Gesundheitsökonomie & Qualitätsmanagement 2003; 8(6): 376-378
DOI: 10.1055/s-2003-45521
Originalarbeit
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Gegen Krankheit, Armut und politische Instabilität

Gesundheitsinvestitionen unterbrechen den unheilvollen KreislaufAgainst Illness, Proverty and Political Instability - Health Investments Break the Fatal CycleJ. Möller1 , C. Schmidt2 , A.-K Sonntag3
  • 1Universität Bielefeld - Fakultät für Gesundheitswissenschaften - WHO Collaborating CenterArbeitsgruppe 5: Management im Gesundheitswesen (Direktor: Prof. Dr. B. Güntert)
  • 2Klinik für Allgemeine Chirurgie und Thoraxchirurgie (Direktor: Prof. Dr. B. Kremer), Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel
  • 3Institut für Hygiene (Direktor: Prof. Dr. H. Karch), Universitätsklinikum Münster
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Publication Date:
07 January 2004 (online)

Zusammenhang zwischen Krankheit, Armut und politischer Instabilität

Krankheit macht arm und Armut verursacht Krankheit [1]. Und dort, wo die gesundheitliche und wirtschaftliche Situation der Bevölkerung schlecht sind, ist die Gefahr von politischer Instabilität, Staatsversagen und Bürgerkriegen besonders groß [2]. Die Umkehrung dieses Zusammenhangs gilt ebenfalls. Gesundheit führt zu Wohlstand, wirtschaftlicher Entwicklung und politischer Stabilität [3]. Bessere Gesundheit in Entwicklungsländern wirkt sich daher auch in wohlhabenden Ländern positiv aus [4]. Diese Tatsache wird erst wenig akzeptiert, doch die Beweislage und Wirkmechanismen sind eindeutig. Sie werden als Nächstes dargelegt und diskutiert.

Beweislage

Gesundheit ist eine wichtige Voraussetzung für Wohlstand und politische Stabilität. Dafür sprechen mehrere Tatsachen.

Erste Erfahrungen stammen aus den ostasiatischen Ländern [3]. Dort kam es nach dem Zweiten Weltkrieg durch eine modernisierte Gesundheitsversorgung (z. B. Arzneien wie Antibiotika, sauberes Trinkwasser) zu einer drastischen Senkung der Sterblichkeit. Nachdem bald darauf die Geburtenquote abnahm, gab es seit Mitte der 50er-Jahre erstmals mehr erwerbstätige Erwachsene als Kinder unter 5 Jahren und als Alte über 55 Jahren. Dieser Wandel der Bevölkerungsstruktur war eine wichtige Voraussetzung für das ostasiatische Wirtschaftswunder der 60er- und 70er-Jahre. „Health improvements can therefore be seen to be one of the major pillars upon which East Asia’s phenomenal economic achievements were based” [3].

Wirtschaftliches Wachstum ist auch in solchen Ländern besser möglich, die für den Handel offen sind, deren Bildungsstand<!?breakb b16> hoch ist und in denen Rechtssicherheit herrscht [4]. Das sind typischerweise Industrieländer. Und nur gesundheitliche Faktoren können deren Vorteilssituationen ruinieren. Sobald die Lebenserwartung niedrig, die Kindersterblichkeit hoch oder Infektionskrankheiten verbreitet sind - allen voran AIDS und Malaria -, verändert sich die Situation [5]. Sofort ist ein signifikant schwächeres Pro-Kopf-Wachstum zu verzeichnen. Bereits 10 % Unterschied in der Lebenserwartung ergeben Unterschiede im Wachstum des Pro-Kopf-Einkommens von 0,3 bis 0,4 % pro Jahr [6]. Das ist besonders viel, wenn man bedenkt, dass die Lebenserwartung in den am wenigsten entwickelten Ländern der Welt derzeit mit 51 Jahren rund 27 Jahre niedriger ist als in Deutschland und zum Teil sogar rückläufig [2]. In malariaverseuchten Ländern lag das jährliche Wirtschaftswachstum in den vergangenen Jahrzehnten um 1,3 % niedriger als in Ländern, in denen Malaria nicht verbreitet ist. Ohne Malaria wäre dort heute das Pro-Kopf-Einkommen doppelt so hoch [7].

Wirkmechanismen

Aus dieser Beweislage können mehrere Wirkmechanismen abgeleitet werden.

Produktivität Gesellschaften mit einem schlechteren Gesundheitszustand der Bevölkerung haben eine geringere Arbeitsproduktivität. Ihre Mitglieder haben weniger berufliches Durchhaltevermögen und sie sind auch mental schwächer als gesündere Populationen 8. Sie haben mehr Krankheitstage, weil sie selbst krank sind oder weil sie sich um kranke Familienmitglieder kümmern müssen. Das führt zu Armut und politischer Unzufriedenheit 6. Bei Tagelöhnern in Indonesien, die an Anämie leiden, sind Arbeitsproduktivität und Einkommen um rund 20 % niedriger als bei Arbeitern ohne Blutarmut. Eine einfache Eisentherapie führte zu einer drastischen Steigerung von Leistungsfähigkeit und Einkommen 9. Bildung Gesellschaften mit einem besseren Gesundheitszustand der Bevölkerung leben länger. Denn die „gesündere” Bevölkerung hat mehr Anreize, in ihre eigene Bildung zu investieren, als die weniger gesunde 8 10. Sie lernt auch besser und ihre Arbeitsergebnisse sind aufgrund höherer Spezialisierung besser. Das haben Studien in Tansania gezeigt, dessen Bevölkerung an Vitaminmangel, Würmern und Malaria leidet 4. Geringere Bildung hingegen führt zu geringerer Produktivität, zu geringerem Einkommen und zu gesellschaftlicher Unzufriedenheit. Investitionen Investoren werden dorthin angezogen, wo ein geringes Erkrankungsrisiko herrscht und wo kaufkräftige Konsumenten in einem stabilen Gesellschaftssystem leben 11. Denn mit abnehmendem Gesundheitszustand sinken Leistungsfähigkeit, Lebenserwartung und damit auch Investitionsbereitschaft und -dauer 10. Außerdem sind „gesunde” Menschen wichtige Produktionsfaktoren für die wirtschaftliche Entwicklung einer Gesellschaft. „We could argue that increased health is another aspect of human capital that also enters into production” 3. Demografie Gesellschaften mit einem schlechteren Gesundheitszustand der Bevölkerung haben höhere Mortalitätsraten und Geburtenziffern. Beides ist ungünstig für wirtschaftliches Wachstum und beides induziert Armut 12. Steigendes Einkommen hingegen führt erfahrungsgemäß zum Rückgang der Geburtenrate, was sich positiv auf die Gesundheit der Mütter und Kinder auswirkt, z. B. durch längeres Stillen und durch die Möglichkeit für die Mütter, selbst zu arbeiten. Leider gilt dies auch umgekehrt 10. Wo sich der Gesundheitszustand verschlechtert, verschlechtert sich auch die ökonomische Situation, z. B. in den besonders stark durch die HIV-/AIDS-Epidemie betroffenen afrikanischen Ländern oder auch in manchen Republiken der früheren Sowjetunion. Beides bahnt politischer Unsicherheit den Weg 13.

Literatur

  • 1 Gwatkin D R, Rutstein S, Johnson K. et al .Socio-economic differences in health, nutrition and population. Report from The World Bank Washington D.C.,; 2001
  • 2 World Development Indicators. Washington; World Bank 1999
  • 3 Bloom D E, Canning D. The health and wealth of nations.  Science. 2000;  287 1207-1208
  • 4 Bhargava A, Jamison D T, Murray C JL. Modelling the effects of health on economic growth and political consolidation.  Journal of Health Economics. 2001;  20 423-440
  • 5 Vennemann M, Benn C. Makro-Ökonomik und Gesundheit.  Deutsches Ärzteblatt. 2002;  46 B2601-B2604
  • 6 Pritchett L, Summers L H. Wealthier is healthier.  Journal of Human Resources. 1996;  31 841-868
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  • 9 World Health Organization .Macroeconomics and Health: Investing in Health for Economic Development. Geneva, ; 2001
  • 10 Frenk J, Knaul F. Health and the economy: empowerment through evidence.  Bulletin of the WHO. 2002;  80 88
  • 11 Kato T. Increased health investment: a normative path or a mirage?.  Bulletin of the WHO. 2002;  80 165-166
  • 12 Eastwood R, Lipton M. The impact of changes in human fertility on poverty.  Journal of Development Studies. 1999;  36 1-30
  • 13 Becker C M, Bloom D E. The Demographic Crisis in the former Soviet Union.  World Development Review. 1998;  11 1913-1919
  • 14 Borgdorff M W, Floyd K, Broekmans J F. Interventions to reduce tuberculosis mortality and transmission in low and middle-income countries. CMH Working Paper No. WG5 2001 8
  • 15 Meek S, Hill J, Webster J. The evidence base for interventions to reduce malaria mortality in low and middle-income countries. CMH Working Paper No. WG5 2001 6
  • 16 Jha P, Vaz L ME, Plummer F. et al .The evidence base for interventions to prevent HIV infections in low and middle-income countries. CMH Working Paper No. WG5 2001 2
  • 17 Gelband H, Stansfield S. The evidence base for interventions to reduce under five mortality in low and middle-income countries. CMH Working Paper No. WG5: 9. 2001
  • 18 Musgrove P, Zeramind R, Carrin G. Basic patterns in national health expenditure.  Bulletin of the WHO. 2002;  80 134-146
  • 19 CMH. http://www3.who.int/whosis/menu.cfm?path = whosis,cmh& language = english (aufgerufen am 10.3.2003). 
  • 20 Mills A. More funds for health: the political challenge facing recipient countries.  Bulletin of the WHO. 2002;  80 164-165
  • 21 Morrow R H. Macroeconomics and health. Despite shortcomings the plans in this report deserve strong support.  BMJ. 2002;  325 53-54
  • 22 Smith R. A time for global health. A global effort on health could inspire, unite, and produce substantial improvement.  BMJ. 2002;  325 54-55

1 Zum Vergleich: In Deutschland werden $ 2 364 pro Person und Jahr in die Gesundheitsversorgung investiert, während der EU-Durchschnitt bei $ 1 771 pro Person und Jahr liegt [18].

2 Zum Vergleich: In Deutschland werden jährlich 10,4% des Bruttoinlandsprodukts in die Gesundheitsversorgung investiert, während der EU-Durchschnitt bei 8,5% liegt [18].

3 Zum Vergleich: In Deutschland wurden in den Jahren 1997-1999 durchschnittlich 184 Millionen Dollar, das sind etwa 0,009% des Bruttoinlandsprodukts, in Projekte der internationalen Gesundheitsförderung investiert [18].

PD Dr. Johannes Möller, MPH

Universität Bielefeld, School of Public Health - WHO Collaborating Center

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