer in die kleinere Kontrollgruppe gelangten? So war das Geschlechterverhältnis in den Gruppen stark unterschiedlich, wobei wir doch wissen, mit welchem Sex- und/oder Gender-Einfluss wir rechnen müssen. Mir fällt auch auf, das der VHI in der Therapiegruppe viel höher (29) als in der Kontrollegruppe war (19). Wurde da etwa – auf Wunsch besonders klagsamer Studienkandidaten – mit gezinktem Würfel "randomisiert"? Wer hat denn die Arbeit begutachtet und dazu nicht zumindest einen Kommentar der Autoren erwirkt?

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