Klin Monbl Augenheilkd 2002; 219(11): 767-768
DOI: 10.1055/s-2002-36324
Editioral
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Über die deutsch-amerikanischen Beziehungen in der Ophthalmologie (Ansprache von F. C. Blodi am 4. Dezember 1990 in Leipzig)

On German-American Relations in Ophthalmology (Address by F. C. Blodi on 4 December 1990 in Leipzig)P.  K.  Lommatzsch
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Publication Date:
19 December 2002 (online)

Die weltpolitischen Ereignisse nach dem Terrorangriff auf das World Trade Center in New York vom 11. September 2001 haben für viele von uns unerwartet mancherorts Diskussionen mit antiamerikanischen Tendenzen ausgelöst, nicht zuletzt auch durch undiplomatische Äußerungen einiger deutscher Politiker kam es zu diesen „atmosphärischen Störungen” unserer gegenseitigen Beziehungen. Einer solchen unglückseligen Entwicklung können und dürfen wir nicht tatenlos zusehen, denn schließlich bestehen enge Kontakte seit mehr als 200 Jahren zwischen Augenärzten beider Länder. Wir sind daher aufgefordert, alles zu unternehmen, damit diese historisch gewachsene freundschaftliche Beziehung speziell zwischen deutschsprachigen Augenärzten und Kollegen in den USA nicht durch den tagespolitischen Zeitgeist beschädigt wird. Uns verbinden nicht nur fachliche gegenseitige Achtung und Anerkennung, sondern auch vielseitige persönliche Kontakte, sei es in wissenschaftlichen Gremien oder in persönlichen Freundschaften.

Dieses wird uns besonders deutlich vor Augen geführt bei der Lektüre einer Rede von Frederick C. Blodi, die er im Dezember 1990 vor der medizinischen Fakultät der Universität Leipzig anlässlich seiner Ernennung zum doctor honoris causae gehalten hat. Die damalige Leipziger Fakultät wollte während der Tage des Zerfalls des Eisernen Vorhangs und der Berliner Mauer mit Blodi einen Wissenschaftler und Kliniker ehren, der sich ganz besonders intensiv, vor allem auch in den Jahren des Kalten Krieges, um enge freundschaftliche Beziehungen zwischen deutschen, österreichischen und amerikanischen Kollegen bemüht hat. Seine damalige Rede wurde leider nicht publiziert. Auf meine Bitte hin hat er mir noch kurz vor seiner schweren Erkrankung das handgetippte Manuskript seiner Ansprache gesandt, dessen Inhalt hier in Erinnerung gerufen werden soll:

Keine andere fremdsprachige Augenheilkunde hat einen solchen Einfluss auf die junge amerikanische Ophthalmologie ausgeübt, als die deutsche.

Schon der erste, wirklich ausgebildete amerikanische Ophthalmologe, Georg Frick aus Baltimore, studierte um 1800 in Wien, betrachtete Beer immer als seinen Lehrer und zog sich nach seiner Emeritierung nach Deutschland zurück. Er starb im Sachsenlande nicht weit von hier.

Der einflussreichste der deutschen Augenärzte des 19. Jahrhunderts, der nach Amerika auswanderte, war zweifelsohne Hermann Knapp, der vor dem Ausbruch des Preußisch-Französischen Krieges Europa verließ. Er war damals 36 Jahre alt und schon ein angesehener Augenarzt und Professor in Heidelberg. Er suchte aber ein weiteres Betätigungsfeld und war mit dem Bauprogramm der Universität Heidelberg nicht zufrieden. Er gründete in New York ein Spital für Augen- und Ohrenkranke, entwickelte eine große Privatpraxis und arbeitet fleißig wissenschaftlich.

Seinen größten Einfluss übte er aber durch die Gründung des Archives für Augenheilkunde aus. Dieses erschien gleichzeitig in einer englischen Ausgabe, die in New York gedruckt wurde. Diese zwei Parallelausgaben existierten bis zum Zweiten Weltkrieg, aber trennten sich dann. Das deutsche Archiv ging in andere Zeitschriften über, während die amerikanischen Archives of Ophthalmology sich dank der Qualität ihrer Beiträge zu einem der angesehensten augenärztlichen Journale entwickelten. Mit einer Auflagenzahl von mehr als 18 000 sind die Archives auch die meist gelesene ophthalmologische Zeitschrift des Westens. Hermann Knapp und sein Sohn Arnold waren für viele Jahrzehnte Schriftleiter der Archives. Sie beeinflussten die Entwicklung der amerikanischen Augenheilkunde in maßgeblicher Weise.

Mehr als 100 Jahre sind vergangen, seit Karl Koller entdeckte, dass Kokain ein örtliches Betäubungsmittel für Schleimhäute darstellt. Das hat unsere Einstellung zu augenärztlichen Operationen radikal geändert und zum Wohlergehen von Millionen Patienten beigetragen. Koller machte diese Entdeckung, als er für ein Jahr am Institut für experimentelle Pathologie der Universität Wien arbeitete, da er auf eine Stelle an der Augenklinik warten musste. Kurz nach Beendigung seiner augenärztlichen Ausbildung wanderte Koller nach New York aus und arbeitet dort zurückgezogen und bescheiden in einer Privatpraxis. Er wurde von amerikanischen und deutschen ophthalmologischen Gesellschaften hoch geehrt und starb betagt gegen Ende des Zweiten Weltkrieges.

Ein dritter deutscher Augenarzt, der im vorigen Jahrhundert nach Amerika zog, war Julius Homberger. Er war eine umstrittene Figur, sicherlich ein Abenteurer und Entrepreneur, vielleicht sogar ein Scharlatan. Er promovierte in Würzburg, hatte eine kurze Ausbildung bei v. Graefe in Berlin, unter Sichel in Paris und unter Bowman in London. Nur 22 Jahre alt, wanderte er vor dem Ausbruch des amerikanischen Bürgerkrieges nach New York aus. Homberger war überheblich und egoistisch. Er verfeindete sich mit den ansässigen Augenärzten und machte Reklame, weswegen er von der American Medical Association ausgeschlossen wurde. Nach 10 Jahren übersiedelte er nach New Orleans, wo er bald starb, wahrscheinlich an Malaria. Und doch hat auch Homberger zur Entwicklung der amerikanischen Augenheilkunde beigetragen. Sicherlich war er sehr fleißig, veröffentlichte mehrere Arbeiten, einige davon sogar ganz originell. Er gab auch ein American Journal of Ophthalmology heraus. Obwohl es nur zwei Jahre existierte (1862 - 64), war es doch die erste ophthalmologische Fachzeitschrift in Amerika. Mit dem heutigen, hochangesehenen Journal hat es nichts gemeinsam als den Titel.

Ein Augenarzt des deutschen Sprachraumes, der in diesem Jahrhundert nach Amerika auswanderte, war Ludwig Sallmann. Er arbeitet mit Lindner und Pillat an der zweiten Wiener Universitätsaugenklinik unter Dimmer. Während des Ersten Weltkrieges diente er in der österreichischen Marine. Er war auch ein ausgezeichneter Sportler und Mitglied der österreichischen olympischen Fechtmannschaft. Für ein Jahr war er 1930 Chef der Augenabteilung des Union Colleges in Peking, China, wo er Pillat folgte und Kronfeld voranging. Vor dem Zweiten Weltkrieg ging er nach New York, wo er auf Einladung Arnold Knapps an dessen Institut arbeitete. Als das Institut in die Columbia Universität einverleibt wurde, wurde Sallmann Direktor der Forschungsabteilung. Mit 65 Jahren musste er in Pension gehen, zog aber nach Bethesda in Maryland, wo er noch mehr als 10 Jahre in den Institutes of Health arbeitete. Sallmann war sicher einer der produktivsten und profiliertesten ophthalmologischen Forscher in Amerika. Er verband tiefe Kenntnis in Biochemie, Physiologie und Pharmakologie mit ausgezeichnetem klinischen Wissen. Sein Einfluss auf die amerikanische Augenheilkunde kann nicht überschätzt werden.

Peter Kronfeld stammte aus einer alten Wiener Patrizierfamilie. Sein Vater war für einige Jahre Chefredakteur der angesehenen Wiener Medizinischen Wochenschrift. Sein Vater überquerte als erster im Segelflugzeug den Ärmelkanal. Sein Bruder Otto war ein bedeutender Biochemiker, der mit mir Medizin studierte und dann Internist wurde. Kronfeld arbeitete an der Meller Klinik, ging aber schon 1927 für ein Jahr zur University of Chicago. Ab 1930 arbeitete er sechs Jahre in Peking. Vor dem Zweiten Weltkrieg kehrte er nach Chicago zurück, wo er schließlich Ordinarius für Augenheilkunde an der University of Illinois wurde. Kronfeld war nicht nur ein ausgezeichneter Operateur, sondern auch ein wirkungsvoller Lehrer und vortrefflicher Forscher. Er beschäftigte sich besonders mit der Physiologie des Gesichtssinnes und dem Glaukom. Er übte einen großen Einfluss besonders im Mittelwesten aus.

Schließlich möchte ich noch eine charmante und gebildete Dame erwähnen, Berta Klien. Sie arbeitete auch an der Klinik Meller, heiratete 1929 den Hals-Nasen-Ohrenarzt Dr. Moncrieff und zog nach Chicago. Dort war sie mit der University of Illinois verbunden. Dr. Klien war künstlerisch sehr begabt. Sie spielte ausgezeichnet Klavier (der Konzertpianist Walter Klien ist ihr Vetter) und war auch eine gute Malerin und Zeichnerin. Ihr Hauptinteresse galt den Zusammenhängen zwischen Augenspiegelbefunden und histologischen Untersuchungen. Die meisten ihrer Veröffentlichungen sind mit ihren eigenen Zeichnungen und Illustrationen geschmückt.

Ich möchte mit zwei Zitaten schließen, die beide den Genius loci und Genius temporis reflektieren. Das eine stammt aus Schillers Lied an die Freude. Sie alle können sich gewiß erinnern, dass Leonard Bernstein in dem ersten Konzert im wiedervereinten Berlin Beethovens 9. Sinfonie dirigierte, in der er das Lied an die Freude durch ein Lied an die Freiheit ersetzte. Das Lied wurde ja hier in Leipzig geschrieben und für besonders treffend halte ich den letzten Vers:

Freiheit von Tyrannenketten
Großmut auch dem Bösewicht,
Hoffnung auf den Sterbebetten,
Gnade vor dem Großgericht.

Auch die Toten sollen leben,
Trinket Brüder und stimmt ein,
allen Sündern sei vergeben
und die Hölle nicht mehr sein.

Das zweite ist von Goethe, der Faust sagen lässt: „Das ist der Weisheit letzter Schluss: Nur der verdient sich Freiheit wie das Leben, der täglich sie erobern muss.”

Prof. P. K. Lommatzsch

Goldschmidtstraße 30

04103 Leipzig

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