Klin Monbl Augenheilkd 2015; 232(02): 193-195
DOI: 10.1055/s-0034-1383385
Offene Korrespondenz
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Vom Sinn und Unsinn ophthalmologischer Eponyme

Sense and Nonsense of Ophthalmological Eponyms
J. M. Rohrbach
Department für Augenheilkunde, Forschungsbereich Geschichte der Augenheilkunde/Ophthalmopathologisches Labor, Eberhard-Karls-Universität Tübingen
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Korrespondenzadresse

Prof. Dr. Jens Martin Rohrbach
Department für Augenheilkunde, Forschungsbereich Geschichte der Augenheilkunde/Ophthalmopathologisches Labor, Eberhard-Karls-Universität Tübingen
Schleichstr. 6–12
72076 Tübingen
Phone: +49/(0)70 71/2 98 47 61   
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Publication History

Publication Date:
15 December 2014 (online)

 

„Eponyme bringen Farbe in die Medizin, und sie betten medizinische Traditionen und Kultur in unsere Geschichte ein“. (Judith Whitworth, australische National-Universität Canberra) [1].

Unter einem Eponym versteht man die wissenschaftliche Bezeichnung mittels eines Namensgebers, der zumeist dem Erstbeschreiber oder Erfinder entspricht, also z. B. „Axenfeld-Anomalie“ (nach Theodor Axenfeld, 1867–1930) [2], „Kayser-Fleischer-Ring“ (nach Bernhard Kayser, 1869–1954, und Bruno Fleischer, 1874–1965) [3], „Elschnig-Perlen“ (nach Anton Elschnig, 1863–1939) [4] ([Abb. 1], [2] und [3]), „Graefe-Zeichen“ (nach Albrecht von Graefe, 1828–1870) oder „Sturge-Weber-Syndrom“ (nach William Allen Sturge, 1850–1919, und Frederick Parkes Weber, 1863–1962, beide keine Ophthalmologen) [5], [6]. Rechnet man die zahlreichen „Geräte-Eponyme“ wie z. B. „Jäger-Tafeln“ (nach Eduard von Jäger, 1818–1884), „Hertel-Exophthalmometer“ (nach Ernst Hertel, 1870–1943), „Amsler-Netz“ (nach Marc Amsler, 1891–1968) oder „Sautter-Kanüle“ (nach Hans Sautter, 1912–1984) hinzu, so dürfte es mehrere hundert Eponyme geben, die das augenärztliche Fachgebiet unmittelbar oder zumindest am Rande betreffen. Eine zusammenfassende Darstellung aller derzeit geläufigen ophthalmologischen Eponyme gibt es nicht. Vor bald 50 Jahren hat Stephan von Grósz aus Budapest die seinerzeit bekannten syndromalen Eponyme zusammengestellt [7]. Im Internet stößt man auf „Doyneʼs Hall of Fame – Faces behind ophthalmological eponyms“ mit 85 Namen (Stand November 2014).

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Abb. 1 Anton Elschnig, Namensgeber der „Elschnig-Perlen“. Elschnig wurde vor 75 Jahren (1939) als Fußgänger auf dem Wiener Ring von einem Kfz erfasst. Er starb noch am Unfallort. Bild aus dem Nachruf (Klin Monatsbl Augenheilkd 1940; 104: 101–104).
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Abb. 2 Pathohistologische Darstellung des regeneratorischen Nachstars aus Elschnigs Originalpublikation von 1911 [4].
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Abb. 3 Regeneratorischer Nachstar („Elschnig-Perlen“) bei Pseudophakie im regredienten Licht (Universitäts-Augenklinik Tübingen).

Eponyme haben in allen medizinischen Fachgebieten – so auch der Ophthalmologie – eine lange Tradition. Nichtsdestotrotz ist ihre Sinnhaftigkeit seit der Jahrtausendwende, insbesondere in den USA und auf dem Gebiet der inneren Medizin, zunehmend infrage gestellt worden.

Argumente „pro Eponym“ waren und bleiben [1]:

  • Der Erstbeschreiber wird geehrt.

  • Durch die Assoziation mit einem Leben ist eine zeitliche Einordnung des Eponyms bzw. der Erstbeschreibung möglich. So kann z. B., wenn man die Lebensdaten Theodor Axenfelds ungefähr kennt, die Beschreibung der Axenfeld-Anomalie auf „grob Anfang des 20. Jahrhunderts“ datiert werden (Die Erstbeschreibung erfolgte 1920 im Rahmen eines Vortrags bei der 42. Tagung der DOG in Heidelberg [2]).

  • Das Eponym ist in aller Regel kürzer und griffiger als die pathologische, pathophysiologische oder pathogenetische Bezeichnung. So wäre es höchst umständlich, wenn z. B. statt „Rieger-Anomalie“ (nach Herwigh Rieger, 1898–1986) [8] stets „Dysgenesis mesodermalis iridis et cornea“ gesagt oder geschrieben werden müsste.

Auf der anderen Seite gibt es gewichtige Gründe „contra Eponym“ [9].

  • Das Eponym ist „unspezifisch“, da es nicht das pathologische, pathophysiologische oder pathogenetische Charakteristikum der Erkrankung wiedergibt.

  • Das Eponym ist nicht selten „ungerecht“, weil die Priorität der Erstbeschreibung oft nicht klar ist und „substanzielle Mitbeschreiber“ vergessen werden. So heißt, um ein Beispiel zu nennen, die (klinisch völlig unbedeutende) Pigmentlinie auf dem Hornhauttransplantat üblicherweise „Mannis-Linie“, weil Mark Mannis diese Eisenlinie 1983 bei einer etwas größeren Serie von 8 Patienten beschrieb (und dabei feststellte, dass die Linie frühestens 8 Wochen nach perforierender Keratoplastik zu sehen ist) [10]. Beschrieben wurde die Linie aber schon 2 Jahre zuvor von Forstot und Abel wenngleich nur in einem kurzen Abstract [11]. „Gerechter“ wäre also das Eponym „Forstot-Abel-Mannis-Linie“. Die nach Louis Braille (1809–1852) benannte Blindenschrift wurde eigentlich von dem französischen Artilleriehauptmann Charles Barbier (1767–1841) entwickelt, damit seine Befehle von seinen Soldaten auch bei Nacht („Nachtschrift“) aber nicht vom Feind („Geheimschrift“) gelesen werden konnten [12]. Die Punktschrift, die Braille vereinfachte und praktikabel machte, müsste daher eigentlich Barbier-Braille-Schrift heißen. Und erst jüngst wies Hans-Reinhard Koch nach intensivem Studium alter Literatur in seinem Vortrag „Giovanni Baptista Morgagni und sein Humor“ anlässlich des 112. Kongresses der DOG in Leipzig darauf hin, dass Morgagni (1682–1771) sehr wahrscheinlich nicht die eigentliche „Cataracta hypermatura Morgagni“ mit dem im Kapselsack abgesunkenen Linsenkern sondern nur „weiche Rinde“ beschrieben hat.

  • Für die gleiche Erkrankung werden, je nach Land, unterschiedliche Eponyme gebraucht, was die „internationale Verständigung“ erschwert. Bestes Beispiel ist wohl die endokrine Orbitopathie, die bei uns zum „Morbus Basedow“ (nach Carl Adolph von Basedow, 1799–1854), im angloamerikanischen Raum aber zur „Graves disease“ (nach dem irischen Kliniker Robert James Graves, 1797–1853) gehört. In Frankreich wird die endokrine Orbitopathie gar mitunter als „Maladie de Demours“ (nach Antoine Pierre Demours, 1762–1836) bezeichnet [13].

  • Einige Eponymgeber sind „politisch belastet“. Dieses gilt praktisch nur für deutsche Erstbeschreiber, die während der Zeit des Nationalsozialismus Mitglied der NSDAP oder einer ihrer Gliederungen waren. Beispielhaft kann die Debatte um die „Wegenerʼsche Granulomatose“ (nach dem Pathologen Friedrich Wegener, 1907–1990) angeführt werden, die nach einem Lancet-Beitrag von 2006, in dem auf Wegeners Partei- und SA-Mitgliedschaft hingewiesen wurde [14], vor allem in den USA sehr heftig geführt wurde. Dabei blieben Friedrich Wegener entlastende Momente großenteils unberücksichtigt [15]. Als Konsequenz der Debatte wurde der „Morbus Wegener“ nach einer Konsensus-Konferenz namhafter Rheumatologen 2010 in „Granulomatose mit Polyangiitis/GPA (Wegener)“ umbenannt, wobei die Klammer mit „Wegener“ nach einer Übergangszeit von 5 Jahren entfallen soll [16]. Damit wird das Eponym „Wegener“ 2015/2016 „formal sterben“. Ob sich die Umbenennung tatsächlich durchsetzen wird, bleibt abzuwarten. In der Augenheilkunde haben wir derzeit noch 5 Entitäten bzw. Prozeduren, die nach einem (nach bisherigem Forschungsstand nicht in NS-Verbrechen verwickelten) „Parteigenossen“ benannt sind.

Die Diskussion um die medizinischen Eponyme hält an, verläuft in der deutschen Augenheilkunde bisher aber noch „subkutan“. Die neuesten „Kreationen“ auf ophthalmologischem Fachgebiet dürften das „Flammer-Syndrom“ (nach Josef Flammer aus Basel) und die prädescemetäre, morphologisch nicht wirklich fassbare und daher fragwürdige „Dua-Schicht“ (nach Harminder Dua aus Nottingham) sein. Spannend wird bleiben, ob und inwieweit sich die eher Eponym-freundlichen Europäer gegen die eher Eponym-reservierten Amerikaner z. B. bei der neuen Klassifikation der noch oft mit einem Eponym belegten Hornhautdystrophien (HD) – man denke nur an die „Meesmann-HD“ (nach Alois Meesmann, 1888–1969) [17] oder die „Thiel-Behnke-HD“ (nach Hans-Jürgen Thiel und Horst Behnke) [18] – durchsetzen werden. Der Kompromiss könnte darin bestehen, dass man es bei den in der Literatur eingeführten Eponymen belässt, bei neuen Entitäten aber auf ein Eponym verzichtet und eine pathologische, pathophysiologische, pathogenetische oder deskriptive Bezeichnung wählt.


#

Interessenkonflikt

Nein.

  • Literatur

  • 1 Whitworth JA. Should eponyms be abandoned? No. Br Med J 2007; 335: 425
  • 2 Axenfeld T. Embryotoxon corneae posterius. Klin Monatsbl Augenheilkd 1920; 65: 381-382
  • 3 Lang GK. 1902/1903, Bernhard Kayser und Bruno Fleischer. Klin Monatsbl Augenheilkd 2013; 230: 310-312
  • 4 Elschnig A. Klinisch-anatomischer Beitrag zur Kenntnis des Nachstares. Klin Monatsbl Augenheilkd 1911; 49: 444-451
  • 5 Sturge WA. A case of partial epilepsy, apparently due to a lesion of one of the vaso-motor centres of the brain. Clin Soc Transact 1879; 12: 162
  • 6 Weber FP. Right-sided hemi-hypotrophy resulting from right-sided congenital spastic hemiplegia, with a morbid condition of the left side of the brain, revealed by radiograms. J Neurol Psychopathol 1922; 37: 184-189
  • 7 von Grósz S. Eponyme – Syndrome. An Autorennamen gebundene augenärztliche Symptomenkomplexe und Krankheiten. Klin Monatsbl Augenheilkd 1966; 148: 1-45
  • 8 Rieger H. Beiträge zur Kenntnis seltener Mißbildungen der Iris. II. Über Hypoplasie des Irisvorderblattes mit Verlagerung und Entrundung der Pupille. Graefes Arch Clin Exp Ophthalmol 1935; 133: 602-635
  • 9 Woywodt A, Matteson E. Should eponyms be abandoned? Yes. Br Med J 2007; 335: 424
  • 10 Mannis MJ. Iron deposition in the corneal graft. Arch Ophthalmol 1983; 101: 1858-1861
  • 11 Forstot SL, Abel R. Epithelial iron line developing in the donor cornea postkeratoplasty. Ophthalmology (Suppl) 1981; 88: 88
  • 12 Rohrbach JM, Dzhelebov DN, Neuhann I. Emile Javal (1839–1907) und seine Glaukom-Erblindung – ein Leben für Politik, Publizistik, sinnesphysiologische Forschung und Erblindete. Klin Monatsbl Augenheilkd 2011; 228: 166-169
  • 13 Göring H-D. Carl Adolph von Basedow (1799–1854). Eine Krankheit trägt seinen Namen. Dtsch Ärztebl 2014; 111: B-548-549
  • 14 Woywodt A, Haubitz M, Haller H et al. Wegenerʼs granulomatosis. Lancet 2006; 367: 1362-1366
  • 15 Grzybowski A, Rohrbach JM. Sollten wir auf das Eponym „Wegenerʼsche Granulomatose“ verzichten? Ein historischer Exkurs. Klin Monatsbl Augenheilkd 2011; 228: 641-643
  • 16 Falk RJ, Gross WL, Guillevin L et al. Granulomatosis with polyangiitis (Wegenerʼs): An alternative name for Wegenerʼs granulomatosis. Arthritis & Rheumatism 2011; 63: 863-864
  • 17 Meesmann A. Über eine bisher nicht beschriebene, dominant vererbte Dystrophia epithelialis corneae. Bericht über die zweiundfünfzigste Zusammenkunft der DOG. München: Bergmann; 1938: 154-158
  • 18 Thiel H-J, Behnke H. Eine bisher unbekannte subepitheliale hereditäre Hornhautdystrophie. Klin Monatsbl Augenheilkd 1967; 150: 862-874

Korrespondenzadresse

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72076 Tübingen
Phone: +49/(0)70 71/2 98 47 61   
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  • Literatur

  • 1 Whitworth JA. Should eponyms be abandoned? No. Br Med J 2007; 335: 425
  • 2 Axenfeld T. Embryotoxon corneae posterius. Klin Monatsbl Augenheilkd 1920; 65: 381-382
  • 3 Lang GK. 1902/1903, Bernhard Kayser und Bruno Fleischer. Klin Monatsbl Augenheilkd 2013; 230: 310-312
  • 4 Elschnig A. Klinisch-anatomischer Beitrag zur Kenntnis des Nachstares. Klin Monatsbl Augenheilkd 1911; 49: 444-451
  • 5 Sturge WA. A case of partial epilepsy, apparently due to a lesion of one of the vaso-motor centres of the brain. Clin Soc Transact 1879; 12: 162
  • 6 Weber FP. Right-sided hemi-hypotrophy resulting from right-sided congenital spastic hemiplegia, with a morbid condition of the left side of the brain, revealed by radiograms. J Neurol Psychopathol 1922; 37: 184-189
  • 7 von Grósz S. Eponyme – Syndrome. An Autorennamen gebundene augenärztliche Symptomenkomplexe und Krankheiten. Klin Monatsbl Augenheilkd 1966; 148: 1-45
  • 8 Rieger H. Beiträge zur Kenntnis seltener Mißbildungen der Iris. II. Über Hypoplasie des Irisvorderblattes mit Verlagerung und Entrundung der Pupille. Graefes Arch Clin Exp Ophthalmol 1935; 133: 602-635
  • 9 Woywodt A, Matteson E. Should eponyms be abandoned? Yes. Br Med J 2007; 335: 424
  • 10 Mannis MJ. Iron deposition in the corneal graft. Arch Ophthalmol 1983; 101: 1858-1861
  • 11 Forstot SL, Abel R. Epithelial iron line developing in the donor cornea postkeratoplasty. Ophthalmology (Suppl) 1981; 88: 88
  • 12 Rohrbach JM, Dzhelebov DN, Neuhann I. Emile Javal (1839–1907) und seine Glaukom-Erblindung – ein Leben für Politik, Publizistik, sinnesphysiologische Forschung und Erblindete. Klin Monatsbl Augenheilkd 2011; 228: 166-169
  • 13 Göring H-D. Carl Adolph von Basedow (1799–1854). Eine Krankheit trägt seinen Namen. Dtsch Ärztebl 2014; 111: B-548-549
  • 14 Woywodt A, Haubitz M, Haller H et al. Wegenerʼs granulomatosis. Lancet 2006; 367: 1362-1366
  • 15 Grzybowski A, Rohrbach JM. Sollten wir auf das Eponym „Wegenerʼsche Granulomatose“ verzichten? Ein historischer Exkurs. Klin Monatsbl Augenheilkd 2011; 228: 641-643
  • 16 Falk RJ, Gross WL, Guillevin L et al. Granulomatosis with polyangiitis (Wegenerʼs): An alternative name for Wegenerʼs granulomatosis. Arthritis & Rheumatism 2011; 63: 863-864
  • 17 Meesmann A. Über eine bisher nicht beschriebene, dominant vererbte Dystrophia epithelialis corneae. Bericht über die zweiundfünfzigste Zusammenkunft der DOG. München: Bergmann; 1938: 154-158
  • 18 Thiel H-J, Behnke H. Eine bisher unbekannte subepitheliale hereditäre Hornhautdystrophie. Klin Monatsbl Augenheilkd 1967; 150: 862-874

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Abb. 1 Anton Elschnig, Namensgeber der „Elschnig-Perlen“. Elschnig wurde vor 75 Jahren (1939) als Fußgänger auf dem Wiener Ring von einem Kfz erfasst. Er starb noch am Unfallort. Bild aus dem Nachruf (Klin Monatsbl Augenheilkd 1940; 104: 101–104).
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Abb. 2 Pathohistologische Darstellung des regeneratorischen Nachstars aus Elschnigs Originalpublikation von 1911 [4].
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Abb. 3 Regeneratorischer Nachstar („Elschnig-Perlen“) bei Pseudophakie im regredienten Licht (Universitäts-Augenklinik Tübingen).