Aktuelle Ernährungsmedizin 2016; 41(S 01): S27-S28
DOI: 10.1055/s-0042-102734
Übersicht
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Auf die Plätze, fertig – Mahlzeit! Praxis der Sporternährung für verschiedene Belastungsbereiche: Extremsport/Ausdauer

Ready, Steady – Enjoy Your Meal! The Practice of Sports Nutrition at Different Intensity Levels: Extreme Sports/Endurance
F. Hülsemann
Institut für Biochemie, Deutsche Sporthochschule Köln
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Korrespondenzadresse

Dr. Frank Hülsemann
Institut für Biochemie, Deutsche Sporthochschule Köln
Am Sportpark Müngersdorf 6
50933 Köln
Phone: 0221/4982-5060   

Publication History

Publication Date:
11 April 2016 (online)

 

Zusammenfassung

Ernährungsanalysen und -empfehlungen für Extremsportler im Ultra-Ausdauerbereich sowie für Expeditionen in lebensfeindlichen Umgebungen sind rar. Eine Studie mit Athleten eines 24-Stunden-Radrennens ergab ein Energiedefizit von über 5000 kcal trotz einer Aufnahme von annähernd 8000 kcal in 24 Stunden. Eine Kombination aus Sport-, Elektrolytprodukten und normalen Lebensmitteln erwies sich als praktikable Lösung für die Energie- und Nährstoffzufuhr. Im Gegensatz zu organisierten Wettkämpfen gibt es bei Expeditionen keine Versorgungsstationen. Am Fallbeispiel einer mehrwöchigen Wüstendurchquerung zu Fuß wurde der Energieverbrauch im Vorfeld bei simulierten Bedingungen im Labor ermittelt und diente als Basis für die Ernährungsplanung. Analysen vor und nach der Expedition zeigen die Veränderungen der Körperzusammensetzung und eine stark negative Energie- und Stickstoffbilanz.


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Abstract

Nutritional analyses and recommendations for athletes pursuing action sports/extreme sports in the ultra-endurance range and for expeditions into hostile terrains are rare. A study of athletes doing a 24-hour cycling race showed an energy deficit of more than 5000 kcal in spite of an intake of almost 8000 kcal in 24 hours. A combination of sports products, electrolyte products, and normal foods has proved to be a practical solution for energy and nutrient intake. In contrast to organised competitions there are no resupply stations during expeditions. The case example of a desert crossing on foot of several weeks’ duration was used to determine energy consumption in advance, under simulated conditions in the laboratory, and serves as a basis for nutrition planning. Analyses before and after expeditions show the differences in body composition and a strongly negative energy and nitrogen balance.


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Zu dem Bereich des Extremsports gehören sportliche Aktivitäten unter höchster physischer und psychischer Belastung, wie zum Beispiel Langdistanz-Ausdauerwettkämpfe (hauptsächlich Laufen, Radfahren oder Multisport) als auch Aktivitäten in lebensfeindlicher Umgebung wie Expedition und Bergsteigen.

Ein Beispiel für eine Extremsport-Wettkampfveranstaltung ist das 24-Stunden-Radrennen am Nürburgring. Eine Untersuchung von 10 Athleten zeigte, dass bei 348 – 557 gefahrenen Kilometern innerhalb von 24 Stunden im Schnitt 13 767 ± 2102 kcal verbraucht, allerdings nur 7966 ± 2399 kcal in 24 Stunden zugeführt wurden. Demnach wiesen die Athleten im Schnitt ein Energiedefizit von über 5000 kcal auf. Die Proteinzufuhr lag bei 1,7 ± 0,7 g pro kg Körpergewicht, der Fettanteil bei 19 %. Die Flüssigkeitsaufnahme betrug zwischen 4 und 20 l, dabei wurden hauptsächlich Elektrolytgetränke konsumiert, allerdings auch Limonaden, sogenannte Energydrinks bis hin zu Milchshakes und alkoholfreiem Bier.

Die Athleten wandten im Einzelnen stark abweichende Ernährungsstrategien an. Ein Sportler nahm zum Beispiel nur 4462 kcal in 24 Stunden zu sich, bei einem berechneten Energieverbrauch von über 14 000 kcal. Die Proteinzufuhr lag mit 0,2 g pro kg Körpergewicht deutlich unter den Empfehlungen für Ausdauerathleten [1], der Fettanteil der zugeführten Nahrung nur bei 2 %. Diese dem Energieumsatz nicht entsprechende Ernährung führte zu einem rapiden Leistungsabfall in der zweiten Hälfte des 24-Stunden-Rennens.

Generell nahmen die Athleten in den ersten Stunden vor allem Sport- und Elektrolytprodukte zu sich. Im Lauf des Rennens schwenkten sie immer mehr auf normale Lebemsmittel um: Sandwichs, Kekse, Pizza, Spaghetti mit Tomatensoße, Milchshakes etc. Grundsätzlich scheint solch eine Mischung aus Spezialnahrung und normalen Lebensmitteln eine gute Ernährungsstrategie für eine derartige Extrembelastung zu sein, wie auch schon bei anderen Studien gefunden wurde [2].

Solo durch die Atacama-Wüste

Anders als bei organisierten Ultra-Ausdauerwettkämpfen gibt es bei Expeditionen in menschenleere und unbewohnbare Regionen keine Verpflegungsstationen. Die Ernährungsplanung ist daher eine große Herausforderung. Als Fallbeispiel für eine Ernährungsstrategie diente eine Expedition in die Atacama-Wüste in Nordchile, die 25 Tage dauerte und in denen eine Strecke von 650 km, nur mit wenigen Möglichkeiten zur Wasseraufnahme, zu Fuß zurückgelegt wurde ([Abb. 1]).

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Abb. 1 Wie funktioniert die Versorgung mit Nahrung und Wasser, wenn ein Sportler alleine in 26 Tagen 650 km die Atacama-Wüste durchquert? (Quelle: Frank Hülsemann.)

Im Schnitt wurden 26 km pro Tag zurückgelegt, auf einer mittleren Höhe von 3103 m über dem Meer mit einem rund 31 kg schweren Rucksack [3]. Wie muss die Ernährung aussehen, um unter dieser Belastung und mit begrenzten Ressourcen durchzukommen? Um das zu untersuchen, wurden die Bedingungen im Vorfeld im Labor simuliert: Der Sportler lief auf einem stationären Laufband mit und ohne Rucksack, bei verschiedenen Geschwindigkeiten, in einer Höhenkammer und auf Meeresniveau als auch in der Ebene und bergauf. Dabei wurde für eine Gehgeschwindigkeit von 4 km/h ein maximaler Energieverbrauch von ca. 130 kcal pro gelaufenem Kilometer ermittelt. Zum Vergleich: Der Energieverbrauch beim Gehen ohne Gepäck und Steigung auf Meereshöhe liegt für diesen Athleten bei 35 kcal pro Kilometer.


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Proviant mit hoher Energiedichte

Auf Basis dieser Daten konnte ein Ernährungsplan aufgestellt werden. Dies erfolgte auch in Hinblick auf die begrenzte Kapazität an Lebensmitteln, die während der Expedition mitgeführt werden konnten. Dennoch musste der Stoffwechsel so gut wie möglich mit allen lebenswichtigen Nährstoffen versorgt werden.

Der Ernährungsplan enthielt spezielle Expeditionsnahrung wie gefriergetrocknetes Essen und High-Tech-Komplettnahrung ([Abb. 2]), aber auch Lebensmittel mit hoher Energiedichte wie Kekse, Olivenöl, Müsli etc. [3]. Als negativ wurde von dem Athleten im Nachhinein die fehlende Mitnahme von Süßigkeiten (Schokolade) angeführt, welche neben hoher Energiedichte anscheinend auch eine psychologische Rolle spielen kann.

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Abb. 2 Ideal für Expeditionen: Komplettnahrung in Pulverform mit hoher Energiedichte, die mit kaltem oder warmem Wasser angerührt wird. (Quelle: Michael Giefer, Frank Hülsemann.)

Die Wassermenge zu kalkulieren war schwierig: Höhe, Wüstenklima und körperliche Belastung erhöhen den Wasserbedarf. Für die Wasserversorgung gab es auf der gesamten Strecke nur sechs Quellen – kleine Wasserlöcher oder Bäche, die mit GPS und Karte geortet werden mussten. Dabei entsprach die zurückzulegende Distanz der Querung eines Gebietes in der Größe Bayerns: In diesem Gebiet gibt es nur wenige Wasserstellen, deren Trinkwasserqualität zudem fraglich ist. Versalzenes oder verschmutztes Wasser wurde mithilfe eines tragbaren Entsalzers beziehungsweise mit Aktivkohlefiltern gereinigt. An jeder Wasserstelle wurde ein Vorrat für die nächsten 3 – 4 Tage abgefüllt. Dadurch erhöhte sich das zu tragende Gewicht zwischenzeitlich auf über 40 kg. Der durchschnittliche Wasserverbrauch lag bei 3,5 – 4 l pro Tag.

Dem Kalorienverbrauch von durchschnittlich 4817 ± 794 kcal stand eine Zufuhr von nur 1771 ± 685 kcal pro Tag gegenüber. Dieses Energiedefizit von mehr als 3000 kcal pro Tag wurde durch körpereigene Reserven ausgeglichen und führte zu einem Gewichtsverlust von 11,5 kg. Eine segmentielle morphologische Analyse zeigte einen Verlust von Körpervolumen insbesondere im unteren Rumpfbereich (– 21 %) [3]. Die Stickstoffbilanz war während der Expedition extrem negativ, was auf einen katabolen Stoffwechsel einhergehend mit (reversiblem) Muskelabbau hinweist.


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Interessenkonflikt

Der Autor hat keinen Interessenkonflikt.

  • Literatur

  • 1 Tarnopolsky M. Protein requirements for endurance athletes. Nutrition 2004; 20: 662-668
  • 2 Geesmann B, Mester J, Koehler K. Energy Balance, Macronutrient Intake, and Hydration Status During a 1,230 km Ultra-Endurance Bike Marathon. International Journal of Sport Nutrition and Exercise Metabolism 2014; 24: 497-506
  • 3 Koehler K, Huelsemann F, de Marees M et al. Case study: simulated and real-life energy expenditure during a 3-week expedition. International Journal of Sport Nutrition and Exercise Metabolism 2011; 21: 520

Korrespondenzadresse

Dr. Frank Hülsemann
Institut für Biochemie, Deutsche Sporthochschule Köln
Am Sportpark Müngersdorf 6
50933 Köln
Phone: 0221/4982-5060   

  • Literatur

  • 1 Tarnopolsky M. Protein requirements for endurance athletes. Nutrition 2004; 20: 662-668
  • 2 Geesmann B, Mester J, Koehler K. Energy Balance, Macronutrient Intake, and Hydration Status During a 1,230 km Ultra-Endurance Bike Marathon. International Journal of Sport Nutrition and Exercise Metabolism 2014; 24: 497-506
  • 3 Koehler K, Huelsemann F, de Marees M et al. Case study: simulated and real-life energy expenditure during a 3-week expedition. International Journal of Sport Nutrition and Exercise Metabolism 2011; 21: 520

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Abb. 1 Wie funktioniert die Versorgung mit Nahrung und Wasser, wenn ein Sportler alleine in 26 Tagen 650 km die Atacama-Wüste durchquert? (Quelle: Frank Hülsemann.)
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Abb. 2 Ideal für Expeditionen: Komplettnahrung in Pulverform mit hoher Energiedichte, die mit kaltem oder warmem Wasser angerührt wird. (Quelle: Michael Giefer, Frank Hülsemann.)