Sprache · Stimme · Gehör 2020; 44(03): 126-127
DOI: 10.1055/a-1197-9751
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Misophonie

Marsha Johnson war die erste, die die Empfindlichkeit gegenüber bestimmten Geräuschen in Online-Selbsthilfegruppen für Patienten mit Hyperakusis diskutierte und Ende der neunziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts ca. 500 Fälle mit verminderter Geräuschsensitivität dokumentiert hat. Sie bezeichnete das Phänomen als „Selective Sound Sensitivity Syndrome“ (selektives Geräuschempfindlichkeitssyndrom gegenüber jeder Art von Schall) – ein Begriff, der bis heute verwendet wird. Hiervon abzugrenzen ist der später geprägte Terminus „Misophonie“, der deutlich eine Hypersensitivität gegenüber Geräuschpegeln übersteigt und auf die amerikanischen Neurowissenschaftler Pawel J. und Magret M. Jastreboff [1, 2] zurückgeht. Er beschreibt eine Intoleranz gegenüber unschädlichen Geräuschen wie etwa Kauen von Möhren, Äpfeln, Chips; Schmatz- oder Schlürfgeräusche; Zerplatzen von Kaugummiblasen an den Lippen; Räuspern; Schniefen; Schnarchen; mit Fingern auf einer Oberfläche trommeln; Fingerknacken; Papier rascheln; Kugelschreiber Klicken; Trittgeräusche von Schuhen; Quietschen von Kreide beim Schreiben an der Wandtafel; Reibegeräusche auf Stoff (Tischdecke glatt Streichen) o. ä., die von anderen verursacht werden. Solche Geräusche lösen bei manchen Personen unangemessene, aversive Reaktionen aus (Wut, Ekel, Hass, Aggression) und können bei ihnen zu Abgelenktheit, Irritation, Konzentrations-, Denk- und Lernproblemen führen. Der Störungsbeginn liegt meistens bereits in Kindheit und Adoleszenz. Im Diagnostischen und Statistischen Manual Psychischer Störungen (DSM-V) der APA und in der ICD-10 der WHO ist „Misophonie“ nicht verschlüsselt, da ihr pathologischer Status bislang unklar ist (physiologische Reaktion? Symptom? eigenständige [neurologische, psychische] Störung?).

Fazit

Aazh et al. [11] präsentieren ein Fallformulierungsmodell für ein kognitiv-VT Vorgehen. Es startet mit der Untersuchung der anfänglichen emotionalen Reaktionen (Ärger, Irritation) und körperlichen Beschwerden (wie beschleunigter Herzschlag, flache Atmung, Schweißausbruch, Schwindel, Kribbeln auf der Haut, Übelkeit), wenn Betroffene mit individuell aversiven akustischen Reizen konfrontiert werden. Es folgt die Protokollierung der hieraus resultierenden negativen Gedanken und der weiteren emotionalen sowie physischen Reaktionen, die wiederum bewertende Überlegungen, etwa Selbstzweifel, bei Betroffenen zur Folge haben und somit einen Teufelskreis von Gedanken erzeugen. Der Interventionsansatz zielt darauf ab, genau diesen Kreislauf zu durchbrechen, indem Betroffene in der Exploration und Analyse ihrer negativen Gedanken unterstützt werden, um diese besser verarbeiten und modifizieren zu können.



Publication History

Article published online:
21 September 2020

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