Gesundheitswesen 2009; 71: S46-S51
DOI: 10.1055/s-0029-1216383
Ethik der Kosten-Nutzen-Bewertung

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Die Legitimation des IQWiG zur Kosten-Nutzen-Bewertung – eine juristische Analyse

Legitimation of IQWiG for Cost-Utility Evaluation – A Legal AnalysisS. Huster 1 , A. Penner 1
  • 1Institut für Sozialrecht Ruhr-Universität Bochum
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Publication Date:
14 July 2009 (online)

Einleitung

Die Qualität und die Wirtschaftlichkeit der öffentlichen Gesundheitsversorgung sicherzustellen, ist eine komplexe Aufgabe. Früher lag diese Aufgabe allein in den Händen des einzelnen Arztes, doch mit wachsender Wertschätzung und wachsenden Kosten der Versorgung musste sie auf eine breitere Grundlage gestellt werden. Das spiegelt sich in der institutionellen Entwicklung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) wider: Die Verantwortlichkeit für Qualität und Wirtschaftlichkeit wurde zunehmend Aufgabe der korporativen Akteure des Gesundheitswesens, die man schließlich beim Vorläufer des Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) zentralisierte und nun seit dem 01.06.2004 beim Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) nach internationalem Vorbild selbstständig institutionalisierte.

Dabei sollte das IQWiG zunächst vor allem den Nutzen und die Kosten von Arzneimitteln bewerten [1]. Überraschenderweise ist mit dem Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-WSG) [2] in letzter Minute des Gesetzgebungsverfahrens, nun dem IQWiG in § 35b I 1 SGB V, auch die Aufgabe zugewiesen worden, das Kosten-Nutzen-Verhältnis von Arzneimitteln zu bewerten. Damit ist aus zwei Gründen eine neue Dimension erreicht. Zum einen waren offene Kosten-Nutzen Abwägungen der GKV bisher fremd und zum anderen stellen sich hier Wertungsfragen, die bei der isolierten Beurteilung des Nutzens und der Kosten von Arzneimitteln nicht oder zumindest nicht in dieser Schärfe auftraten.

Aus juristischer, insbesondere verfassungsrechtlicher Sicht stellen sich nun zwei Fragen: Nach welchen inhaltlichen Maßstäben können und sollen Kosten-Nutzen-Bewertungen (KNB) vorgenommen werden? Da diese Frage, wie die bisherigen Erfahrungen mit KNB zeigen, kaum eine einhellige Antwort finden wird, wird die zweite Frage umso wichtiger, die daher auch im Mittelpunkt dieses Beitrages steht: Wer darf in welchem Verfahren eine KNB von Arzneimitteln vornehmen? Da der Gesetzgeber das IQWiG mit dieser Aufgabe betraut hat, kann man diese zweite Frage auch als Frage nach der Legitimation des IQWiG zur KNB verstehen.

Eben diese Legitimation ist vom IQWiG in der rechtswissenschaftlichen Diskussion bereits bestritten worden [3]. Demnach müssten Gerichte Entscheidungen zu Arzneimitteln, die auf Arbeiten des IQWiG aufbauen, die Anerkennung versagen. Ob das zutrifft, ist fraglich. Allerdings muss man sich zur Überprüfung in ein rechtlich unsicheres Terrain begeben. Denn die Quelle verfassungsrechtlicher Legitimationsanforderungen beruht auf einer überkommenen Vorstellung, nach der zwischen Staat und Gesellschaft säuberlich getrennt werden kann und der Staat zuvörderst in Form einer hierarchischen Verwaltung handelt, für die immer eine Verantwortlichkeiten des Parlaments durch die Auswahl und Überwachung von Amtswaltern sichergestellt werden kann. Diesen überkommenen Anforderungen werden weder der GBA noch das IQWiG gerecht. Doch wird diese überkommene Vorstellung modernen Modellen staatlicher Verwaltung ebenfalls nicht mehr gerecht; das Bundesverfassungsgericht hat sie daher flexibilisiert. Wie weit diese Flexibilisierung reicht, ist jedoch unklar. Einerseits erscheint das Grundgesetz offen gegenüber Entscheidungsformen, bei denen Staat und gesellschaftliche Institutionen zusammen arbeiten, andererseits riskiert man, mit der Anerkennung solcher Mischformen zu einer Verantwortungsdiffusion und Aufwertung von Partikularinteressen beizutragen.

Dieses Risiko zeigt beispielhaft die Konstruktion der KNB von Arzneimitteln. Der Gesetzgeber will und kann nicht über jedes einzelne Medikament selbst entscheiden und konzentriert daher die rechtliche Verantwortung beim GBA. Dieser stützt sich in der Sache auf Gutachten des IQWiG – und das IQWiG kontert, nur Vorarbeiten zu leisten, aber nicht zu entscheiden. Damit liegt der Spielball bei den Gerichten, wobei sich das Bundessozialgericht insoweit zurückhält, dass es zwar die Einhaltung der Verfahrensregeln und die Richtigkeit der Tatsachenannahmen, die den Arzneimittel-Richtlinien zu Grunde liegen, überprüft, doch wenn es um die Bewertung des Nutzens und der Wirtschaftlichkeit geht, nimmt es an, dass dem GBA ein nicht überprüfbarer Einschätzungsspielraum eingeräumt ist, der durch die fachkundige und interessenpluralistische Zusammensetzung gerechtfertigt sein soll [4]. Verfassungsrechtliche Bedenken hat das BSG nicht. Damit könnte nur noch das Bundesverfassungsgericht helfen. Das tut jedoch alles, um die „heiße Kartoffel”, der Legitimation der Selbstverwaltung in der GKV, nicht anfassen zu müssen. Am Schluss ist es keiner gewesen.

Literatur

  • 1 Das IQWiG ist nicht auf diese Aufgabe beschränkt . Vielmehr kann es zu allen in der GKV erbrachten Leistungen konkrete Stellungnahmen abgeben sowie allgemeine Informationen zur Verfügung stellen (s. § 139a III, 139b I 1 SGB V i. V. m. der Generalbeauftragung durch den GBA aufgrund des Beschlusses vom 21.12.2004 in der Fassung der Beschlüsse vom 18.07.2006 und 13.03.2008).  , Die vorliegende Untersuchung bleibt jedoch pars pro toto auf die KNB im Arzneimittelbereich beschränkt, soweit diese zur Grundlage von Leistungsbeschränkungen gemacht werden. Diese können die intensivsten Auswirkungen haben, die zugleich die größten rechtlichen Probleme aufwerfen.
  • 2 Bundesgesetzblatt I S. 378 vom 30.03.2007
  • 3 Vgl. insbesondere Gassner U . Legitimitätsprobleme der Kosten-Nutzen-Bewertung von Arzneimitteln.  Pharma Recht. 2007;  441-451, 445 f
  • 4 Amtliche Entscheidungssammlung des Bundessozialgerichtes: . , BSGE 96, 261, Rn 68, 73 ff
  • 5 Rechtsgrundlage für diese Maßnahmen sind die §§ 31 IIa, 34 I–III, 92 I, 135 SGB V
  • 6 Siehe dazu im Einzelnen das aktuelle Methodenpapier 2.0 i. d. F. vom 19.12.2006, die Entwurfsfassung 3.0 vom 15.11.2007 und den Entwurf des Methodenpapiers zur Kosten-Nutzen-Bewertung vom 24.01.2008 in der Fassung 1.0
  • 7 Die Optionalität wird zunehmende bestritten (Gassner U. Grund und Grenzen der Befugnis des G-BA zum Erlass von Therapiehinweisen. Zeitschrift für Arzneimittelrecht und Arzneimittelpolitik 2008: 3–10; IQWiG, FAQ Nr. 11 zu KNB auf http://www.iqwig.de ). Sollte dem IQWiG ein Alleinbegutachtungsrecht einzuräumen sein, gelten die Ausführungen unter III. zum Legitimationsbedarf erst Recht
  • 8 Vgl . , hierzu die §§ 31 Ia, 35b, 139b SGB V und die Ausführungen in der Gesetzesbegründung (Bundestags-Drucksache 15/1525: 89 und Bundestags-Drucksache 16/3100: 103)
  • 9 So Gassner U . , s. o. Fn 3, S. 444
  • 10 Siehe die Entscheidungen des BVerfG in der amtlichen Sammlung: E 47, 253, 274; E 83, 72, 73; E 107, 59, 87
  • 11 Breyer F, Zweifel P, Kifmann M. Gesundheitsökonomik, 5. Aufl. Berlin: Springer 2005: 65 Schöffski O, v. d. Schulenburg J-M, Gesundheitsökonomische Evaluationen. Berlin: Springer, 2007, 3. Aufl.: 42 u. 140. Greiner W. Ökonomische Evaluationen von Gesundheitsleistungen. Baden-Baden: Nomos, 1999: 96. Drummond MF, Sculpher MJ. Oxford: Oxford University Press, 3rd Ed: 47. Methods for the economic evaluation of health care programmes.
  • 12 Vgl. Bundestags-Drucksache 16/4247: 16 u 49
  • 13 Amtliche Entscheidungssammlung des Bundessozialgerichtes: BSGE 96, 261 Rn 44
  • 14 § 6 der Stiftungssatzung
  • 15 Vgl. Entscheidungen des BVerfG in der amtlichen Sammlung: E 93, 37, 70. E 107, 59, 88
  • 16 S. § 139a I SGB V u. §§ 5 II 5, 6 V der Stiftungssatzung
  • 17 Entscheidungen des BVerfG in der amtlichen Sammlung: E 107, 59, 92 f. E. 111, 191, 215 f
  • 18 Entscheidungen des BVerfG in der amtlichen Sammlung: E 107, 59, 87
  • 19 Entscheidungen des BVerfG in der amtlichen Sammlung: E 83, 60, 72; E 93, 37, 67
  • 20 Schöffski O,. ,  v. d. Schulenburg J-M, s. o. Fn1 188 f
  • 21 S. Fn 11 und Francke R, Hart D: Bewertungskösterien und methoden nach dem SGBV. Medizinrecht 2008: 2–36, 20; FAQ Nr. 19) zu KNB auf http://www.iqwig.de
  • 22 Instruktiv dazu .Francke R, Hart D, S. o.. Fn29. 2-36
  • 23 Methodenpapier zur Kosten-Nutzen-Bewertung vom 24.01.2008 in der Fassung 1.0, S. 29. Ebenso v. d. Schulenburg J-M, Vauth C, Mittendorf T, Greiner W. Methoden zur Ermittlung von Kosten-Nutzen-Relationen für Arzneimittel in Deutschland. Zeitschrift für Gesundheitsökonomie & Qualitätsmanagement 2007, Supplement: S3-S25, S12
  • 24 Methodenpapier zur Kosten-Nutzen-Bewertung vom 24.01.2008 in der Fassung 1.0, S. 43 ff
  • 25 Siehe im Einzelnen Methodenpapier zur Kosten-Nutzen-Bewertung vom 24.01.2008 in der Fassung 1.0, S. 24 ff
  • 26 Zum Rechtsprechungs- und Diskussionsstand aus Perspektive des BSG s. Schlegel R. Gerichtliche Kontrolle von Kriterien und Verfahren. Medizinrecht 2008: 30, 31. Zur rechtswissenschaftlichen Sicht s. Kingreen T. Verfassungsrechtliche Grenzen der Rechtsetzungsbefugnis des Gemeinsamen Bundesausschusses im Gesundheitsrecht. Neue Juristische Wochenschrift 2006: 877–880 u. ders. Gerichtliche Kontrolle von Kriterien und Verfahren im Gesundheitsrecht. Medizinrecht 2007: 457–464: 463 f; Gassner U. s. o. Fn 3: 443f
  • 27 Dazu Gassner U. s. o. Fn 3: 447 ff. Francke R, Hart D. Medizinrecht 2008: 2–36, 23 f, die im Übrigen demonstrieren, dass über eine systematische Auslegung sehr weitgehende Vorgaben insbesondere für die Nutzenbewertung zu gewinnen sind (aaO S. 2 ff)

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. S. Huster

Institut für Sozialrecht

Ruhr-Universität Bochum

Email: Stefan.huster@ruhr-uni-bochum.de

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