Gesundheitswesen 2008; 70(4): 219-230
DOI: 10.1055/s-2008-1065359
Originalarbeit

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Zur Frage des volkswirtschaftlichen Nutzens der Leistungen von Selbsthilfegruppen

The Economic Benefits of Self-Help AssociationsA. Trojan 1 , S. Nickel 1 , H. D. Engelhardt 2
  • 1Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Zentrum für Psychosoziale Medizin, Institut für Medizin-Soziologie
  • 2Hochschule München, Fakultät für angewandte Sozialwissenschaften
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Publication Date:
29 May 2008 (online)

Zusammenfassung

Ziele: Im Vordergrund des Beitrags steht die Frage, welche Leistungen durch Selbsthilfezusammenschlüsse für sich selbst und andere erbracht werden und wie diese Leistungen volkswirtschaftlich zu bewerten sind.

Methodik: Kritische Analyse vorhandener Konzepte ökonomischer Bewertung und Empirie mittels Sekundäranalyse publizierter Studien sowie Re-Analyse eigener Primärdaten aus der Hamburger Selbsthilfe-Studie 2003 (n=345 oder 52,4% der in Hamburg bei KISS registrierten Selbsthilfezusammenschlüsse).

Ergebnisse: Die meisten Forschungsansätze zur Ermittlung des volkswirtschaftlichen Nutzens von Selbsthilfegruppen folgen dem Modell der outputbezogenen Kosten-Nutzen-Analyse, mit deren Hilfe die Tätigkeiten der Mitglieder monetär bewertet werden. Für Hamburg ergibt sich eine produktive Arbeitsleistung von knapp unter 1,8 Millionen Euro im Monat und 21,5 Millionen im Jahr; darüber hinaus besteht ein zusätzliches Mobilisierungspotenzial für freiwillige Arbeit in Höhe von ca. 300 000 Euro pro Monat.

Schlussfolgerung: Den Berechnungen liegen bestimmte Annahmen (z. B. Produktivitätsfaktor, Arbeitslöhne) zugrunde, deren Evidenz nicht abschließend geklärt werden kann. Angesichts des diskutierten Forschungsstandes halten wir es für vordringlich, sowohl outcome-orientierte Ansätze der ökonomischen Bewertung als auch für die gesamte Bundesrepublik repräsentative Untersuchungen voranzubringen.

Abstract

Objectives: This article primarily reflects on the economic benefits of self-help associations, and the problems of their adequate evaluation.

Methods: We present a critical discussion of the concepts in the economic evaluation and empiricism by secondary analysis of data available based on a review of published studies as well as the re-analysis of primary data from our Hamburg study in 2003 (n=345 or 52.4% of the self-help associations registered in Hamburg).

Results: Most approaches to evaluate the economic benefits of self-help groups were inspired by the idea of output-related, cost-benefit analysis, by which activities of members were monetarily estimated. Projected for Hamburg, the productive performance amounts to nearly 1.8 million Euro per month, and 21.5 million per year. Furthermore, additional voluntary commitment can be mobilized at 300 000 Euro per month.

Conclusion: All calculations are based on some assumptions (e.g., coefficient of productivity, wages) which cannot be finally verified. In view of the state of research reviewed we strongly recommend to bring forward both outcome-oriented approaches of economic evaluation, and new representative studies of self-help groups for Germany as a whole.

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1 Die verschiedenen absoluten Zahlen (N) der Antworter basieren darauf, dass nicht jede Frage von gleich vielen Personen beantwortet wurde und/oder beantwortet werden sollte (sog. Filterfragen). In die Berechnungen flossen daher nur die jeweils „gültigen” Antworten ein.

Korrespondenzadresse

Dr. phil. S. Nickel

Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf

Zentrum für Psychosoziale Medizin

Institut für Medizin-Soziologie

Martinistraße 52

20246 Hamburg

Email: nickel@uke.uni-hamburg.de

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