Aktuelle Ernährungsmedizin 2016; 41(S 01): S19-S21
DOI: 10.1055/s-0042-102723
Übersicht
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Unsaubere Pillen

Verbotene Substanzen als Verunreinigungen oder illegale Beimengung von Nahrungsergänzungsmitteln und damit verbundene gesundheitliche RisikenDirty PillsProhibited Substances as Contaminants or Illegal Additions to Food Supplements and the Associated Health Risks
M. Thevis
Institut für Biochemie, Zentrum für Präventive Dopingforschung, Deutsche Sporthochschule Köln
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Prof. Dr. Mario Thevis
Institut für Biochemie, Deutsche Sporthochschule Köln
Am Sportpark Müngersdorf 6
50933 Köln
Phone: 0221/4982-7070   

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Publication Date:
11 April 2016 (online)

 

Zusammenfassung

Nahrungsergänzungsmittel gehören zu einer der Hauptquellen für Dopingsubstanzen. Gefälschte Präparate enthalten nicht selten Stimulanzien, anabol-androgene Steroide, β2-Agonisten oder Peptidhormone. Diese Substanzen werden zumeist auf der Zutatenliste nicht genannt, die Produkte werben aber aggressiv mit deren Wirkungen, vor allem mit Fettabbau, Trainingsbooster-Effekten und Muskelaufbau. Die Ausweitung des Marktes für gefälschte Nahrungsergänzungsmittel ist unter anderem auf die leichte Verfügbarkeit von Dopingsubstanzen zurückzuführen. Die gesundheitlichen Risiken beim Konsum dieser Präparate sind unkalkulierbar. Grundsätzlich sollten Sportler Nahrungsergänzungsmittel nur einnehmen, wenn ihre Einnahme ernährungswissenschaftlich begründet ist, und es wird empfohlen, Präparate mit extremer Werbung und aus unsicheren Quellen zu meiden. Die „Kölner Liste“ ist eine Datenbank zu Nahrungsergänzungsmitteln mit geringem Dopingrisiko, die auf Anabolika und Stimulanzien überprüft und negativ getestet worden sind.


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Abstract

Nutritional supplements are one of the main sources of doping substances. Counterfeit preparations often contain stimulants, anabolic-androgenic steroids, β2 agonists, or peptide hormones. These substances are mostly not named on the list of ingredients, but the products are promoted by aggressive advertising, with reference to their effects – especially fat loss, boosting effects for training, and muscle build-up. One of the reasons for the expansion of the market for counterfeit dietary supplements is the easy availability of doping substances. The health risks associated with consuming such preparations are unpredictable. Fundamentally, athletes should take dietary supplements only if their consumption is indicated from a nutritional perspective, and the recommendation is to avoid preparations promoted by extreme advertising and from unsafe sources. The Cologne List is a database that includes nutritional supplements with a low risk of doping, which have been checked for anabolic steroids and stimulants and have tested negative.


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Im Rahmen der präventiven Dopingforschung sind in den letzten Jahren verschiedene Quellen von Dopingsubstanzen identifiziert worden. Eine Hauptquelle von Dopingsubstanzen für den Leistungssport, aber vor allem für den Freizeit- und Breitensport, ist der Markt für Nahrungsergänzungsmittel [1] [2]. Dabei unterscheidet man 2 Arten: Kontaminierte Präparate enthalten aufgrund des Produktionsprozesses unbeabsichtigt kleine Mengen verbotener Substanzen. Gefälschten Präparaten werden dagegen bewusst verbotene Dopingsubstanzen beigemengt, ohne dass sie auf der Zutatenliste auftauchen. Dabei handelt es sich um pharmakologisch wirksame Substanzen, die teilweise gar nicht mehr zugelassen sind [3].

Sibutramin in Schlankheitstees und Schokolade

Eine besonders auffällige Substanzklasse sind Schlankheitsmittel; sie sind überwiegend online von Herstellern aus Fernost zu beziehen und enthalten häufig unerlaubte Stimulanzien. Typisch sind aggressive Werbeversprechen, zum Beispiel in einer Woche 3 – 5 kg abzunehmen. Eine Gewichtsabnahme in dieser Größenordnung ist auf natürliche Weise nicht realisierbar. Auf der Zutatenliste sind diverse Kräuter angegeben, nicht aber die beigemengten pharmakologisch relevanten Substanzen, zum Beispiel der Appetitzügler Sibutramin. Prinzipiell steigern amphetaminbasierte Substanzen wie Sibutramin die Körperkerntemperatur. Der Körper muss dann mehr Energie aufwenden, die in erster Linie aus Fettdepots stammt. Solche Präparate gibt es nicht nur als Kapsel, sondern zum Beispiel auch in Form von vermeintlich kräuterbasierten Tees zur Gewichtsreduktion – die sind in der Tat wirksam, weil jeder Teebeutel therapeutische Mengen Sibutramin enthält. Im Angebot ist sogar Schokolade zum Abnehmen, auch mit Sibutramin angereichert.

Generell gilt: Wer sibutraminhaltige Produkte einnimmt, kann zwar Übergewicht reduzieren, geht mit der unkontrollierten Einnahme der Substanz aber ein großes gesundheitliches Risiko ein. Die Europäische Arzneimittelagentur EMEA hat Sibutramin 2010 als nicht mehr verkehrsfähig eingestuft, weil gehäuft kardiovaskuläre Probleme wie Herzinfarkt oder Schlaganfall aufgetreten sind. Gefälschte Schlankheitsmittel enthalten Sibutramin in Mengen, die der ehemals therapeutischen Dosis entsprechen. Nehmen Sportler ein sibutraminhaltiges Produkt ein, sind die Abbauprodukte der Substanz mindestens 18 Stunden lang im Urin nachweisbar ([Abb. 1]).

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Abb. 1 Nachweis von Sibutramin-Metaboliten im Urin nach Einnahme einer Kapsel eines gefälschten sibutraminhaltigen Produkts.

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Problem Methylhexanamin

Andere Abnahmepulver und Trainingsbooster enthalten laut Zutatenliste Geraniumwurzelextrakt. 1996 wurde in einer chinesischen Publikation berichtet, dass Geraniumwurzelextrakt das Stimulans Methylhexanamin enthalten kann. Dies wurde über mehrere Jahre versucht zu verifizieren – das gelang aber nicht, sodass sich Experten einig waren, dass es eine Fehlinterpretation analytischer Daten war [4]. Es ist anzunehmen, dass aufgrund dieser Arbeit viele Nahrungsergänzungspräparate mit synthetisch hergestelltem Methylhexanamin angereichert worden sind – ein verbotenes Stimulans, das ursprünglich als abschwellendes Nasenspray entwickelt wurde, sich am Markt aber nicht durchsetzen konnte.

Das führte unweigerlich zu positiven Dopingbefunden – bei der Leichtathletik-Weltmeisterschaft in Berlin 2009 wurde Methylhexanamin in Dopingkontroll-Proben von 5 jamaikanischen Sprintern vorgefunden. Da sie nachweisen konnten, dass gefälschte Nahrungsergänzungsmittel die Quelle waren, wurden sie nicht sanktioniert. Damit begann die Ära des Methylhexanamins: In der Jahresstatistik der Welt-Antidoping-Agentur (WADA) von 2010 nahm die Substanz mit 123 positiven Funden die Spitzenposition ein, 2011 stieg die Zahl weiter auf 283 und 2012 auf 320 Fälle. Erst 2013 halbierte sich die Rate auf immerhin noch 169 Fälle mit Methylhexanamin. Auch 2014 war die Substanz noch aktuell: Bei den olympischen Winterspielen 2014 in Sotschi waren von 8 positiven Funden 3 auf Methylhexanamin zurückzuführen, das Nahrungsergänzungsmitteln beigemengt war.

Ein großes Problem für den Endabnehmer solcher Präparate ist unter anderem die nicht eindeutige Kennzeichnung. Nur selten steht der korrekte Begriff Methylhexanamin oder das Synonym Dimethylpentylamin auf der Verpackung. Manchmal sind andere Begriffe genannt, die auf Methylhexanamin hinweisen, zum Beispiel Geraniumwurzelextrakt, Geranamine, Floradrene oder Forthane. In der Regel machen die Hersteller jedoch keinerlei Angaben zu der Substanz. Grundsätzlich gilt: Immer wenn ein Präparat mit extremen Effekten wirbt, kann man nicht ausschließen, dass nicht nur pflanzliche Substanzen enthalten sind.


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Leichter Zugang zu Dopingsubstanzen

Eine weitere problematische Substanz ist Oxilofrin, das 2013 durch positive Befunde auffiel. Das Sympathomimetikum wirkt ebenfalls als Stimulans und ist als Dopingmittel klassifiziert. Nahrungsergänzungsmittel mit Oxilofrin werben nicht nur mit ihrer Eigenschaft als Fatburner, sondern versprechen auch eine verbesserte kognitive Leistungsfähigkeit.

Da verdächtige Substanzen nach einer gewissen Zeit sport- und strafrechtlich sanktioniert werden, werden ständig neue Substanzen entwickelt. Seit September 2014 ist die Designersubstanz 1,3-Dimethylbutylamin aktuell. Sie kommt in verschiedenen Präparaten vor, die als Neuroenhancer, Trainingsbooster oder Fatburner verkauft werden. Besonders problematisch ist, dass diesen Nahrungsergänzungsmitteln mittlerweile auch Antidepressiva beigemengt werden.

Zu beziehen sind gefälschte Nahrungsergänzungsmittel günstig und unkompliziert über das Internet, auch in großen Mengen. Markt und Margen sind sehr groß.


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Entgleisung der Thermoregulation

Gesundheitsgefährdend sind Abnahmepräparate, die laut Zutatenliste Ephedrin, Coffein und Aspirin, zusätzlich aber noch 1 mg des Beta-2-Agonisten Clenbuterol pro Kapsel enthalten. Dies entspricht der 25-fachen Menge der üblichen Dosierung von 20 – 40 µg pro Tag. Sie führt zu unmittelbaren Intoxikationserscheinungen, die von Tremor bis zu Tachykardie reichen.

Ebenfalls gefährlich sind Kapseln mit Dinitrophenol, die 500 g Fettabbau in 24 Stunden versprechen. Sie bewirken eine Entgleisung der Thermoregulation mit Überhitzung und Hitzschlag und haben darüber hinaus kanzerogenes Potenzial. Testkäufe beweisen, wie einfach der Bezug dieser Präparate meist aus Fernost oder Osteuropa ist.

Auch Peptide und Proteine wie Growth Hormone Releasing Peptides (GHRPs) werden seit 2010 in Nahrungsergänzungsmitteln gefunden. Die gesundheitlichen Risiken dieser Substanzen sind jedoch überschaubar, weil die Bioverfügbarkeit nach oraler Verabreichung sehr gering ist und sie größtenteils verstoffwechselt über die Nieren wieder ausgeschieden werden.


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Mit Anabolika gefälschte Präparate

Den größten Anteil an gefälschten Nahrungsergänzungsmitteln haben Präparate, die Anabolika zum Muskelaufbau enthalten [5]. Sie sind als Kapseln, Brausetabletten oder Blades erhältlich, die wie Esspapier auf oder unter die Zunge gelegt werden.

Ein Präparat kam zum Beispiel 2002 auf den Markt und warb mit seiner muskelaufbauenden und kraftsteigernden Wirkung. Auf der Packung nicht angegeben war der Inhaltsstoff Metandienone – ein Anabolikum, das in einer Dosierung von 17,3 mg/g enthalten war, was der 3-fachen Menge der damals als therapeutisch definierten Tagesdosis entsprach.

Ein weiteres Beispiel lieferte der Fund von Dehydrochloromethyl-testosteron, ein in den 1970er- und 80er-Jahren gängiger Wirkstoff im Rahmen der Dopingstrategien der ehemaligen DDR, in Präparaten, deren Zutatenliste den hochpotenten anabolen Inhaltsstoff nicht aufgeführt hatte. Maximal 10 mg pro Tag galt damals als Therapierahmen; das untersuchte Präparat enthielt aber ca. 15 mg pro Kapsel.

Gängige anabol-androgene Steroide werden auch in abgewandelter Form eingesetzt, vermeintlich damit sie weniger leicht identifiziert und (strafrechtlich) verfolgt werden können. Sie finden ihren Weg als Designersteroide in den Schwarz- und Graumarkt. Auch anabol-androgene Steroide werden überwiegend aus fernöstlichen Quellen bezogen. Die Qualität rangiert von sehr gut bis sehr schlecht.

Bei dem neuesten Verkaufstrick für Nahrungsergänzungsmittel benutzen die Hersteller klassische Begriffe aus der Anabolika-Szene. Die Präparate heißen zum Beispiel Oral T-Bol, Oxandra oder Danabol. Tatsächlich enthalten sie aber keine Steroide, sondern nur Vitamine. Diese Präparate generieren einen Absatz, der etwas anderes suggeriert, als der Käufer erwartet.


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Auf Nummer sicher mit der Kölner Liste

Unbeabsichtigte Dopingfälle durch Nahrungsergänzungsmittel lassen sich durch einen kritischen Umgang vermeiden: Grundsätzlich sollte ihre Einnahme aus medizinischer oder ernährungswissenschaftlicher Sicht begründet sein. Zudem sollte man Präparate mit extremer Werbung und aus unsicheren Quellen meiden.

In der Service-Datenbank Kölner Liste (www.koelnerliste.com) finden Sportler und Sportinteressierte einen Überblick über Nahrungsergänzungsmittel mit geringem Dopingrisiko, die auf Anabolika und Stimulanzien überprüft und negativ getestet worden sind. Die Angaben beziehen sich immer auf einzelne Chargen und sagen nichts über jüngere oder ältere Chargen aus. Wer dort gelistete Produkte einnimmt, reduziert das Risiko, in eine Dopingfalle zu tappen.


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Interessenkonflikt

Der Autor hat keinen Interessenkonflikt.

  • Literatur

  • 1 Geyer H, Braun H, Burke LM et al. Inadvertent doping. In: A–Z of nutritional supplements: dietary supplements, sports nutrition foods and ergogenic aids for health and performance – Part 22. Br J Sports Med 2011; 45: 752
  • 2 Geyer H, Parr MK, Mareck U et al. Analysis of non-hormonal nutritional supplements for anabolic-androgenic steroids – results of an international study. Int J Sports Med 2004; 25: 124
  • 3 Geyer H, Parr MK, Koehler K et al. Nutritional supplements cross-contaminated and faked with doping substances. J Mass Spectrom 2008; 43: 892
  • 4 ElSohly MA, Gul W, Tolbert C et al. Methylhexanamine is not detectable in Pelargonium or Geranium species and their essential oils: A multi-centre investigation. Drug Test Anal 2015; 7: 645
  • 5 Geyer H, Schänzer W, Thevis M. Anabolic agents: recent strategies for their detection and protection from inadvertent doping. Br J Sports Med 2014; 48: 820

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. Mario Thevis
Institut für Biochemie, Deutsche Sporthochschule Köln
Am Sportpark Müngersdorf 6
50933 Köln
Phone: 0221/4982-7070   

  • Literatur

  • 1 Geyer H, Braun H, Burke LM et al. Inadvertent doping. In: A–Z of nutritional supplements: dietary supplements, sports nutrition foods and ergogenic aids for health and performance – Part 22. Br J Sports Med 2011; 45: 752
  • 2 Geyer H, Parr MK, Mareck U et al. Analysis of non-hormonal nutritional supplements for anabolic-androgenic steroids – results of an international study. Int J Sports Med 2004; 25: 124
  • 3 Geyer H, Parr MK, Koehler K et al. Nutritional supplements cross-contaminated and faked with doping substances. J Mass Spectrom 2008; 43: 892
  • 4 ElSohly MA, Gul W, Tolbert C et al. Methylhexanamine is not detectable in Pelargonium or Geranium species and their essential oils: A multi-centre investigation. Drug Test Anal 2015; 7: 645
  • 5 Geyer H, Schänzer W, Thevis M. Anabolic agents: recent strategies for their detection and protection from inadvertent doping. Br J Sports Med 2014; 48: 820

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Abb. 1 Nachweis von Sibutramin-Metaboliten im Urin nach Einnahme einer Kapsel eines gefälschten sibutraminhaltigen Produkts.