Klin Monbl Augenheilkd 2002; 219(6): 422-428
DOI: 10.1055/s-2002-32883
Klinische Studie
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Bessern Prismen nach Hans-Joachim Haase die Stereosehschärfe?

Do prisms according to Hans-Joachim Haase improve stereoacuity?Miriam  Kromeier1 , Christina  Schmitt1 , Michael  Bach1 , Guntram  Kommerell1
  • 1Abteilung Neuroophthalmologie und Schielbehandlung (kommiss. ärztlicher Leiter: PD Dr. W. Lagrèze), Universitäts-Augenklinik Freiburg
Unterstützt von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (KO 761/1-2). Für die Durchführung der Mess- und Korrektionsmethodik nach H.-J. Haase bei unseren 10 Versuchspersonen und für lebhafte Diskussion unseres Manuskripts danken wir Herrn Volkhard Schroth (Freiburg). Wertvolle Anregungen verdanken wir ferner den Herren Wolfgang Cagnolati (Duisburg), Prof. Ralph Krüger (Berlin) und Georg Stollenwerk (Limburg).Herrn Professor Dr. med. Heinrich Witschel zu seinem 65. Geburtstag gewidmet
Further Information

Publication History

1. 3. 2002

6. 5. 2002

Publication Date:
22 July 2002 (online)

Zusammenfassung

Hintergrund: Mit der Mess- und Korrektionsmethodik nach H.-J. Haase (MKH) wird angestrebt, eine mit einer Serie subjektiver Tests diagnostizierte „Fixationsdisparation” prismatisch zu korrigieren, um eine bizentrale Bildlage zu erreichen. Unkorrigiert, so H.-J. Haase, könne im zentralen Bereich der Netzhäute eine „disparate Korrespondenz” entstehen. Diese verfestige die Vergenzfehlstellung allmählich, so dass aus einer „jungen Fixationsdisparation” eine „alte” entstehen könne. Bei „alter Fixationsdisparation” komme eine bizentrale Bildlage spontan nicht mehr vor. Dies beeinträchtige die Stereosehschärfe. Mit einer Prismenbrille könne es bei „alter Fixationsdisparation” aber noch gelingen, bizentrale Bildlage herbeizuführen und dadurch die Stereosehschärfe zu bessern. Methode: Zehn nicht schielende Personen mit Sehschärfe ≥ 1,0 wurden untersucht. Alle 10 machten bei der MKH Angaben entsprechend einer „disparaten Korrespondenz”, bei 5 wurde eine „junge” und bei 5 eine „alte Fixationsdisparation” diagnostiziert. Außerdem wurde das den Richtlinien der MKH entsprechende Korrektionsprisma bestimmt. Alle 10 Personen wurden dem automatischen Freiburger Stereosehschärfetest ohne und mit MKH-Prisma unterzogen. Ergebnisse: Ohne MKH-Prisma lag die Stereosehschärfe bei allen 10 Personen zwischen 1,5 und 14,5 Winkelsekunden. Die Werte mit MKH-Prisma unterschieden sich davon nicht signifikant. Schlussfolgerung: Sowohl bei den 5 Versuchspersonen mit „junger” als auch den 5 mit „alter” Fixationsdisparation war die Stereosehschärfe bereits ohne MKH-Prisma gut bis sehr gut. Das MKH-Prisma verbesserte die Stereosehschärfe bei keiner Versuchsperson. Diese Befunde lassen daran zweifeln, dass man aufgrund der Diagnose einer „alten Fixationsdisparation” auf eine schlechte Stereosehschärfe schließen kann. Dies wäre aber die Voraussetzung für die Erwartung, man könne durch prismatische Korrektion einer „alten Fixationsdisparation” die Stereosehschärfe verbessern. Bei den 5 Versuchspersonen mit „junger Fixationsdisparation” war laut MKH bereits ohne Prisma eine hohe Stereosehschärfe zu erwarten. Demnach kann das MKH-Prisma auch bei „junger Fixationsdisparation” nicht mit einem Gewinn an Stereosehschärfe begründet werden. In früheren Studien war mit MKH-Prisma eine höhere Stereosehschärfe gefunden worden als ohne Prisma. Die Aussagekraft dieser Studien ist aber fragwürdig, da in ihnen der Lerneffekt bei Testwiederholung nicht berücksichtigt wurde. Zusammenfassend kann daher gesagt werden: Es gibt keinen stichhaltigen Beleg dafür, dass das MKH-Prisma die Stereosehschärfe verbessern kann.

Abstract

Background: The „Measuring and Correcting Methodology” after H.-J. Haase (MKH) aims at converting „fixation disparity” into bicentral fixation, using prismatic spectacles. In the context of the MKH, fixation disparity is diagnosed by a series of subjective tests. According to H.-J. Haase, a long-standing fixation disparity can lead to „disparate correspondence” between the central areas of both retinae, which consolidates the fixation disparity and gradually converts a „young” into an „old fixation disparity”. In „old fixation disparity” it is thought that bicentral fixation does not occur anymore, so that stereoacuity is impaired. However, prismatic spectacles can, according to H.-J. Haase, restitute bicentral fixation and consequently improve stereoacuity, even in some cases of „old fixation disparity”. Methods: Ten non-strabismic subjects with a visual acuity of ≥ 1.0 in both eyes were examined. It turned out that all ten had, according to MKH, a „disparate correspondence”, 5 subjects with a „young” and 5 with an „old fixation disparity”. According to the MKH, a correcting prism was determined. All 10 subjects underwent the automatic Freiburg Stereoacuity Test, without and with the MKH-prism. Results: Without the MKH-prism, the stereoscopic threshold ranged between 1.5 and 14.5 arcsec. With the MKH-prism, the values were not significantly different. Conclusion: Stereoacuity ranged between good and excellent in the 5 subjects with „young” as well as in the 5 subjects with „old fixation disparity”. The MKH-prism did not improve the stereoacuity in any of the subjects. These results cast doubt on Haase's assertion that an „old fixation disparity” implies a reduced stereoacuity. Hence, the premise for a benefit of the MKH-prism with respect of stereoacuity is not substantiated. In the 5 subjects with a „young fixation disparity”, the good stereoacuity is consistent with Haase's theory, so that a benefit of the MKH-prism for stereoacuity was not expected. In previous studies, stereoacuity was found to be better with the MKH-prism than without it. These studies are questionable since learning with repeated testing was not taken into account. We conclude that there is no sound evidence for the assumption that the MKH-prism can improve stereoacuity.

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Dr. med. Miriam Kromeier

Abteilung Neuroophthalmologie und Schielbehandlung · Universitäts-Augenklinik Freiburg

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