Gesundheitswesen 2014; 76(12): 847-855
DOI: 10.1055/s-0034-1366984
Originalarbeit
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Patientenbesuche im Krankenhaus durch Besuchsdienste von Krebs-Selbsthilfegruppen – zur Prozess- und Ergebnisqualität

Visits to Cancer Patients in Hospital by Members of Cancer Self-Help Groups in the Context of Visit Programmes – Process and Outome Indicators
W. Slesina
1   Institut für Mediznische Soziologie, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Halle
,
D. Rennert
2   Institut für Rehabilitationsmedizin, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Halle
,
A. Weber
3   Institut für Gesundheits- und Pflegewissenschaften, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Halle
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Publication History

Publication Date:
17 March 2014 (online)

Zusammenfassung

Ziel der Studie:

In Deutschland haben schon in den 1970er Jahren mehrere Selbsthilfeverbände Krebskranker damit begonnen, Patientenbesuche im Krankenhaus für Krebskranke durchzuführen. Bisher waren die Gespräche zwischen Patienten und Besuchsdienstmitarbeitern noch nicht Gegenstand einer wissenschaftlichen Untersuchung. Daher wurde eine gemeinsame Studie der Deutschen ILCO, der Frauenselbsthilfe nach Krebs und der Sektion Medizinische Soziologie einer deutschen Universität durchgeführt mit dem Ziel, die Qualität der Besuchergespräche bei Pa­tienten/innen mit Darmkrebs und bei Brustkrebspatientinnen einzuschätzen.

Methodik:

Es handelte sich um eine Beobachtungs-Kohortenstudie mit 2 Messzeitpunkten (T1: während des Krankenhausaufenthalts; T2: 3 Monate nach Krankenhausentlassung). Die Studie verband eine beschreibende Querschnittanalyse zur Prozessqualität der Gespräche mit einer hypothesengeleiteten Längsschnittanalyse zur Ergebnisqualität der durchgeführten Gespräche. Die Datenerhebung erfolgte durch schriftliche, postalische Patientenbefragung, wobei der T1- und T2-Fragebogen in Abstimmung mit mehreren regionalen Selbsthilfegruppen entwickelt wurde. Die Fragebögen enthielten neben soziodemografischen und krankheitsbezogenen Fragen validierte Skalen zur Belastung von Krebskranken (FBK-R10), zur Depressivität (CES-D) und zu gesundheitsbezogenen Kontrollüberzeugungen (GKÜ) und speziell entwickelte Fragen für die Krebspatienten über die Prozess- und Ergebnisqualität der Gespräche mit den Besuchern von Selbsthilfegruppen.

Ergebnisse:

Die große Mehrheit der Patienten beurteilte das Auftreten und Verhalten des Besuchers in mehrerer Hinsicht sehr positiv. So empfanden die meisten Patienten das Gespräch als nützlich für ihre psychische Verfassung und Situation durch den Abbau von Ängsten, den Aufbau von Hoffnung, Mut, Zuversicht und die erhaltenen Anregungen zur Krankheitsbewältigung. Allerdings fanden sich zum Zeitpunkt 3 Monate nach Krankenhausentlassung (T2) für die Merkmale krankheitsbezogene Belastung, Depressivität und gesundheitsbezogene Kontrollüberzeugungen bei Patienten mit Besuchergespräch keine Hinweise auf einen positiven/salutogenen Gesprächseffekt.

Schlussfolgerung:

Die Ergebnisse der Studie weisen darauf hin, dass die Möglichkeit zu einem Gespräch mit einem Besuchsdienst einer Selbsthilfegruppe von den meisten Patienten als hilfreich erachtet wird und weiter angeboten werden sollte. Ein mittelfristiger Effekt konnte in der Studie nicht gezeigt werden. Weitere Forschungen zur Bedeutung der Selbsthilfe in der Versorgung sind notwendig.

Abstract

Aim of the Study:

In Germany since the 1970s, several self-help groups of cancer patients have begun to conduct patient visits to the hospital for cancer patients. Until today the conversations between cancer patients and visiting services were not subject to scientific investigation. Therefore, a cooperation study by the Deutsche ILCO, the women’s self-help for cancer and the Section of Medical Sociology of a German university was conducted with the aim of evaluating the quality of the visitor conversations with patients with colon cancer and breast cancer.

Method:

An observational cohort study with 2 time points (T1: during the hospital stay; T2 3 months after hospital discharge) combined a descriptive cross-sectional analysis for process quality of the conversations with a hypothesis-based longitudinal analysis of outcome quality of conversations. Data were collected by written, postal patient questionnaires. The T1 and T2 questionnaires were developed in consultation with a number of regional self-help groups. The questionnaires included socio-demographic and disease-related questions, validated scales for the burden of cancer patients (FBK-R10), for depression (CES-D) and health locus of control (GKÜ) and specially developed questions for cancer about process and outcome quality of the conversations with the visitors of self-help groups.

Results:

The majority of patients rated the appearance and behaviour of the visitors in regard to several parameters as very positive. Thus, most patients found the conversation to be useful for their mental status and situation by reducing fears, building hope, courage, confidence, and the resulting suggestions for coping. However, disease-related stress, depression and health locus of control were found at 3 months after hospital discharge (T2) for the characteristics in patients with no evidence of a positive/salutogenetic effect of the visitorʼs conversation. The results of the study indicate that the opportunity to talk with members of self-help groups was considered helpful by cancer patients and should be offered in the future. A medium-term effect concerning the health outcome could not yet be demonstrated in this study. Further research projects on the importance of self-help groups in health-care research are necessary.

Prof. Dr. W. Slesina ist am 20.6.2013 verstorben und hat das Manuskript für diesen Beitrag am 16.6.2013 mit seinen Co-Autoren besprochen und gebeten, es für „Das Gesundheitswesen“ zu überarbeiten und einzureichen.


 
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